Traumprotokolle. Christof Wackernagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christof Wackernagel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783866747784
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Dezember 1982

      − das Weiß im flüsssigen Tip-ex auf Wasserbasis beginnt plötzlich, sich aufzulösen, es ist peinlich genau zu erkennen, wie es unverhinderbar verschwindet und nur noch Wasser übrig bleibt; ich fühle mich in meinen Befürchtungen bestätigt: ist also doch Scheiße, das Zeug, Schein –

      – im Flugzeug nach Brasilien fliegen wir dicht über einer Großstadt in unmittelbarer Erwartung der Landung, aber plötzlich steigt die Maschine steil an, dicht an einem Wolkenkratzer hoch und fliegt weiter, der Pilot scheint den Flughafen nicht zu finden, wir fliegen an der Meeresküste entlang und der Sprit droht auszugehen – ich sehe im Film, dass die Maschine abgestürzt ist, aber es ist niemandem etwas passiert, der bunte Haufen der Passagiere watet unversehrt durch die letzten Meter ans Ufer, auf dessen Böschung oben zwei flache, bunte Holzbauten stehen, verschlossen, abweisend, und als die Gesellschaft dort ankommt, tritt eine Frau aus der Tür, breitet ihre Arme wie eine Priesterin aus und sagt: »unsere Männer sind weg«, lässt aber alle eintreten, und eine gezwungen scherzhafte, peinliche Atmosphäre entsteht, ich sehe mich selbst auch im Film, und denke, dass das ein böses Omen für meinen demnächst geplanten Flug ist –

      – ich komme in ein Bauernhaus, in dem eine elitäre, arrogante Gruppe lebt, die in harte Kokaindeals verwickelt ist, und sofort entbrennt eine heftige Liebe zwischen einer Frau aus der Gruppe und mir, und in dem Schlafzimmer der Gruppe, das mit zwei Etagen vollflächiger Matratzen ausgelegt ist, entsteht ein lautstarker Krach meinetwegen, dem ich draußen stehend zuhöre, während ich auf sie warte, bis sie ihre Koffer gepackt hat, um auszuziehen; ihr Freund, ein blonder, schlacksiger Mann mit Gesichtszügen, die früher als »aristokratisch« bezeichnet worden wären, heute aber eher eingebildet wirken, versucht verzweifelt, sie zurückzuhalten, »das kannst du nicht machen, nach fünf Jahren« – ich stehe immer noch im Treppenhaus, sie reagiert überhaupt nicht und packt weiter ihre Koffer, dann greift er mich an, erst gehe ich nicht darauf ein, dann schlage ich zurück; die anderen aus der Gruppe, die zwischen Parteinahme für sie und ihn schwanken, aber mehr zu ihr neigen – mich jedoch fast völlig ignorieren – trennen uns, er schlägt immer wilder um sich und wird nun von seinen eigenen Leuten zusammengeschlagen, wobei deutlich ist, dass es nicht nur um die Liebesgeschichte geht, sondern auch darum, dass kein Aufsehen erregt wird, und als er zusammengekauert am Boden liegt, nimmt sie ihn und wirft ihn aus dem Fenster, aber irgendjemand hat alles verraten – plötzlich sind überall Bullen –

      – wir sind in einer linken Druckerei in Frankfurt, einer Mischung aus ID und Trikont, und der Obermacker ist beleidigt, dass er in einer Protesterklärung von Ebby nicht im Kontext der anderen linken Gruppen aufgezählt ist; ich kritisiere ihn, und er wird ausgelacht –

      – eine Musterausstellung einer hypermodernen Kleindruckerei, in der Schreibmaschinen, Computer und Druckmaschinen mit armdicken Kabeln und videosteckerartigen Kupplungen verbunden sind –

      – wir sitzen zu mehreren im fünften Stock einer Altbauwohnung, Willy und Barbara sind auch dabei, alle haben Shit, und plötzlich ist Bullenalarm, jeder versteckt seinen Shit zwischen Kleidungsstücken oder ähnlichem, aber dann war es doch Fehlalarm; wir lassen unseren Shit dann trotzdem versteckt, und ich kaufe neuen, Barbara will etwas von mir, aber ich habe nicht genug, weil ich auch noch anderen etwas abgeben will, weswegen ich ihr doch etwas von meinem versteckten abgeben will – und muss feststellen, dass er weg ist, aber der neue ist auch weg, während schon wieder Bullenalarm war, der sich auch als Fehlalarm entpuppte, nachdem wir den Shit gerade versteckt hatten, und jetzt stellt sich heraus, dass einer extra den falschen Alarm gegeben hat, um den Shit klauen zu können – da bricht die äußere Hauswand ab, und eine kleine Treppe führt ins Nichts; einer will dort hinauf, um sich hinunterzustürzen, ich kann ihn gerade noch zurückhalten – der Dieb und/oder Mörder schleicht sich unten im Parterre herum und will ein dort stehendes Auto aufschweißen, aber ich lauere ihm auf und schlage ihn mit einem riesigen Schraubenschlüssel nieder, will ihn nur außer Gefecht setzen, habe ihn aber wahrscheinlich getötet und renne verzweifelt auf die Straße, wo keiner etwas merkt –

