Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806242683
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wollen. Er hat dagegen Neuwahlen zum Abgeordnetenhause anzuordnen befohlen, und wir müssen zunächst diese abwarten.“

      Auflösung des Hauses und Vorbereitung von Neuwahlen waren am 9. Mai verfügt worden. Herr Oppenheim erzählte diese Unterredung an demselben Abend in Ausdrücken höchster Bewunderung seinem Freunde Bleichröder, welcher mir am anderen Morgen darüber berichtete. Eine Bestätigung der Thatsache, daß Bismarck dem Könige jenen Vorschlag unterbreitet hat, ist mir nicht zuteilgeworden44. Doch hielt ich die Angaben Oppenheims wie den Bericht Bleichröders für zweifellos glaubwürdig und freute mich ebenso sehr, daß Bismarck den selbstlosen Antrag gestellt wie daß der König ihn abgelehnt hatte.

      Damals gingen Strömungen weichlicher, ganz unpreußischer Gefühle durch das Land. Hervorragende Mitglieder der konservativen Partei setzten alle erlaubten Mittel in Bewegung, um den Krieg zu verhindern. Nicht nur 17 rheinische Handelskammern und eine Kölner Volksversammlung petitionierten um Erhaltung des Friedens, sondern auch 4 Wahlbezirke Berlins und die Stadtbehörden von Stettin, Köslin und Königsberg. Der Abgeordnetentag in Frankfurt und der Ausschuß des Nationalvereins erklärten übereinstimmend, die einzige zur Lösung der obwaltenden Schwierigkeiten berufene Behörde sei ein deutsches Parlament; sie verdammten aber gleichzeitig den Minister, der ein solches amtlich beantragt hatte, und den Krieg, welcher der Durchführung dieses Antrages unerläßlich vorhergehen mußte.

      Nur zwei verständige Kundgebungen wurden in jener Zeit bekannt: eine Adresse der Altliberalen in Halle und die bereits früher erwähnte der Stadtbehörden von Breslau.

      Schlesien war die der Gefahr eines feindlichen Ueberfalles am meisten ausgesetzte Provinz. Dennoch schrieben die Breslauer am 15. Mai. an Seine Majestät den König, man wolle lieber alle Lasten und Leiden eines Krieges auf sich nehmen als erleben, daß die Lösung der historischen Aufgabe Preußens, die Einigung Deutschlands, noch einmal – wie es 1850 geschehen – auf lange Jahre hinausgeschoben würde. Es fehle zwar, da der innere Konflikt nicht gelöst sei, an der allgemeinen Begeisterung, wie sie 1813 herrschte; dennoch aber würden die schlesischen Männer mit derselben Opferwilligkeit wie damals den Gefahren und Nöten des Krieges entgegengehen.

      Der König gab in einem huldvollen Erlaß vom 19. Mai der Freude über das Wiedererwachen des schlesischen Geistes von 1813 ernsten Ausdruck und bezeichnete als das Ziel seiner Wünsche eine Verständigung zwischen der Regierung und dem neu zu wählenden Abgeordnetenhause.

      Im Monat Mai schwebte noch eine geheime Verhandlung zwischen den Höfen von Berlin und Wien, welche während einiger Tage Frieden zu verheißen schien. Baron Anton Gablenz, ein in Preußen angesessener Bruder des Generals, hatte einen Vertragsentwurf auf folgenden Grundlagen ausgearbeitet: In Schleswig-Holstein wäre Prinz Albrecht von Preußen als Herzog einzusetzen, der Oberbefehl des Bundesheeres zwischen Preußen (für die nördlichen) und Oesterreich (für die südlichen Armeekorps) zu teilen, diese Reform aber dem Bunde aufzudrängen. Die besonders für Oesterreich nützlichen Spezialbedingungen lasse ich unerwähnt.

      Gablenz wurde durch seinen Bruder bei Graf Mensdorff eingeführt, der ihn freundlich anhörte, und kam dann nach Berlin. Daß Bismarck die schließliche Annahme dieser Lösung in Wien für wahrscheinlich gehalten hat, glaube ich nicht; er sprach sich darüber nicht aus, behandelte aber die Sache geschäftlich mit ernster Gründlichkeit und brachte verschiedene Verbesserungen in den Entwurf. Gablenz reiste hin und her und wurde von beiden Monarchen mit Wohlwollen empfangen, erhielt aber schließlich in Wien den Bescheid, er komme mit seinen Vorschlägen um acht Wochen zu spät. Man hatte sich den hilfsbereiten Mittelstaaten gegenüber schon zu fest engagiert, um sie plötzlich wie Gegner behandeln zu können; auch war die Preußen zugedachte Machtsphäre offenbar viel bedeutender als die südliche.

      Schon vor dem Beginn der Besprechungen mit Gablenz hatte Mensdorff dem Kaiser Napoleon angeboten, Venetien abzutreten, sobald Schlesien erobert sein werde; später ließ er diese Vorbedingung fallen und verhieß Venetien schon vor Beginn des Krieges, wenn nur die Neutralität Italiens gesichert werden könnte. Napoleon empfahl diese Lösung; aber Visconti Venosta erklärte sofort einen solchen Vorschlag für unannehmbar und hielt fest am preußischen Bündnis.

