Er sah mich an. Und dabei schwieg er einen ziemlich langen Moment lang. Er atmete tief durch. Sein Gesicht bekam einen düsteren Ausdruck.
"Liegt irgend etwas gegen mich vor?", fragte er dann.
"Nicht, dass ich wüsste."
"Bin ich verhaftet?"
"Nein."
"Dann gehe ich jetzt." Er grinste. "Adios, G-man!"
7
"Was wolltest du eigentlich von ihm?", fragte Milo mich einen Augenblick später, nachdem der junge Mann mit schnellen Schritten die Straße entlanglief.
Ich zuckte die Achseln.
"Keine Ahnung. Ich hatte das Gefühl, dass er vielleicht etwas weiß."
"Die wissen hier alle was, Jesse! Das Problem ist, dass dir keiner was sagt. Und schon gar nicht, wenn die ganze Nachbarschaft zuschaut."
Ich schaute ihn an.
"Wo du Recht hast, hast du Recht", murmelte ich.
8
Der Porsche hielt vor dem fünfstöckigen Brownstone-Haus, einer Mietskaserne, die noch aus dem letzten Jahrhundert stammte. Die Adresse lag in East Harlem, wie man das Manhattan nördlich der 96. Straße nannte. Es hieß allerdings bei seinen Bewohnern eher El Barrio - das Viertel. Anderthalb Millionen Puertoricaner lebten hier, während es auf der Insel selbst gerade mal dreieinhalb Millionen waren. El Barrio war Latino-Land, unterbrochen nur von einer anglo-weißen Insel, der Columbia-University. Neben den Puertoricanern hatten sich hier auch andere Einwanderergruppen aus der Karibik und Mittelamerika angesiedelt.
Und Alberto Marias kam ursprünglich auch hier her.
Obwohl er es immer als einen Makel empfunden hatte. Eine Zeitlang hatte er sich daher auch stets als Al Marias vorgestellt.
Aber seine Herkunft war nicht zu verschleiern. Sie klebte an ihm wie ein Kaugummi unter der Schuhsohle. So sehr man sich auch Mühe gab, ihn loszuwerden - ein bisschen blieb immer zurück.
Jetzt lebte Alberto weiter nördlich, in der Bronx. Und er hatte das Gefühl, es endlich geschafft zu haben.
Jedenfalls sagte er sich das. Jemand, der mitten an einem Werktag nur so zum Spaß mit einem Porsche durch die Gegend fuhr, der musste es geschafft haben.
Alberto hupte. Zweimal kurz hintereinander.
Er blickte auf die Uhr.
Eigentlich war er ein bisschen spät dran.
Aber Teresa würde schon auf ihn warten.
Es dauerte nicht lange, bis sich der Eingang des Brownstone-Gebäudes öffnete. Teresa war bildhübsch, hatte langes, leichtgelocktes Haar, das ihr lang über die Schulter fiel. Den Mantel trug sie offen. Das knappe, fast hautenge rote Kleid, das ihre kurvenreiche Figur gut zur Geltung brachte, saß ihr wie angegossen. Alberto hatte es ihr gekauft. Sie stand eigentlich nicht darauf, so aufgedonnert herumzulaufen. Aber Alberto mochte es. Und darum trug sie es.
Alberto stieg aus und machte ihr die Beifahrertür des Porsche auf.
Sie konnte gar nicht den Blick von dem edlen Fahrzeug abwenden.
Alberto grinste.
"Da staunst du, was?"
"Woher hast du denn?"
"Spielt das eine Rolle?"
"Für mich schon."
"Quatsch nicht und setz dich rein." Er zwinkerte ihr zu, "Du musst nicht alles wissen, okay?"
Sie sah ihn nachdenklich an.
Wenig später saßen sie gemeinsam im Wagen. Die Wagenheizung sorgte für angenehme Wärme.
"Ich weiß nicht", murmelte sie.
"Was weißt du nicht? Komm, nimm erstmal eine Prise Schnee, dann wirst du etwas lockerer."
"Nein!" Ihr Tonfall hatte jetzt einen sehr bestimmten Unterton.
Alberto war überrascht.
Und etwas ärgerlich.
"Was ist plötzlich los mit dir?", knurrte er. Er griff über ihre Beine, tätschelte sie kurz und öffnete das Handschuhfach. Er fingerte ein kleines Briefchen mit weißem Pulver heraus. Etwas davon rieselte auf ihre Knie. Alberto machte sich eine Prise des Kokains auf den Handrücken und schnupfte sie dann. Er schloss die Augen anschließend für ein paar Augenblicke.
Dann sah er sie an.
"Jetzt du!"
"Nein!"
"Zier dich nicht so! Du fühlst dich easy hinterher!"
"Nein!"
Er wollte ihr das offene Plastikbriefchen an die Nase halten. Sie wandte den Kopf. "Lass das, verdammt noch mal!"
Sie hob abwehrend die Hand und etwas von dem kostbaren weißen Pulver rieselte in der Gegend herum.
"Verflucht!", schimpfte er. "Meinst du, das Zeug gibt es umsonst!"
"Mein Gott, was bist du mies drauf heute, Al!", stellte Teresa fest. Sie atmete tief durch und zog sich dabei den Mantel vorne zu. Alberto wusste, was das bedeutete. Wenn sie ihm diesen Blick verwehrte, hieß das, dass sie wirklich sauer auf ihn war.
Er zuckte die Schultern.
Dann ließ er den Motor an und fuhr los. "Ich weiß auch nicht", sagte er.
"Ist irgend etwas passiert?"
"Was soll passiert sein?"
Natürlich war etwas passiert. Alberto hatte ständig das Bild des Crack Dealers vor Augen, den er erschossen hatte.
Mit dem Schnee in der Nase ließ sich das etwas besser ertragen, so hatte er gedacht. Es war nicht besser geworden.
"Vielleicht setzt du mich besser gleich wieder ab", sagte sie.
"Wieso das?"
"Mir scheint, du bist heute nicht in der richtigen Stimmung..."
"Ich dachte, wir fahren nach Midtown. Ein paar Klamotten für dich kaufen..."
"Ich habe genug Klamotten."
"Ich hätte nie gedacht, dass 'ne Braut das mal zu mir sagen würde!"
"Und ich hätte nie gedacht, mal in einem gestohlenen