Traumprotokolle. Christof Wackernagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christof Wackernagel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783866747821
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      Ab 17. Juli 2011

      − eine Kommode aus fünf Schubladen, frei schwebend, ohne Außenseiten, die oberen beiden Schubladen nach links hin ums Doppelte verlängert –

      – ein Theater, das so gebaut ist, dass man durch den Säuleneingang auf einem Hügel die Villa der Sponsoren sehen kann, die im selben Stil gebaut ist, es ist also um den Säuleneingang, der ein Säulendurchgang ist, herumgebaut, völlig unpraktisch, aber die angeblich anonymen Spender wollen damit dann ganz toll dastehen • alle schmeißen alles weg, ich steige ganz aufs Dach hoch, um bei mir auch wirklich alles zu holen, die letzten Reste, Kästchen und Schachteln, in denen noch irgendwas drin ist, steige bis in den obersten Stock das letzte Stück mit einer Leiter hoch und sehe, wie alle Leute wegrennen und alle Leute alles wegschmeißen, es ist offenbar der Weltuntergang, aber kein Drama, keine Panik, keine Katastrophe oder so, sondern alles ganz normal, routineartig, also alles Wertvolle und so kommt richtig auf einen Haufen und ich brauche es gar nicht runterzunehmen bis ins Parterre, sondern schmeiße es vom obersten Stock beziehungsweise vom mittleren Stock aus gleich über das Geländer runter auf einen Haufen, aber nicht das Kästchen gesamt, sondern ich mache das Kästchen auf, leere es aus und werfe es dann hinterher und denke dabei, dass, wenn dann doch noch jemand weiter da wäre, der da drin rumwühlte und suchte, der dann wahnsinnige Sachen finden würde; es ist zwar Weltuntergang, aber nicht weiter schlimm, nur so, als müsste man vorher noch aufräumen • Ballspiel, bei dem jede Übergabe des Balls noch etwas Soziales bedeutet, nämlich einmal, so wie ich es sehe, wird der »jüdischen Sau« der Ball abgenommen, dann drehen sie sich um und der, der den Ball hat, sagt, »wir wollen der jüdischen Sau die Hose ausziehn« • ich will mit dem Auto fahren, wir sind aber mit dem Fahrrad unterwegs und müssen jetzt die Fahrräder noch abstellen, die anderen warten so lange mit dem Auto, es ist ein riesiger Platz, ein ansteigender italienischer Platz mit einer Erhöhung und oben ist ein Straßencafé, vor dem Frauen Ball spielen, schmale, lange, elegische, intellektuelle Frauen mit dünnen Zigaretten im Mund, worüber ich mich wundere, denn das nimmt ihnen doch die Luft zum Spielen, und eine schaut mich in einer Weise an, bei der man merkt, dass sie geistig ganz woanders ist, wenn nicht sogar unter Drogen, schaut sozusagen leer durch mich durch; ich will die Fahrräder hinten abholen, um sie nach Hause zu bringen und dann wegzufahren, aber dass ich jetzt auch noch die Fahrräder wegbringen soll, finde ich ziemlich blöd, das mach ich nicht nochmal, weil alle das Vergnügen haben, und ich muss die ganze Arbeit machen, damit es möglich gemacht wird, und zu Hause muss ich dann auch erstmal viel machen, um die abzugeben, muss erstmal warten und eine Grundsituation herstellen, was auch wieder wahnsinnig viel Zeit wegnimmt • Walter Benjamin geht da, nachdenklich, die Hände auf dem Rücken, vornübergebeugt durch das Dorf, das Tjenle sein könnte • nur damit das Geld zurückgezahlt werden kann, muss ich alles stehen und liegen lassen, und obwohl das nicht viel Geld ist, passiert gar nichts und es ist auch ganz einfach, wie das gemacht wird: es sind zwei Schalen, kalebasseartige Schalen, die nebeneinander stehen, eine etwas höher als die andere, und das Geld läuft dann von der höheren in die untere –