      – in den Hof kommt ein Leiterwagen gefahren, in dem ein Mann mit Hund und Geige sitzt; die Wächter wollen ihn vertreiben, aber er bleibt hartnäckig in der Ecke bei den Mülltonnen stehen, und ich frage mich, ob das ein Trick der Wächter sein soll, um unser Vertrauen zu bekommen, da springt der Hund aus dem Wagen, und der Geiger fängt an zu spielen, auf tiefen, labbrigen, durchhängenen Saiten; wir stehen am Rand der Wiese und schauen zu, und neben ihm ist ein Monitor aufgebaut, auf dem ein Videoband zu sehen ist, in dem zu einem Adorno-Zitat die Kinder aus der Schlosserstraße spielen: wir sind begeistert, völlig von den Socken, wie gut das passt, wie treffend das illustriert ist, und Gert kippt rückwärts um, weil er es kaum fassen kann, wie toll es ist –

      – Rudolf Augstein beschwert sich bei mir, dass seine Zimmernachbarin so laut ist, und ich wundere mich, dass er es nötig hat, in seinem riesigen Haus jemanden zur Untermiete zu haben –

      – ich fliehe unter anderem durch einen See, und kann dann eine Ruhepause bei Rosemarie Fendel einlegen, die verbittert in einem großen Haus am Berghang lebt, umgeben von lauter Smokinggekleideten Musikern à la James Last –

      – gerade zwei Wagen voller Zeugs gepackt habend, stelle ich fest, dass ich nur noch fünfzehn Mark dabei habe, und das, nachdem ich vorher lange Theater wegen Schwarzbrot gemacht habe, weil es nur geschnittenes weißes gab, aber dann bin ich mit Schweinberger in einer Lagerhalle, in der Blocks und andere Papiere auf Paletten gestapelt liegen, von denen wir uns welche klauen, woraufhin wir abhauen, zwei andere, die mit uns sind, folgen später und werden auch nicht erwischt, und neben einem heruntergekommenen Gartenhäuschen an einem Fluss klauen wir einen dort stehenden verrosteten Citroën, eine alte Flunder, die aber kaum größer als ein Spielzeug ist, höchstens einen halben bis einen Meter lang –

      – der ÖTV-Vorsitzende Heinz Klunker hetzt auf der anderen Seite entlang, schlank und rank wie ein junges Reh –

      – im großen Haus einer Gruppe suche ich abends etwas zum Schlafen und finde einen Platz neben einer Frau zwischen Julia und Angelika, wobei irgendwelche Hoffnungen sofort zunichte gemacht werden: ihr Freund komme noch, und sie wollten zusammen noch etwas lesen – ich bin genervt, weil es schon so tief in der Nacht ist, dass es bald hell wird, und ich fürchte vor allem, dass sie hinterher auch noch ficken wollen, und ich dann erst recht nicht schlafen kann, und so lege ich eine alte Fleetwood-Mac-Platte, die ich gekauft habe, weil sie neu aufgelegt worden war, in Rot, auf, und während wir sie hören, kommt dieser Freund, der sogar ganz nett ist, und die beiden sind auch nicht besonders intensiv zusammen – jetzt stellt sich auch heraus, dass das Ganze ein Knast ist, und er noch bis 1993 sitzen muss; unten sind Besuchsräume, in denen zum Teil beichtstuhlartige Holzgehäuse stehen, aus hellem, dünnen Holz, wo man aber problemlos etwas durchstecken könnte, sogar bei den am meisten geschlossenen, die für die gefährlichsten Gefangenen sind, und in einem dieser Gehäuse sitzt eine verschüchterte Frau, die verrückt ist, aber ich habe am Straßenrand eine Bretterbude, ein slumartiges Gebilde, das einen kleinen Hof hat, in dem ich sitze und wo mich zwei Männer besuchen, mit denen ich mich verlegen angrinse: wir wissen nicht, ob wir uns freuen sollen oder nichts zwischen uns ist; sie haben Shit dabei, so offen und nur leicht verpackt, dass es jeder sehen kann –

      – die Dreharbeiten zu Cleopatra erkenne ich daran, dass die Sklaven von Afrika über eine Landzunge nach Europa rennen müssen und dort erstmal einen steilen Berg hoch; wir stehen seitlich an einem Hang, und Gert glaubt es nicht, bis eine Lokomotive vorbeikommt, auf der ein ehemaliger Kollege von mir steht, mit dem ich mich distanziert-interessiert begrüße und der bestätigt, dass es sich tatsächlich um die Dreharbeiten zu Cleopatra handelt, Beweis: auf der Lokomotive steht das Jahr 100 nach Christus – die Kritiker des Films bemängeln, dass die Sklaven in dieser kurzen Zeit keinen derart langen Weg hätten laufen können und dies außerdem nicht jeden Morgen hätten tun müssen, aber Gert und ich gehen den Berg hoch und kaufen dort an einem Stand Obst, lauter einzelne Stücke, einen Apfel, eine Banane etc. –

      – in einem großen Zimmer, in dem ich mit irgendeiner Frau bin und male und auf irgendetwas warte, kommt plötzlich Angela mit einer Frau, mit der sie Umschluss hat, alles ist normal, aber wir reden keinen Ton über die RAF oder Ähnliches, und ich habe ein schlechtes Gewissen – auf der Straße sehen wir, wie