Der Bergpfarrer Paket 2 – Heimatroman. Toni Waidacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Toni Waidacher
Издательство: Bookwire
Серия: Der Bergpfarrer
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740952006
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erster Tag heut’. Allerdings hab’ ich mir den anders vorgestellt…«

      »Vielleicht ist’s mit dem Fuß auch nur halb so wild, wie mit der Stirn«, versuchte Franzi, ihn zu trösten. »Mein Onkel hat eine Salbe oben, die hilft bestimmt.«

      Na, hoffentlich net die von diesem Wunderheiler, vor dem der Wirt uns gewarnt hat, dachte Robert.

      Tatsächlich hatten die Aktivitäten des selberernannten Wunderheilers von St. Johann in der letzten Zeit wieder derart zugenommen, daß Sepp Reisinger sich genötigt sah, seine Gäste vor dem alten Kauz und dessen obskuren Mitteln zu warnen, mit denen der Brandhuber den ahnungslosen Touristen das Geld aus der Tasche zog. Und seit es den Euro gab war es noch ärger geworden, hatte der Bazi doch wahrhaftig alles eins zu eins »umgerechnet«.

      Robert sah die Fahrerin von der Seite her an. Nein, sie machte auf ihn nicht den Eindruck, als gehöre sie zu den Leuten, die andere übervorteilten.

      Ganz im Gegenteil – in diesem hübschen Gesicht konnte kein Arg wohnen!

      Wie heißt sie noch gleich?

      Richtig, Franzi hatte sie gesagt. Der Name paßte zu ihr. So, wie sie ausah, in dem feschen Dirndl, stellte man sich gemeinhin eine Bewohnerin der Berge vor.

      Für einen Moment begegneten sich ihre Augen, als Franzi den Kopf zur Seite neigte, als habe sie seinen Blick bemerkt, mit dem er sie musterte. Robert fühlte sich ertappt, als habe er etwas Verbotenes getan und schaute schnell weg.

      Dabei war er eigentümlich berührt, als er feststellte, daß sein Herz schneller klopfte, als es sonst der Fall war…

      Ehe er sich jedoch ausmalen konnte, wie es wäre, dieses zauberhafte Madel zu küssen, sah er wieder Melanies Bild vor sich, und Ernüchterung machte der Vorstellung Platz. Nie wieder, so hatte er sich geschworen, würde eine andere Frau den Weg zu seinem Herzen finden. Nie wieder wollte er das wunderschöne Gefühl, aufrichtig geliebt zu werden, empfinden.

      Einmal hatte er sie gehabt, die einzigartige und große Liebe, wie sie einem einmal nur im Leben begegnet.

      Und doch hatte er sie verschmäht und ein Unglück heraufbeschworen, das er sich nie würde verzeihen können, solange er lebte.

      Als Sühne hatte er sich den Verzicht, seinem Leben eine neue Wendung zu geben, und sein Herz noch einmal ansprechen zu lassen, auferlegt.

      Franzi war der Stimmungswandel des jungen Manne neben ihr nicht verborgen geblieben. Sie fragte sich unwillkürlich, ob sie der Grund dafür war, daß er jetzt so stumm und teilnahmslos nach vorne blickte.

      Wie toll hatte ihr Herz geschlagen, als sie zu ihm gelaufen war, und wie irritiert war sie gewesen, als sie feststellte, daß es nicht sein Schicksal, sondern vielmehr er selbst es war, der das Durcheinander in ihrem Inneren verursachte.

      War er der Mann, von dem sie immer geträumt hatte? Hatte sie ihn gerade erlebt, diesen wunderschönen Augenblick der ersten großen Liebe, von dem sie immer gehört hatte?

      Es konnte wohl nicht anders sein, denn ihr Herz raste immer noch, als sie vor der Almhütte hielt und Robert Feldmann beim Aussteigen behilflich war…

      *

      Franz Thurecker war gerade aus dem Anbau hinter der Hütte getreten. Der Senner ließ die Holzscheite fallen, die er auf dem Arm trug, und sprang hinzu.

      »Hast’ etwa einen Unfall gehabt?« fragte er besorgt.

      »Ich net«, antwortete seine Nichte. »Aber der Herr Feldmann hier. Er ist vom Weg abgekommen und hat sich den Fuß verletzt. Du mußt ihn dir unbedingt gleich mal anschau’n.«

      »So schlimm ist’s gar net«, wehrte Robert Feldmann ab, dem es plötzlich peinlich war, daß die beiden sich so besorgt um ihn zeigten.

      Doch sein schmerzverzerrtes Gesicht straften ihn gleich darauf Lügen, als er, am Arm von Franz Thurecker, zur Terrasse humpelte.

