"Weswegen zum Beispiel?"
"Ich wette zum Beispiel, dass Ihr selbstgebastelter Schießprügel nicht registriert ist! Und wer weiß, ob Sie nicht mit den Leuten unter einer Decke stecken, die wir suchen."
Ich trat auf ihn zu.
Wegen der Flinte in seiner Hand war das immer noch ein gewisses Risiko.
Er stellte das Gewehr gegen den Türpfosten.
"Ist sowieso nicht geladen", meinte er. "Kein Geld für Munition. Die letzten Patronen habe ich verfeuert, um die Ratten zu verjagen..."
Ich hielt ihm das Bild noch einmal hin. Er nahm es mit zitternden Fingern.
Dann ging er in den Nebenraum. Es war die Küche. Auf der Anrichte stand eine halbvolle Flasche Whiskey. Er griff nach ihr, führte sie zum Mund und nahm einen Schluck.
"Sie haben einige Zeit im Gefängnis zusammen verbracht", erinnerte ich ihn. "Und sich gut verstanden."
"Und Freunde verrät man nicht, oder?"
"Es geht um Mord."
"Was Sie nicht sagen."
"Joe Donato ist wieder in der Gegend, nachdem er ein paar Jahre untergetaucht war. Das ist doch richtig, oder?"
"Was weiß ich, G-man."
"Er wurde in der Nähe fotografiert."
"Ach was! Und mir hat er immer erzählt, dass außer den Cops niemand ein Foto von ihm besäße..."
"Wo finden wir ihn?"
Er sah mich mit seinen wässrig blauen Augen an. "Ich habe keine Ahnung..."
Über einem der beiden Küchenstühle hing eine Strickjacke.
Nachdem ich noch einen Schritt nach vorn gemacht hatte, konnte ich auch sehen, was aus der Seitentasche der Jacke herausragte. Ein Bündel mit Hundertdollarnoten.
Ich zog es aus der Jackentasche heraus.
In Rooney Augen blitzte Panik.
"Donato war also hier", stellte ich fest. "Er hat seinen alten Freund nicht vergessen..."
"Wenn Sie mir was anhängen wollen..."
Ich schüttelte den Kopf.
"Kein Gedanke", versicherte ich. "Wir wollen nur wissen, wo wir Donato finden können..."
"Ich habe keine Ahnung... Und wenn ich es wüsste, würde ich Ihnen nichts sagen. Schon, um am Leben zu bleiben."
"Da lässt Donato dann keine Freundschaft gelten, was?"
"Würde ich an seiner Stelle auch nicht..."
Ich beugte mich zu ihm vor.
Unsere Blicke begegneten sich.
"Es hat keinen Sinn, Jesse", hörte ich Milo sagen. Ich wollte es mir im ersten Moment nicht eingestehen, aber es entsprach vermutlich der Wahrheit. Dieser Man hatte einfach zu große Angst. Ich legte das Geld auf die Anrichte.
"Wissen Sie zufällig, ob Donato sich in letzter Zeit einen Namen zugelegt hat?"
"Hören Sie..."
"Ist er - Killer-Joe?"
"Das weiß niemand", sagte er. Ich glaubte ihm nicht.
Aber ich spürte die Furcht im Klang seiner Stimme. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Ein Lächeln, das beinahe schon triumphierend wirkte.
"Deswegen sind Sie also hier..." Er kicherte. "Ich mische mich in nichts mehr ein, G-man. In gar nichts. Weder auf die eine noch auf die andere Weise. Ich habe oft genug meine Knochen hingehalten. Jetzt muss Schluss sein..."
10
Grau hatte sich die Dämmerung über die hässlichen Wohnblocks gelegt. Das Feuer auf dem Trümmergrundstück loderte hoch empor.
Auf der anderen Straßenseite befand sich ein fünfstöckiger Klotz, der aussah, als wäre er vom Stadium des Rohbaus übergangslos in jenes der Ruine übergegangen. Ein Bau ohne Fenster und Fassade. Die Betonelemente waren deutlich zu sehen, an einigen Stellen sogar die längst rostig gewordenen Stahlträger im Inneren. Wie die Gräten eines toten Fischs, um dessen Stücke sich längst die Katzen stritten.
Irgendein Spekulationsobjekt früherer Tage, dessen Erbauer vermutlich längst im Konkurs waren.
"Der schweigt eisern", sagte Milo von der Seite her und bezog sich damit auf das Gespräch mit Rooney.
"Der Kerl hat Angst", gab ich zu bedenken. "Und er bekommt Geld..."
"Wird wohl nicht so einfach sein, diesen Donato aufzutreiben. Ganz gleich, ob er nun mit diesem Killer-Joe identisch ist, oder nicht."
"Leider wahr."
"Glaubst du, es bringt was, diesen Rooney zu beschatten, Jesse?"
"Versuchen kann man's ja. Fragt sich allerdings, ob das Risiko für unseren Agenten noch im Verhältnis zu den Erfolgsaussichten steht..."
Natürlich stand fest, dass weder Milo noch ich uns hier auf die Lauer legen konnten. Denn es war ziemlich sicher, dass wir von unseren Gegnern beobachtet worden waren.
Wenn die KILLER ANGELS ihr Viertel wirklich so im Griff hatten, wie man sagte, dann konnte es gar nicht anders sein.
Die ANGELS mussten um ihr Überleben willen auf der Hut sein. Denn ihre Konkurrenz würde es sich nicht ewig gefallen lassen, dass die ANGELS sie wie aufgeschreckte Hühner vor sich hertrieb und Straßenzug für Straßenzug zurückdrängte.
Die Gegenreaktion würde kommen.
Früher oder später.
Und dann war hier Krieg.
Wir gingen in Richtung unseres Wagens. Irgend so ein Eckensteher mit einer viel zu großen Wollmütze verschwand in einer Türnische, als er uns sah.
"Heh, da ist einer an unserem Wagen!", hörte ich Milo neben mir.
Jetzt sah ich es auch.
Hinter dem vorderen rechten Kotflügel tauchte ein schwarzer Lockenschopf kurz auf, dann duckte der Kerl sich wieder.
Er hatte begriffen, dass wir ihn gesehen hatten.
Milo hatte die P 226 schon aus dem Holster gezogen.
Ich schlug ebenfalls Mantel und Jacke zur Seite, um zur Waffe zu greifen.
Wir schwärmten auseinander.
Milo lief in geduckter Haltung zur Straße und verschanzte sich hinter einem parkenden Buick, der mehr aus Rost als etwas anderem zu bestehen schien. Ich arbeitete mich derweil weiter den Bürgersteig entlang voran.
Der Lockenkopf tauchte wieder hervor, diesmal hinter der Motorhaube.
"Stehenbleiben! FBI!", rief ich.
Zwei dunkle Augen sahen mich an. Es war ein junges Gesicht.
Der Junge war höchstens sechszehn oder siebzehn. Ich sah die Unentschlossenheit in seinen Zügen. Er war wohl noch nicht ganz so abgekocht, wie