Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806242683
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Verschiebungen österreichischer Truppenteile nach Norden, erklärte, daß solcher Bedrohung gegenüber wir Deckungsmaßregeln würden ergreifen müssen, und fragte, ob, im Falle sich hieraus ein österreichischer Angriff entwickele, wir auf die Hilfe der Bundesgenossen zählen dürften.

      Endlich am 27. März, in der dritten Woche nach dem Beginne der österreichischen Rüstungen, beschloß ein Ministerrat unter Vorsitz des Königs: Armierung der schlesischen Festungen, Ankauf von Artilleriepferden und Verstärkung einiger Truppenteile um im Ganzen 11.000 Mann, jedoch keinerlei Vorschiebungen von Truppen nach der Grenze hin.

      Alle diese Vorgänge verringerten das natürliche Mißtrauen des Generals Govone und des italienischen Gesandten Grafen Barral. Die italienischen Wünsche in Betreff der zum deutschen Bundesgebiete gehörigen Bezirke von Trient und Triest lehnte Bismarck zwar entschieden ab, stellte aber die Erwerbung Veneziens in sichere Aussicht. Zugleich betonte er wiederholt, daß es lediglich von Italiens Entschließung in Betreff des Vertrages abhänge, ob es zum Kriege komme oder nicht, da der Weg zur Verständigung noch immer offen sei. Nachdem nun auch der Kaiser Napoleon dem italienischen Minister dringend empfohlen hatte, den Vertrag abzuschließen, kam es endlich am 8. April zu einem Bündnis auf drei Monate, während welcher Italien in den Krieg eintreten sollte, falls in dieser Frist Preußen eine Kriegserklärung gegen Oesterreich verkündete.

      * * *

      Am Tage nach der Unterzeichnung des italienischen Bündnisses erhielt Savigny telegraphische Weisung, den seit längerer Zeit vorbereiteten Antrag auf Einberufung eines aus direkter Volkswahl hervorgehenden Parlamentes in der Bundesversammlung einzubringen.

      Wie erwähnt, hatte Bismarck schon im März 1862 (in Petersburg) von der Nützlichkeit eines deutschen Parlamentes gesprochen, und im September 1863 hatte auf Antrag des Staatsministeriums der König den Bundesfürsten erklärt, daß ein Parlament zu den Vorbedingungen gedeihlicher Bundesreform gehöre. Ein fester Plan über die Gestaltung der Reichsverfassung war jedoch bei Einbringung des bezüglichen Antrags an den Bundestag noch nicht gefaßt.

      Friedjung meint (I, S. 161), daß Bismarck „mit Lothar Bucher42 den Plan zu einer deutschen Reichsverfassung unter thätiger Mitwirkung der Nation“ entworfen habe. Diese Vermutung bedarf der Widerlegung, weil sie ein unrichtiges Bild von Bismarcks Schaffen geben kann. Nur beiläufig sei erwähnt, daß Bucher damals ausschließlich mit der Verwaltung von Lauenburg beschäftigt war und erst im Dezember 1866 zur Ausarbeitung der Verfassung des Norddeutschen Bundes herangezogen worden ist; wichtig aber scheint mir, festzustellen, daß Bismarck, soweit meine Wahrnehmungen reichen, niemals irgendeinen Plan in Gemeinschaft mit einem seiner Räte erwogen oder entworfen hat.

      „Zu erfinden, zu beschließen,

       Bleibe, Künstler, oft allein.“

      Bismarcks Künstlernatur forderte einsames Schaffen. Sein überreicher Geist bot ihm für jedes Problem verschiedene Wege der Erfindung und des Rats. In der heißen Glut seiner Vaterlandsliebe schmolzen auch spröde Stoffe, so daß er sie kneten und formen konnte. Bei dieser rastlosen inneren Arbeit war ihm der Rat anderer Menschen unwillkommene Störung. Immer bestrebt, zu lernen, nahm er thatsächliche Mitteilungen gern entgegen, ließ auch die täglich durch Menschenverkehr, Geschäfte und Presse herantretenden Eindrücke unbefangen auf sich wirken, verhielt sich aber kritisch oder ablehnend, wenn irgendjemand Rat zu geben versuchte. In Kleinigkeiten konnte er auch fremde Gedanken gelegentlich benutzen; so ließ er in Abekens Entwürfen manche nicht von ihm angegebene Nebengedanken desselben gelten; in den wesentlichen Zügen aber wie in allen wichtigen Fragen kam das fast niemals vor. Nur eines solchen Falles kann ich mich erinnern. Im Jahre 1871 bei Vorbereitung der preußischen Kreisordnung geschah es, daß er einige Vorschläge, die Gneist ihm abends in seinem Kabinett unterbreitete, guthieß und in amtliche Behandlung nahm.

      Seine Ziele waren, wie bekannt, anfangs die Sicherung und Erhöhung der preußischen Macht, dann die Gründung eines norddeutschen Bundesstaates.

