Auch wenn man auf den ersten Blick glauben konnte, einen Mann vor sich zu haben, dem die Frauen zu Füßen lagen, so täuschte dieser Eindruck doch. Ulrich Bernhard war beinahe dreißig Jahre glücklich verheiratet, und Edda, seine Frau, wußte, daß sie sich auf die Treue ihres Mannes verlassen konnte. Sie unterrichtete als Dozentin der medizinischen Fakultät, an der Münchner Universität, und die Vorlesungen waren nicht nur wegen des Rufes, den ihr Mann genoß, immer gut besucht. Edda Bernhard hatte sich in all den Jahren einen eigenen Ruf als Medizinerin erarbeitet.
Der Professor genoß die Fahrt in das Bergdorf. Seit dem letzten Telefonat mit Toni Wiesinger hatte er noch viele Male über den Fall nachgedacht, und zusammen mit seiner Frau war er zu dem Ergebnis gekommen, daß seine Diagnose richtig war. Dem jungen Mann konnte geholfen werden.
Er erreichte St. Johann. Der Turm der Kirche hatte ihm schon von weitem den Weg gewiesen. Ulrich Bernhard freute sich nicht nur auf das Wiedersehen mit dem Arzt, er war auch gespannt darauf, Pfarrer Trenker kennenzulernen, von dem Toni so oft begeistert gesprochen hatte.
Das Haus zu finden, in dem der Arzt wohnte, war nicht schwer. Der Professor hielt davor an und stieg aus. Er hatte kaum die Wagentür geschlossen, als Toni Wiesinger ihm schon strahlend entgegen kam.
»Ist das eine Freud’!« rief er aus und reichte dem Besucher die Hand. »Schön, Sie zu seh’n, Herr Professor.«
»Die Freud’ ist ganz auf meiner Seite«, antwortete der berühmte Arzt mit seiner angenehmen, sonoren Stimme. »Lassen S’ sich anschau’n, Toni. Mir scheint, das Landleben bekommt Ihnen äußerst gut.«
»So ist es. Doch jetzt kommen S’ herein. Ich möchte Ihnen meine Frau vorstellen. Dabei fällt mir ein, wie geht’s Ihrer Frau?«
»Danke der Nachfrage. Gut, wie immer, kann ich nur sagen. Sie wär’ gern’ mitgekommen, aber zur Zeit werden Klausuren geschrieben..., na ja, Sie wissen ja, wie’s da zugeht. Alle sind S’ im Streß, und mancher kommt noch spät abends zu uns nach Haus, um sich Tips abzuholen, oder mit Edda seine Arbeiten durchzugeh’n.«
Sie betraten das Treppenhaus und gingen hinauf in den ersten Stock, wo sich die Wohnung der Wiesingers befand. Elena begrüßte den Besucher mit einem herzlichen Willkommen.
»Sie sind also die Frau, die meinen besten Schüler davon abgehalten hat, in die weite Welt hinauszuzieh’n und ein berühmter Gelehrter zu werden«, stellte Ulrich Bernhard mit einem Augenzwinkern fest.
»Net ganz, Herr Professor«, antwortete die Tierärztin lä-chelnd. »Mein Mann hatte sich schon fürs Landleben entschieden, bevor wir uns kennenlernten. Aber ich hab’ ihn vielleicht in seinem Entschluß noch bestärken können.«
Elena Wiesinger bat zu Tisch. Zur Feier es Wiedersehens hatte sie sich freigenommen und einen Festtagsbraten gezaubert. Es war eine fröhliche, kleine Runde, die zusammensaß und es sich schmecken ließ. Dabei wurde eine angeregte Unterhaltung geführt und in Erinnerungen geschwelgt.
Nach dem Essen zogen sich die Herren zu Kaffee und Kognak in Tonis Arbeitszimmer zurück. Der Gast war ein leidenschaftlicher Espressotrinker. Das kleine braune Getränk gehörte für ihn zu einem guten Essen, wie der Wein, den man dazu trank. Und auch Toni genoß hin und wieder eine Tasse.
Zur Überraschung des Professors schmeckte der Espresso im Hause Wiesinger allerdings anders, als er es gewohnt war.
»Das ist ja köstlich!« rief der Besucher aus. »Was ist denn noch darin?«
»Ich hab’ mir gedacht, daß es Ihnen schmecken wird«, lachte Elena und brachte eine weitere Tasse. »Das Geheimnis ist ein ganz kleiner Schluck Bananenlikör.«
Ulrich Bernhard leckte sich die Lippen.