      Der Kaiser nahm nun seinen mehrmals geäußerten Lieblingsgedanken wieder auf, durch einen europäischen Kongreß die schwebenden Fragen zu lösen: die venetianische, die schleswig-holsteinische und die deutsche Bundesreform. Bismarck hielt diesen Plan zwar für aussichtslos, aber nicht für geraten, Besprechungen darüber abzulehnen.

      Inzwischen erfuhren wir, daß die französischen Gesandten in den Mittelstaaten und in Frankfurt eine gegen uns entschieden feindliche Sprache führten sowie daß Napoleon eine vorläufige Verständigung über den Kongreß nicht mit uns, sondern mit London und Petersburg suchte. Graf Harry Arnim meldete aus Rom, Kardinal Antonelli wisse von geheimen, zwischen Wien und Paris schwebenden, wichtigen Verhandlungen. Aus allem ging hervor, daß Napoleon infolge unserer beharrlichen Weigerung, deutsches Gebiet abzutreten, seine Gunst uns entzogen und dem zu manchen Versprechungen geneigten Oesterreich zugewandt hatte. Die formelle Einladung zum Kongresse wurde jedoch Ende Mai und Anfang Juni von allen Beteiligten außer Oesterreich acceptiert, welches die Annahme an Bedingungen knüpfte, die eine Ablehnung in sich schlossen. Napoleon sagte darauf am 3. Juni zu Goltz, Oesterreich allein trage die Verantwortung für den Krieg; daraus folge seine für uns wohlwollende Neutralität. Diese Worte konnten jedoch nicht ernst gemeint sein, denn die geheimen Verhandlungen mit Oesterreich gingen ununterbrochen weiter. Der sonderbare Vertrag, der am 10. Juni zustande kam, blieb uns zwar unbekannt; aber ein Manifest des Kaisers vom 11., welches in Form eines Briefes an Drouyn de Lhuys dem Senate mitgeteilt wurde, enthielt eine deutliche Absage an Preußen.

      * * *

      Als gegen Ende Mai der Krieg unvermeidlich zu werden schien, trat der Finanzminister von Bodelschwingh zurück, der schon früher bei jeder Gelegenheit eine friedliche Lösung befürwortet hatte. Die Verlegenheit war augenblicklich groß. Da wandte sich Bismarck an den Freiherrn von der Heydt, der früher lange Jahre Handelsminister, im Sommer 1862 Finanzminister gewesen und im September wegen Gewissensbedenken gegen eine budgetlose Verwaltung zurückgetreten war. Jetzt aber, da er das Vaterland in Gefahr sah, war er sofort bereit, die schwerste Verantwortung zu übernehmen und den Kredit, den er als Chef eines großen Bankhauses in Finanzkreisen genoß, zur Geltung zu bringen. Der Opfermut dieser Entschließung in einem Moment, wo an der Börse bereits Kriegskurse herrschten, ist, wie mir scheint, weder damals noch später voll gewürdigt worden; vielleicht weil die folgende Zeit so viel Kriegsruhm brachte, daß man darüber des wohlthätigen Zauberers vergaß, der seine ganze Habe einsetzte, um die versiegenden Quellen der Rüstungsmittel plötzlich wieder aufzuschließen.

      Es darf erwähnt werden, daß von der Heydt in der entscheidenden Unterredung, welche am 1. Juni abends stattfand, den Wunsch aussprach, nach Beendigung des Krieges möchte wegen der Finanzverwaltung seit 1862 vom Abgeordnetenhause Indemnität nachgesucht werden, und daß Bismarck diesen Wunsch beim Könige zu befürworten zusagte. Die Thatsache dieser Zusage hat, wie ich glaube, damals niemand erfahren45, weder die andern Minister noch die Finanzmänner, welche Herrn von der Heydt reichliche Mittel zur Verfügung stellten. Der unter diesen an erster Stelle thätige Leiter der Diskontogesellschaft, Herr von Hansemann, sowie der Sohn des Ministers, Freiherr Karl von der Heydt, haben von der erwähnten Zusage Bismarcks nichts gewußt. Der große Name des neuen Leiters der preußischen Finanzverwaltung genügte, um alles Nötige zu beschaffen. Vielleicht kam auch bei maßgebenden Persönlichkeiten der Glaube an die Ueberlegenheit unserer Waffen hinzu, ein Glaube, der jedoch in Berlin keineswegs verbreitet war. Im Gegenteil glaubten die meisten, daß die verbündeten österreichischen und mittelstaatlichen Streitkräfte den unsrigen überlegen seien. Die allgemeine Stimmung war gedrückt.

      Den zum Krieg führenden Schritt that Graf Mensdorff am 1. Juni, indem er die Entscheidung über Schleswig-Holstein in die Hand des Bundes legte und demselben die bevorstehende Einberufung der holsteinischen Stände anzeigte.

      Moltke wünschte natürlich baldige Kriegserklärung, um den Gegnern nicht die Zeit zur Vollendung ihrer Rüstungen zu lassen. Der König aber befahl, den Verlauf der Sache am Bundestage abzuwarten.

      Bismarck protestierte gegen den österreichischen Antrag durch einen Erlaß an