      »Das haben wir gleich«, murmelte der Senner und kniete sich vor den Verletzten hin.

      Sachkundig untersuchte er das Bein und tastete den Fuß ab. Robert zuckte zusammen, als Franz eine geschwollene Stelle über dem Knöchel berührte.

      »Gebrochen ist nix«, stellte der Alte fest. »Aber der Fuß hat ein bissel was abbekommen. Ich werd’ gleich was zum Kühlen d’rauf tun.«

      Er wandte sich zu seiner Nichte um, die mitfühlend daneben stand und Robert am liebsten tröstend in die Arme genommen hätte.

      »Sei so gut, und hol’ mir die Dose, die in der Waschkammer auf dem Fenstersims steht«, bat der Senner.

      Franzi lief in die Hütte und fand in dem kleinen Bad die besagte Dose.

      »Was ist denn das?« wollte Robert wissen, als Franz etwas von dem Inhalt über den Fuß strich.

      »In erster Linie Fett«, gab der Thurecker-Franz zurück. »Und viele Kräuter, die bei uns heroben wachsen.«

      Zuerst war es nur ein kühlendes Gefühl, das langsam in den Fuß zu kriechen schien. Dann wurde die Stelle ganz taub, und der Schmerz verschwand von einem Augenblick auf den anderen.

      »Das ist ja eine wahre Wundersalbe!« staunte der Werbefachmann. »Warum kann man so was net in der Apotheke kaufen?«

      Franz schmunzelte. Es war nicht das erste Mal, daß er Leute mit dieser Salbe behandelte und in Erstaunen versetzte.

      »Das Geheimnis hab’ ich von meinem Großvater«, erzählte er später.

      Franzi hatte Kaffee gekocht. Dankbar nahm Robert das heiße Getränk entgegen, und als sich für einen winzigen Moment ihre Finger dabei berührten, da war es,

      als fahre ein elektrischer Schlag durch sie hindurch.

      »Wissen S’, Herr Feldmann, uns’re Vorfahren lebten noch mehr im Einklang mit der Natur, als die Menschen heutzutag’«, fuhr der Senner fort zu erzählen. »Vor hundert und mehr Jahren, da lebte man auf einer Almhütte oft Monatelang mutterseelenallein. Damals gab es noch net die Wirtschaftswege und keine Autos. Der Abstieg ins Tal war lang und beschwerlich. Wenn einem da ein Unglück geschah, mußte man sich schon selbst zu helfen wissen. Man konnt’ sich net einfach ins Auto setzen und mal eben zum Doktor fahr’n. Uns’re Altvorderen entwickelten im Laufe der Zeit immer neue Hilfsmittel, die das Leben auf der Almhütte erträglicher machen sollten. Die Salbe ist eine solche Erfindung. Was sich darin befindet ist Natur pur, ohne jede Chemie.«

      »Und es hilft unglaublich«, sagte Robert. »Ich spür’ schon nix mehr.«

      »Trotzdem sollten S’ nix über-eilen«, warnte der ältere, erfahrene Mann. »Der Fuß muß unbedingt ein, zwei Tag’ geschont werden, sonst könnt’s passieren, daß Sie ihn nachher um so schmerzhafter spür’n.«

      Robert Feldmann nickte verstehend.

      »Ich fahr’ Sie natürlich nachher ins Tal hinunter«, ließ Franzi sich vernehmen. »Allerdings müßten S’ schon warten, bis der Ansturm der Mittagsgäste vorüber ist.«

      Der junge Mann schaute sie an und lächelte.

      »Ach, ich hab’ viel Zeit«, entgegnete er.

      *

      Es waren beinahe noch mehr Wanderer heraufgekommen, als in den letzten Tagen. Franz Thurecker hatte eine große Pfanne mit Geschnetzeltem zubereitet. Dazu gab es Röstkartoffeln und eine Salatbeilage. Schon nach kurzer Zeit mußte der Senner eine weitere Pfanne nachkochen.

      Auf der Sonnenterrasse herrschte ein fröhliches Chaos, und das Stimmengewirr erinnerte Robert an das Summen in einen Bienenstock. Der junge Mann saß immer noch auf seinem Platz, der Fuß schmerzte überhaupt nicht mehr. Er ertappte sich mehrmals dabei, daß er Franzi bewundernd hinterher sah, wenn sie an ihm vorüberging, und zu gerne hätte er gewußt, welche Gedanken sich in ihrem hübschen Köpfchen verbargen. Der Blick, mit dem sie ihn ab und zu streifte, verriet es leider nicht, doch glaubte Robert zu sehen, daß er anders war, als der, mit dem sie die übrigen Gäste anschaute…