      – im Norden Wiederholung von »Abschnitt 40«, ich hoffe, dass viele anrufen und hinterher was von mir wollen, ich bin Maß »Kloß«, sozusagen im Anhang von Lüdke beim Botschafter, bei dem auch noch andere Leute sind, und der Typ, der mich begleitet, sagt: »pass auf, es wird alles geklaut, halt alles fest!« ich habe ein »Baja« auf dem Schoß und er sagt: »ich will die ganze Zeit an deren Koffer, sonst sind die weg!« und ich muss auch darauf achten, dass ich genügend Batterieladung im Telefon habe, um die ganzen Interviews per Telefon geben zu können, ich bekomme vielleicht neue Rollen, wenn das jetzt wiederholt wird, obwohl es nur im Norden ist und nur eine Wiederholung; ich kann alleine in die Botschaft rein, die anderen müssen warten, ich muss aber durch eine Schleuse, die ein Glaskasten ist, der über dem Abgrund hängt, wodurch die Sache relativ gefährlich ist, wenn man da runterfällt, aber ansonsten lassen sie mich ohne weitere Kontrollen rein, ich muss nur durch diese Schleuse und über eine Distanz über dem Abgrund hineinspringen, aber wie wir noch vor der Botschaft alle warten, spricht eine Frau die Besitzerin von »Miniprix« auf Deutsch an und will mit ihr reden, was diese genervt lächelnd von sich weist, sich leicht abwendend, ein gebrochenes Deutsch, obwohl diese Frau noch von wo ganz anders herkommt, eher eine Araberin ist mit ihrem Kopftuch, die Frau von »Miniprix« antwortet kurz auf Deutsch, findet es aber eine Zumutung, Deutsch sprechen zu sollen beziehungsweise angesprochen zu werden, bloß, weil diese Frau damit zeigen will, dass sie Deutsch kann, ich wundere mich, dass die Frau von »Miniprix« Deutsch kann, und ich verstehe sehr gut ihre Reaktion auf dieses blöde Getue von der Frau, die nur zeigen will, dass sie Deutsch kann, obwohl sie eigentlich zu einem Ministerium gehört und eine Umfrage macht, was sie ganz normal auf Französisch fragen könnte, aber sie ist ganz impertinent und redet weiter Deutsch, und die Frau von »Miniprix« antwortet dann eben genervt lächelnd, zuckt die Achseln und guckt mich Einverständnis heischend an, wie blöd diese Frau ist, die ihre Fragen auf Deutsch stellt • wir sitzen und die »Säcke« wandern über meinen Schoß, bevor sie zum Klärungstermin gehen, geht auch relativ schnell; es gibt keine Besitzerin für italienischen »Nazuwahn« • eine Frau geht in die Maske und sprüht eine Frau, die auf einem Stuhl vor der Maske sitzt, voll mit einem Spray zu, so dass die komplett eingenebelt ist und wütend zu mir sieht, der ich weiter hinten sitze und mir das ansehe – und das macht kein Mensch wirklich richtig, dass die andere Masse zu mir kommt –

      – alle Dateien auf Stand bringen, je eine Kopie für Ebby, alles schon gemacht, eine Kopie für Karin von Ebby • werde mit dem Bus zur Maske gefahren, warte dort brav, bis ich drankomme, viele andere Kollegen dabei und die drängen sich rücksichtslos vor, aber sie sind auch schon im Kostüm, mittelalterliche, länglich schmale Gestalten zum Teil mit Federn, ich bin total beleidigt und gehe voraus und zeige Fotos von »die Lücke« und zwar sind das drei Hochhäuser, riesige Hochhäuser, die ziemlich ähnlich sind, gleiche Architektur, leicht versetzt hinter beziehungsweise nebeneinander gebaut, und sie haben oben einen Aufsatz, sozusagen ein draufgesetztes letztes Stockwerk, das bei zweien schon ausgebaut ist, während von dem dritten nur die Pfosten schon stehen, und die Frau, der ich das zeige, sagt: »aber das ist das doch gar nicht!«, und dann mache ich sie darauf aufmerksam, dass es das dritte ist, was »die Lücke« ist, da, wo nur die Pfosten stehen, das Stockwerk selbst aber noch nicht gebaut ist; bevor es Catering gibt – ich habe schon ziemlichen Hunger –, bekomme ich einen A4-Bogen mit aufgedrucktem Essen, also kleinen Fotos, auf denen das Essen zu sehen ist, die in viereckigen Häppchen gedruckt sind, was wiederum ausgestanzt ist auf diesem Bogen, der ein Aufkleber-Bogen ist, von dem man diese ausgeschnittenen beziehungsweise stanzmarkierten Essen ablösen kann und irgendwo anders aufkleben, und das ist dann das Essen, es ist aber klar, dass das nur Dekoration ist, man kann es nicht essen, aber danach fahre ich dann nochmal mit einem anderen Bus zur Maske, der hinten voll ist mit Statisten, die Bullen spielen, während ich vorne drin sitze, und wie wir am Set ankommen, stehen draußen schon ganz viele andere Bullenstatisten, die mich von anderen Drehs – vor allem natürlich »Abschnitt 40« – kennen und sagen: »ja, die Silke oder Silvia« – kann mich an die Frau nicht erinnern – »die bei ›Abschnitt 40‹ auch als Bullenstatistin mitgemacht hat, ist auch da, die wird sich bestimmt freuen, dich zu sehen«, woraufhin sie sie holen, sie auch ganz schnell kommt, aber wie sie auf mich zukommt, schaut sie mich immer ratloser an, erkennt mich nicht, versucht, sich zu erinnern, es kommt aber nichts, weshalb ich sage: »ich bin’s! ich bin’s!«, aber sie guckt mich nur fragend an und kriegt es nicht zusammen und ich sage zu den anderen halb lachend: »ja, die erkennt mich wahrscheinlich nur, wenn ich die Uniform anhabe!«, und ich sage: »die Leute glauben das ja gar nicht«, da wird Heio von Stetten leicht ärgerlich und sagt: »dann sollen sie doch zum Set kommen, dann werden sie schon sehen!« und die Teamleute essen beim Catering und nicht beim normalen Essen und als ich dann komme, ist alles schon weg, die ganzen geschmierten Brötchen und Häppchen, alles weg, und zwar nur von den Teamleuten, nicht von allen –

      – in ganz Schweden wird nicht mehr gefickt, angeblich, es wird jedenfalls offiziell so behauptet, das heißt, in Wirklichkeit müssen die Schweden es heimlich und ganz leise tun • ich erzähle Karin, dass Ebby erzählt hat, wie seine Tochter ihn geküsst hat und er das immer nicht genießen konnte, nicht annehmen konnte, ich sehe ihn, wie er etwas starr mit seinem unrasierten Gesicht dasaß