Katharina füllte Wasser in die Kaffeemaschine auf dem Küchentisch und maß sorgfältig die notwendige Menge gemahlenen Kaffees ab, bevor sie ihn in den Filter gab. Dann setzte sie den Plastikdeckel auf und schaltete das Gerät ein. In Gedanken versunken stand sie da und blickte abermals auf den Kalender. Weshalb mussten die Tage und Wochen immer so schnell vergehen? In solchen Momenten sehnte sie sich nach den alten Zeiten bei der Polizei zurück. Der Job war zwar anstrengend und Überstunden an der Tagesordnung, aber das Gehalt kam immer pünktlich aufs Konto.
Gerade als der Kaffee fertig war, klingelte das Telefon. Sie schaltete die Maschine aus, ging in den Flur und hob den Hörer ab.
„Ledermacher“, meldete sie sich.
„Arno Drews von der Casibus-Versicherung. Es geht um einen Auftrag.“
„Was kann ich für Sie tun?“
In wenigen Worten erzählte ihr der Anrufer, worum es ging.
„Wie kommen Sie ausgerechnet auf mich?“, erkundigte sich Katharina. „Sie haben in Ihrer Firma doch bestimmt geeignete Leute.“
„Zugegeben, Rudolf Thielke kennt sich gut in Berlin aus, aber er ist ein Schreibtischmensch. Ich brauche außerdem jemanden, der sich um die anderen Aspekte kümmert. Verstehen Sie, was ich meine? Für unsere Gesellschaft steht eine Riesensumme auf dem Spiel. Außerdem haben Sie schon einmal für uns erfolgreich einen Fall bearbeitet. Die Sache Kempter. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch daran erinnern?“
„Der Geschäftsmann, der seinen Laden abgefackelt hatte.“
„Ja, genau. Sie konnten damals beweisen, dass er der Täter war. Und deshalb glaube ich, dass Sie die Richtige für den Job sind.“
„Ich verstehe“, entgegnete Katharina. „Aber weshalb schalten Sie nicht die Polizei ein?“
„Anordnung von den Erpressern.“
„Ja schon, aber das sagen die doch immer. Ist sozusagen ein Standardspruch.“
„Wenn wir die Polizei einschalten, wird die Presse über kurz oder lang davon Wind bekommen. Und das möchte ich unter allen Umständen vermeiden. Eine negative Berichterstattung ist das Letzte, was unsere Gesellschaft im Augenblick gebrauchen kann. Außerdem dauert es dann vermutlich nicht lange, bis wir es mit Trittbrettfahrern zu tun bekommen.“
„Das sehe ich ein.“
„Kurz nach zweiundzwanzig Uhr wird unser Mitarbeiter Sie abholen und zu Kurt Brankov bringen. Sonst noch Fragen?“
„Vorläufig nicht.“
„Gut, dann ist ja alles in Ordnung. Auf Wiederhören, Frau Ledermacher.“
6
Um zweiundzwanzig Uhr an diesem Abend verließ Katharina ihre Wohnung, lief die Treppen hinunter und trat auf die Straße. Man erwartete sie bereits. Am Bordstein parkte ein schwarzer BMW. Der Chauffeur hielt ihr die Tür auf und wartete, bis sie eingestiegen war. Dann schloss er die Tür, setzte sich hinter das Steuer und fuhr los. Außer Katharina gab es noch einen Fahrgast. Neben ihr auf der Rückbank saß ein Mann, dem man den Büromenschen schon von Weitem ansah. Er hieß Rudolf Thielke und arbeitete für die Casibus-Gesellschaft, bei der Brankov seinen Film versichert hatte.
„Endlich mal wieder in Berlin“, sagte Thielke. „Und noch dazu auf Kosten der Firma.“
„Und wo werden Sie wohnen?“
„Man hat mir ein Zimmer im Hilton reserviert. Sie haben doch nichts dagegen?“
„Warum sollte ich?“, fragte Katharina.