      Für jede der tausendfachen Aufgaben, die auf den Wegen dahin herantraten, fand er mehrere Lösungen. Hatte er darunter gewählt, was oft in wenigen Minuten, manchmal aber erst nach jahrelanger Ueberlegung geschah, so mußte er in den meisten Fällen seine Ansicht dem Könige annehmbar zu machen versuchen, in anderen, weniger häufigen seine Kollegen, die Staatsminister, von der Richtigkeit seiner Auffassung überzeugen.

      Die in jenen Jahren tägliche Wiederkehr der mündlichen Vorträge beim Könige erleichterte sehr, daß etwa hervortretende Gegensätze der Anschauungen sich ausglichen. Gewöhnlich war ihm die Stunde von 4 bis 5 Uhr, in der er dem schwärmerisch verehrten Herrn vorzutragen pflegte, die erfreulichste des Geschäftstages. Dennoch kam es, wie bekannt, mitunter zu ernsten Friktionen. In seltenen Fällen lehnte der König seine Anträge völlig ab wie in der erwähnten Frage der Ablösung persönlichen Militärdienstes durch Stellvertretungsgelder. Häufig aber kam es vor, daß der König seinem Antrag eine etwas veränderte Richtung gab. Bismarck brauchte mitunter das Bild, es sei durch die Einwirkung des königlichen Willens auf den seinigen wie im Parallelogramme der Kräfte die praktisch richtige Diagonale gefunden worden. Wäre es möglich, derartige Thatsachen nachträglich festzustellen, so würde vermutlich meine Meinung sich als richtig erweisen, daß der Einfluß Seiner Majestät auf Bismarcks politische Entschlüsse ein viel bedeutenderer gewesen ist, als von vielen angenommen wird.

      Widerspruch seiner Kollegen im Staatsministerium war ihm äußerst unerfreulich. Vielerfahrene Sachverständige zu überzeugen ist schwierig; darüber hat er oft geklagt. Die kollegialische Verfassung des preußischen Staatsministeriums, in welchem Stimmenmehrheit entschied, war ihm ein Gräuel. Er hätte in allen Staatsgeschäften zu seiner Hilfe nur Sekretäre gewünscht, wie es seine vortragenden Räte thatsächlich waren. Die Opposition des Landtages war ihm natürlich auch unangenehm, verstimmte ihn aber, wie mir schien, lange nicht so sehr wie die der Minister.

      * * *

      Als am 9. April 1866 in Frankfurt der Antrag auf ein deutsches Parlament eingebracht wurde, lag noch kein Bundesverfassungsentwurf vor. Bismarck sah voraus, daß Verhandlungen über einen solchen am Bundestage nie zu Ende kommen würden, und machte deshalb zuerst nur den Vorschlag, sogleich einen festen Termin für die Einberufung des Parlaments zu beschließen. Erst auf Bitten vonseiten befreundeter Höfe ermächtigte er Savigny, in der Bundesversammlung am 11. Mai mündlich einige Grundzüge der künftigen Bundesverfassung mitzuteilen. Die Mäßigung in diesen Andeutungen ging so weit, daß eines künftigen Bundesoberhauptes gar keine Erwähnung geschah. Savignys Mitteilungen machten einen so günstigen Eindruck, daß man trotz des Widerspruches von Oesterreich und Darmstadt beschloß, neue Instruktionen einzuholen.

      Im April wurde der preußische Antrag auf Einberufung eines deutschen Parlamentes fast überall mit Mißtrauen und Hohn begrüßt. Nur die zweite Kammer Badens erklärte sich einverstanden. Aber beispielsweise die in Neumünster versammelten Ausschüsse schleswig-holsteinischer Vereine weissagten wörtlich: „Es steht fest, daß ein Gewährenlassen der verabscheuungswürdigen Politik des preußischen Kabinetts Deutschland unrettbar dem tiefsten Verfall preisgeben würde.“

      An der Pariser Börse gab es Panik und starke Verluste einflußreicher Leute. Allgemein wurde nicht Oesterreich, welches die Rüstungen begonnen hatte, sondern Preußen, welches den Status quo verändern wollte, als der Störenfried angeklagt, und wohl mit Grund. Als Goltz wegen einer möglichen Aenderung unserer Politik anfragte, antwortete Bismarck, es wäre höchst bedenklich, Systeme und Ziele willkürlich zu wechseln, besonders aber, Entschließungen, deren Durchführung mit Gefahren verknüpft sei, bei Annäherung der Gefahr wieder aufzugeben.

      Nach dem ersten bescheidenen Anfang unserer am 27. März beschlossenen Rüstungsmaßregeln wurde von Oesterreich eine Korrespondenz wegen beiderseitiger Abrüstung eingeleitet. Eine der bezüglichen Depeschen (vom 7. April) war inhaltlich so wenig begründet und in der Form so hochfahrend, daß der russische Gesandte, Baron Oubril, welcher für den Frieden zu wirken angewiesen war, seinen Wiener Kollegen ersuchte, bei Mensdorff die Zurückziehung dieses Schriftstückes anzuregen. Das gelang natürlich nicht; Bismarck aber antwortete in höflichem Tone, unsere Abrüstung würde Zug um Zug der österreichischen folgen.

      Da wurde in Wien plötzlich die Mobilmachung