»Das muß ich mir merken«, sagte er. »Und vor allem Edda erzählen, wenn ich sie nachher anruf’. Sie muß unbedingt so eine Flasche Likör besorgen.«
Elena freute sich, daß ihr die Überraschung gelungen war und zog sich zurück, um die beiden Männer sich ungestört unterhalten zu lassen. Der Besucher lehnte sich behaglich zurück. Es war unverkennbar, daß er sich wohl fühlte.
Sie besprachen noch einmal eingehend die Ursache, die zu Florian Brunners Erkrankung geführt hatte, desweiteren die Therapiemaßnahmen, die zu erfolgen hatten, und die Medikamentengabe.
»Sie hatten recht, mit Ihrer Vermutung«, sagte Toni Wiesinger. »Es war tatsächlich eine nicht gänzlich ausgeheilte Virusinfektion.«
Ulrich Bernhard nickte zufrieden.
»Wann kann ich den Patienten sehen?« fragte er.
»Ich hab’ den Herrn Brunner für den Nachmittag herbestellt.«
Er sah auf die Uhr.
»Die Sprechstunde fängt gleich an.«
Sie standen auf und gingen die Treppe hinunter, in die Praxisräume. Der Professor begrüßte die Arzthelferin und besichtigte alles. Er war beeindruckt, von dem, was er sah. Toni hatte in der letzten Zeit viel Geld investiert, um die Einrichtung auf den neuesten Stand zu bringen.
Als Florian dann dem berühmten Arzt gegenüber saß, wirkte dessen väterliche, ruhige Art sofort. War er vor wenigen Augenblicken doch noch sehr nervös gewesen, so zeigte der junge Mann sich jetzt entspannt.
Professor Bernhard verzichtete auf eine eingehende Untersuchung. Er wußte, daß er sich in dieser Hinsicht auf seinen jungen Kollegen verlassen konnte. Der Laborbericht war eindeutig gewesen. Er unterstützte die Diagnose, die die beiden Ärzte gestellt hatten. Vielmehr wollte Ulrich Bernhard dem jungen Mann eine weitere Untersuchung ersparen. Er war der Meinung, daß Florian diese Prozedur genug über sich hatte ergehen lassen müssen.
Die Ärzte klärten ihn noch einmal gründlich über Ursache und Wirkung seiner Erkrankung auf und teilten ihm mit, welche Medikamente zusätzlich zu nehmen, angeraten war. Im Verlauf der Woche sollte Florian dann noch zweimal in die Sprechstunde kommen, um zu sehen, ob sich bereits erste Erfolge abzeichneten.
»Zum Schluß, mein lieber Herr Brunner, möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte der Professor.
Florian sah ihn erstaunt an.
»Sie...?«
»Ja, und zwar im Namen meiner Kollegen, die Ihre Erkrankung nicht erkannt und dementsprechend behandelt haben. Aber ich kann Ihnen versichern, daß es auch nicht so einfach ist, wie’s auf den ersten Blick erscheint. Ich will Ihnen net verschweigen, daß die Symptome, die Sie zeigen auf fatale Weise einer gefährlichen Immunschwä-chekrankheit ähneln, die wirklich zum Tode führen kann. Nur dadurch, daß das Labor gezielt danach gesucht hat, sind wir der Ursache auf die Spur gekommen. Ich selbst bin einmal diesem Irrtum erlegen und erst im letzten Augenblick dahinter gekommen, worum es sich in Wirklichkeit handelte. Deshalb bitt’ ich Sie, zürnen S’ den Kollegen doch bitte net.«
Florian versicherte, daß er weit davon entfernt war.
»Vielleicht«, antwortete er nachdenklich, »vielleicht hat ja alles so kommen müssen. Sonst hätt’ ich nie die große Liebe meines Lebens kennengelernt.«
»Tja, das Schicksal geht manchmal seltsame Wege«, meinte Toni Wiesinger, nachdem Florian Brunner sich verabschiedet hatte.
»Dafür gibt’s ja Menschen, wie uns, damit wir mit unserem Wissen ein bissel dagegensteuern und das Schlimmste abzuwenden versuchen«, antwortete Ulrich Bernhard.
Er stand auf und klatschte in die Hände.
»So, mein lieber Toni, jetzt laß ich Sie allein. Das Wartezimmer ist voll, und ich werd’ mich ein bissel im Dorf umschau’n.«
»Machen S’ das,