»Aber du kannst Frauen doch gar nicht ausstehen. Das hast du selbst gesagt«, erinnerte ich ihn.
Er starrte mich empört an. »Das stimmt doch gar nicht! Ich mag Frauen. Ich mag es, wie sie aussehen, wie sie sich bewegen, wie sie sich anfühlen und ich mag es, wie sie riechen. Himmel, ich mag sogar, wie sie schmecken, wenn du weißt, was ich meine. Aber ich halte es irgendwie keine Sekunde aus, mich in ihrer Nähe aufzuhalten. Doch das ist jetzt auch egal, schätze ich mal. Sie sind wahrscheinlich alle tot.« Er sah resignierend auf die Karte, als er das sagte.
Das Fernsehen, die Radiosender und das Internet waren schon vor einer ganzen Weile ausgefallen. Bei den Telefonen, sowohl Handys als auch Festnetz, war es das Gleiche. Sie alle waren tot. Ich versuchte es zwar noch öfter, aber das Ergebnis war immer das Gleiche.
Ich hatte auch versucht, Felix zu erreichen, bevor die Telefone ausfielen, war aber nie durchgekommen. Ich hoffte, dass er okay war. Ich war mehrmals in Versuchung geraten, Macie anzurufen, und war schon kurz davor gewesen, als Rick mir sagte, ich solle aufhören, so unfassbar bescheuert zu sein.
Ich hatte es bisher geschafft, jegliche Gedanken an Macie zu unterdrücken, na ja, meistens jedenfalls, aber als Rick anfing, von Frauen zu reden, fiel sie mir augenblicklich ein. War sie noch am Leben? War sie noch immer mit Jason zusammen? Es war einfach frustrierend. Ich wollte sie gern sehen und Felix wollte ich definitiv unbedingt sehen. Er fehlte mir sehr.
»Es sind nicht alle tot«, verkündete ich laut, als ich meine Schuhe anzog. Meine Rippen waren inzwischen so weit verheilt, dass sie mich nur noch gelegentlich ärgerten, ich konnte mich nun wieder bücken und meine Schuhe ohne allzu viele Beschwerden anziehen. »Soll ich die Hühner heute füttern?«, fragte ich. Es war inzwischen kalt draußen, das Gras war in Winterruhe und das Vieh brauchte zusätzliches Futter, um den Winter überstehen zu können.
Ich war gerade auf dem Weg zur Tür, als Rick mehrmals mit den Fingern schnippte, um auf sich aufmerksam zu machen. »Was meinst du damit, dass nicht alle tot sind? Woher zum Teufel willst du das denn wissen? Wir beide haben seit knapp einem Monat die Farm nicht mehr verlassen und dieses verdammte Funkgerät ist ebenfalls ganz schön schweigsam in letzter Zeit.«
Ich band mir die Schuhe zu. Ich wollte noch Laufen gehen, nachdem die morgendlichen Pflichten erledigt waren. »Einfache Mathematik«, erklärte ich. Rick machte eine kreisförmige Bewegung mit der Hand. Ich nahm an, er meinte damit, dass ich fortfahren sollte. »Okay, sehen wir die Sache doch mal so. Im Grunde haben wir uns hier draußen, wegen deines Bauchgefühls, selbst unter Quarantäne gestellt. Wir wissen nichts über diese Krankheit, abgesehen von dem, was wir aus dem Internet und dem Fernsehen erfahren haben. Die Seuche infiziert den Wirt und tötet ihn dann oder macht aus ihm ein gewalttätiges, wahnsinniges, mörderisches Tier.«
»Zombies«, meinte Rick.
»Wenn du sie so nennen willst. Aber wie wird eine Person infiziert? Das wissen wir nicht. Wir haben eine Menge verschiedener Theorien gehört, aber dahingehend tappen wir immer noch im Dunkeln. Wir haben uns aber nichts eingefangen, was gut ist. Also, schon mal zwei Menschenseelen. Diese Zahl können wir als Grundlage verwenden. Es leben ungefähr zwei Millionen Menschen in der Mitte von Tennessee. Nimmt man an, dass wir die zwei einzigen Überlebenden in der unmittelbaren Umgebung sind, muss man anschließend nur noch rechnen.« Ich schnappte mir den Notizblock mit meiner stets wachsenden To-do-Liste, blätterte zu einer neuen Seite und schrieb alles auf.
