Barbara Wolf lächelte freundlich, wenn auch etwas matt.
"Sind Sie schon weitergekommen?", fragte sie.
Moeller schüttelte den Kopf.
"Nee", meinte er. "Deswegen bin ich auch hier."
"Ich habe alles auf den Tisch gelegt, was ich..."
"Darf ich hereinkommen?", unterbrach er sie.
"Ja, sicher."
Moeller folgte ihr ins Wohnzimmer. "Haben Sie was dagegen, wenn ich mich in den Sachen Ihres Mannes ein bisschen umsehe?"
"Suchen Sie etwas Bestimmtes?"
"Wenn ich es gefunden habe, weiß ich es!"
"Soll ich Ihnen einen Kaffee machen?"
"Schwarz."
Sie nickte. "In Ordnung."
"Geht es hier zum Schlafzimmer?", fragte Moeller und deutete den Flur entlang. Barbara war etwas irritiert.
"Ja, schon, aber..."
"Ich will mir die Kleidung ihres Mannes ansehen."
"Die ist doch...", sie schluckte, "...bei Ihnen!"
"Ich meine nicht die Sachen, die er trug, als er ermordet wurde", erwiderte Moeller. "Ich meine alle seine Sachen!"
40
Moeller nahm sich den gesamten Kleiderschrank vor. Jedes Jackett, jede Hose, jeden Kittel. Er durchsuchte alle Taschen, eine nach der anderen. Leider kam nicht viel dabei heraus.
Moeller untersuchte auch den Nachttisch.
Irgendwann erschien Barbara in der Tür. "Kommen Sie, der Kaffee wird kalt."
Moeller seufzte.
"Etwas gefunden?" fragte Barbara.
"Nein." Er zuckte die Achseln. "Es war so eine Idee. Ich dachte, dass er vielleicht einen dieser Briefe, die er bekommen hat, in die Tasche gesteckt hat... Absurd!" Moeller kratzte sich am Kinn. "Sehen Sie, ich frage mich noch immer, warum Feller Ihrem Mann regelmäßig diese Summen gezahlt hat!"
"Und?", fragte Barbara. "Haben Sie schon mit Martin - Herrn Feller - darüber gesprochen?"
Moeller verzog das Gesicht. "Ich mit ihm schon - aber er nicht mit mir. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen."
"Ich?"
Sie drehte sich um. Moeller ging hinter ihr her. Im Wohnzimmer hatte sie den Kaffee auf den niedrigen Tisch gestellt. Moeller setzte sich und trank. Dann stöhnte er auf, weil er sich die Zunge verbrannt hatte. Nicht so gierig, Moeller!, ermahnte er sich. Oder sei mit deinen Gedanken nicht dauernd woanders!
"Tut mir leid", sagte Barbara Wolf.
"Ja, man sollte Kaffee kalt kochen", erwiderte Moeller nachdenklich. "Ich habe dafür auch noch keine Methode gefunden." Er sah Barbara an. "Wissen Sie, was ich glaube? Ihr Mann hatte Feller in der Hand. Er hat ihn erpresst!"
"Sie werden lachen, aber der Gedanke ist mir auch gekommen! Leider habe ich nicht den geringsten Schimmer, worum es dabei gehen könnte..."
"Hat Ihr Mann nie irgendwelche Andeutungen gemacht? Überlegen Sie!"
"Was glauben Sie, worüber ich mir die ganze Zeit den Kopf zerbreche!"
In diesem Moment klingelte Moellers Handy. Er kramte ihn aus der Jackentasche heraus, klappte den Apparat auf und nahm ins Ohr. Dreimal kurz hintereinander sagte er: "Ja."
Dann erhob er sich.
"Ich muss weg", sagte er.
41
Der Regen hatte aufgehört, aber der graue Himmel verhieß keine Besserung.
Carola setzte ihren Golf auf den Hof, stieg aus und ging eilig zur Haustür. Unter dem Arm trug sie eine Plastiktüte vom Supermarkt. Die Tragelaschen waren gerissen und unten hatte sich bereits die scharfe Kante eines Joghurtbechers durch das weiche Plastik geschnitten.
Carola fingerte mit einiger Mühe einhändig den Haustürschlüssel ins Schloss und bekam am Ende sogar die Tür auf, die man beim Aufschließen anziehen musste.
Sie trat ein, trat mit der Hacke die Tür zu und hatte auf einmal das Gefühl, dass schon jemand in der Wohnung war.
Irgend ein Geräusch hatte sie stutzen lassen - nur einen Sekundenbruchteil lang, aber es reichte aus.
"Martin?", rief sie und blickte dabei auf den Fußabdruck auf dem Teppich. Ja, das sah ihm ähnlich! "Bist du schon zurück? Ich bin heute etwas früher!"
Sie bekam keine Antwort und ging in die Küche, wo sie die Tüte auf dem Tisch abstellte.
"Martin?", fragte sie noch einmal.
Sie hörte Schritte und wirbelte herum.
In der Küchentür stand eine Gestalt, deren Gesicht von einem Motorradhelm verdeckt wurde. Es musste der Kerl sein, den Carola durch das Küchenfenster hatte davonfahren sehen, als auf Feller geschossen worden war.
"Keine Bewegung", zischte eine dumpfe, sonore Stimme und Carola blickte in den blanken Lauf einer Pistole. "Kommen Sie!", forderte er.
"Was haben Sie vor?"
"Tun Sie einfach, was ich sage! Kommen Sie mit ins Wohnzimmer! Gehen Sie langsam vor mir her!"
Carola gehorchte. Der Puls schlug ihr bis zum Hals. Sie schluckte und fühlte einen Kloß im Hals.
"Setzten Sie sich ganz ruhig in den Sessel dort!", wies der Mann sie an, als sie das Wohnzimmer betraten.
Sie setzten sich.
Der Mann legte einen Fuß auf den niedrigen Wohnzimmertisch, während Carola die schweißnassen Hände zwischen die Beine presste.
Sie atmete einal heftig und hörte sich dann fragen: "Wer sind Sie?"
Sie blickte zu ihrem gesichtslosen Gegenüber auf.
"Was soll ich Ihnen darauf antworten? Auf jeden Fall ein recht guter Schütze - wenn auch vielleicht nicht ganz so gut, wie Ihr Mann! Aber ich kann mit diesem Ding hier umgehen, darauf können Sie sich verlassen!
Carolas Gedanken ordneten sich wieder einigermaßen. Den ersten Schock hatte sie hinter sich.
"Sie... wollen meinen Mann töten?", erkannte sie glasklar.
Sie rutschte auf dem Sessel nach vorn.
"Ich habe gesagt, Sie sollen sich setzen und mir nicht noch dumme Fragen stellen!"
Carola sah, dass er die Pistole angehoben hatte und lehnte sich wieder zurück. Er schien ziemlich nervös zu sein.
"Zufrieden?", fragte sie.
Er nickte.
"Ja, so ist es gut."
"Warum machen Sie das? Sie haben Norbert Wolf getötet, nicht wahr? Warum haben Sie auf meinen Mann geschossen und uns diese Fotos geschickt? Das waren doch Sie, oder?"
"Hat Ihr Mann Ihnen das nicht erklärt?"
"Ich... Ich weiß jetzt nicht so recht, was Sie meinen..."
Ein heiseres Lachen kam dumpf unter dem Helm hervor.
"Dachte ich es mir doch."
"Was dachten Sie sich?"