Zwanzig Minuten später bog der Wagen in eine geschwungene Einfahrt im Stadtteil Wilmersdorf ein und stoppte unter einem Vordach, das von vier Säulen getragen wurde. Rudolf Thielke und Katharina stiegen aus. Die Haustür wurde geöffnet, und ein hagerer Butler mit gestreifter Weste erschien.
„Herr Brankov und Herr Joswig erwarten Sie bereits“, verkündete er steif. „Sie sind doch von der Versicherung, nicht wahr?“
Katharina nickte, und sie folgten dem Butler in ein gemütlich eingerichtetes Zimmer. Brankov und Joswig erhoben sich, als die beiden den Raum betraten. Thielke stellte Katharina und sich vor.
„Sie sind Privatdetektivin?“, fragte Joswig und hob überrascht die Augenbrauen.
„Stimmt“, bestätigte Katharina. Sie wandte sich an Brankov. „Soviel ich weiß, wurde in Ihrem Kopierwerk die erste Hälfte eines Spielfilms gestohlen. Haben Sie bereits einen Verdacht? Könnte eventuell die Konkurrenz dahinterstecken? Oder möchte Ihnen jemand schaden?“
„Weder das eine, noch das andere“, erwiderte Joswig und berichtete von dem Anruf am Nachmittag. „Es handelt sich um eine verdammte Erpressung.“
„Öfter mal was Neues“, sagte Katharina. „Und was haben Sie dem Anrufer erwidert?“
„Ich habe ihn einen Lügner genannt. Außerdem wollte er noch mal anrufen.“
„Gut, dann warten wir auf seinen Anruf“, entschied die Detektivin. „Haben Sie einen Kassettenrekorder im Haus, damit wir das Gespräch aufnehmen können?“
Joswig lächelte. „Natürlich, er ist bereits angeschlossen. Immerhin produziere ich Kriminalfilme.“
„Dann sollten Sie auch wissen, dass es besser ist, die Polizei einzuschalten.“
„Auf keinen Fall“, wehrte Joswig ab. „Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Medien davon Wind kriegen. Und eine schlechte Presse ist das Letzte, was ich zur Zeit gebrauchen kann.“
„Andererseits wäre es aber auch eine gute Werbung für Ihren Film“, meinte Brankov.
„Genau da liegt das Problem. Die Medien werden behaupten, ich hätte das alles absichtlich inszeniert, um den Film zu promoten.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, die Polizei bleibt vorläufig außen vor.“
„Das wird nicht so einfach sein“, gab Katharina zu bedenken. „Sie sollten wissen, dass die Polizei schon aus Rechtsgründen verpflichtet ist, alle notwendigen Maßnahmen zur Aufklärung der Straftat zu treffen.“
„Darüber bin ich mir im Klaren. Aber mir geht es in erster Linie darum, die Negative unbeschadet zurückzubekommen. Die Ermittlung der Täter ist zweitrangig.“
„Wie hoch bemessen Sie den Gesamtschaden?“
„Auf rund drei Millionen D-Mark“, antwortete Joswig. „Und eine Million fordern die Diebe für die Rückgabe der Filme.“
„Das ist zu viel“, schaltete sich Thielke ein. „Ich habe oft ähnlich gelagerte Fälle bearbeitet. Wenn es sich um Werte handelt, die ins Ausland verschoben werden können, gehen wir meistens auf die Zahlung der Hälfte des Marktwertes ein. Damit umgeht meine Firma die Auszahlung des vollen Versicherungsbetrages. Wir erledigen das immer ohne die Einmischung der Polizei und erstatten erst hinterher Anzeige. Damit bringen wir dem Bestohlenen sein Eigentum zurück und müssen nur den halben Verlust tragen. Hier liegt der Fall jedoch anders. Die Diebe können mit den Filmdosen nichts anfangen. Und darin liegt unsere