»Die vermutete Überlebensrate beläuft sich also auf 0.000001 Prozent. Wenn man bedenkt, dass es auf dem Planeten grob geschätzt etwa sechs Milliarden Menschen gibt, ist das eine Sechs mit neun Nullen.« Ich schrieb die Zahl aus. »Laut unserer Überlebensrate sind also weltweit mindestens sechstausend Leute übrig. Es wäre allerdings unlogisch, von einem Grundwert von nur zwei Personen anzunehmen. Ich glaube nämlich, dass es noch viele weitere Überlebensinseln allein in dieser Gegend gibt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich noch mehr Leute so wie wir abgeriegelt haben. Außerdem gibt es wahrscheinlich Menschen, die immun sind, genauso wie damals, als die Pest in Europa und die Spanische Grippe in der ganzen Welt gewütet hat.«
Rick schaute zu, als ich die Gleichungen aufschrieb. »Wie viele, glaubst du, sind immun?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe wirklich keine Ahnung, aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, vielleicht zwanzig Prozent der Bevölkerung, aber das ist eine eher großzügige Schätzung.« Ich sah zu Rick hinüber. Er starrte an die Decke und versuchte, im Kopf alles zusammenzurechnen. Davon würde er irgendwann noch Migräne bekommen. So langsam stiegen kleine Rauchfähnchen aus seinen Ohren. Ich half ihm deshalb.
»Ungefähr 1,2 Milliarden, über die gesamte Welt verteilt, aber da ist noch etwas. Wenn diese Seuche erst einmal vorüber ist, wird es noch enorm viele weitere Tote geben durch Hunger, Krankheiten, Mangel an medizinischer Versorgung, Gewalt, na ja, du kennst den Rest ja. Dann wären da außerdem auch noch andere Variablen.«
»Was denn für Variablen?«, fragte Rick verwirrt.
»Variablen wie Cheyenne Mountain und Raven Rock, die Regierungsbunker. Es gibt Krisenpläne für gewaltige Katastrophen wie diese hier. Man hat an solche Vorkommnisse gedacht und einen Plan namens ›Fortbestand der Regierung‹ kreiert. Ich würde darauf wetten, dass alle NATO-Länder etwas Ähnliches haben, genauso wie Russland und auch China.«
Ich fing an, genauer darüber nachzudenken. Hatten die Regierungen überlebt? Wie würde man es schaffen, wieder Ordnung herzustellen? Ich fing ein neues Blatt, mit der Abkürzung FdR als Überschrift an und begann mir Notizen zu machen.
Ricks Aufmerksamkeit war abgeschweift und er konzentrierte sich nun auf die anderen Karten. An jeder Wand hingen Karten des Staates und der einzelnen Städte. Er hatte früher gerahmte Bilder an der Wand gehabt, schöne Naturszenen, aber vor ein paar Tagen hatte er sich betrunken, sie alle zertrümmert und anschließend im Kamin verbrannt. Ich hatte den Rest des Tages damit verbracht, Scherben aufzukehren. Zum Glück hatten wir uns nicht die Füße zerschnitten und uns eine Entzündung eingefangen. Jetzt hatten wir wenigstens genug Platz an der Wand für unsere Karten.
Er wedelte mit der Hand und sah mich an. »Was hältst du von einer kleinen Erkundungsmission heute Nachmittag? Wir können in Franklin anfangen.«
»Was ist mit unserem Plan, uns bis zum Frühling zu verstecken?«, fragte ich.
Rick sah mich an, als hätte ich irgendetwas von Hundekot und Sodomie erwähnt. »Willst du wirklich den Rest deines Lebens ohne eine Frau verbringen?«, fragte er mich.
Nun war ich an der Reihe, einen bösen Blick auszuteilen. »Ich werde zuerst das Vieh füttern und dann gehe ich laufen. Fällt dir noch etwas ein, was erledigt werden muss?«
»Ja, stell den Generator an. Ich nehme gleich eine heiße Dusche. Danach werde ich mich an das Funkgerät setzen und mal sehen, ob ich ein paar dieser 1,2 Milliarden Menschen erreichen kann, und du kannst beim Laufen mal über einen Plan für unsere Erkundungs- und Plünderungstour nachdenken. Wir haben zwar noch reichlich Essen und Wasser, aber Hundefutter und Benzin können wir immer gebrauchen, und am Allerwichtigsten natürlich … Whiskey … und Frauen, nicht zu vergessen.«
Ich schüttelte den Kopf und schmunzelte über den alten Mann, als ich mir eine Glock-Pistole und ein Messer umschnallte. Ich erwartete allerdings keine Probleme. Himmel, wir hatten niemanden mehr gesehen, seit Junior da gewesen war, aber ich wollte lieber auf alles vorbereitet sein. Die Tage von Zach Gunderson dem sanften, kleinen Lamm waren endgültig vorüber. Ich vergewisserte mich, dass eine Kugel im Lauf war, dehnte meine Beine und lief los.
Es gab einen Pfad entlang des Farmgeländes. Wir benutzten ihn regelmäßig, um die Zäune zu überprüfen. Meine erste Meile war ein wenig hart, denn ich war wegen meiner Rippen seit Ewigkeiten