Alberto Marias nickte.
"Geh zu den anderen und sag es ihnen. Du siehst heute so blass aus, dass ich die Sache lieber selbst erledige..."
"Okay", murmelte Alberto. Während er hinausging sah er noch, wie Joe eine Pistole zog und einen Schalldämpfer aufschraubte.
Alberto drehte sich nicht um, als er das Schussgeräusch hörte.
Es klang, als ob jemand kräftig in ein Kissen schlug.
12
Wir saßen im Büro von Mr. Jonathan D. McKee, dem Chef des FBI-Districts New York im Rang eines Special Agent in Charge.
Seine Sekretärin Mandy hatte ihren berühmten Kaffee serviert, der weit über den 26. Stock des FBI-Gebäudes an der Federeal Plaza 26 bekannt war. Ein Kaffee, wie er so schnell kein zweites Mal gebraut wurde. Eigentlich war es eine Schande, eine solche Köstlichkeit aus Pappbechern genießen zu müssen.
Außer Milo Tucker und meiner Wenigkeit waren noch die Special Agents im Außendienst Clive Caravaggio, Orry Medina und Fred LaRocca anwesend.
Außerdem noch Max Carter, ein Innendienstler unserer Fahndungsabteilung, Dave Oaktree vom ballistischen Labor und Sam Folder vom Erkennungsdienst.
Es gab tatsächlich einiges an interessanten Neuigkeiten.
"Zunächsteinmal ist der Fahrer des BMW identifiziert, auf den am Ausgang des Lincoln Tunnels geschossen wurde", erklärte Mr. McKee sachlich. "Es handelt sich um Cal Frazer, früher beim Militärischen Abschirmdienst der Navy, jetzt privater Sicherheitsberater für große Firmen und Konzerne. Die Kollegen der City Police waren so freundlich, die Angehörigen zu verständigen. Allem Anschein nach ist Frazer nur zufälliges Opfer geworden. Quasi wahllos aus der Schlange der Autos herausgepickt. Es hätte jeden treffen können..."
"Wenn ich daran denke, dass ich kurz zuvor den Lincoln Tunnel wegen einer Dienstfahrt in die andere Richtung durchquert habe", meinte Fred LaRocca nachdenklich. "Bei dem Gedanken kann einem schon mulmig werden. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das wahrscheinlich nicht der letzte Vorfall dieser Art war..."
Mr. McKee wandte sich an Dave Oaktree vom ballistischen Labor.
"Vielleicht fahren Sie jetzt fort, Dave!"
Agent Oaktree nickte.
Er erhob sich, schaltete einen Tageslichtprojektor ein, mit dem er ein paar Bildfolien an die Wand projizierte. Per Knopfdruck schloss Mr. McKee die Vorhänge so weit, dass der Raum etwas abgedunkelt war.
Ich sah aufmerksam auf die Bilder und computergenerierten Graphiken, die Dave Oaktree uns da präsentierte. Manches davon sah nicht sehr appetitlich aus.
"Der Täter hat sehr präzise geschossen", erklärte Dave sachlich. "Die erste Kugel traf direkt in die Stirn, die zweite fuhr ihm durch den Hals. Er muss zweimal sehr kurz hintereinander geschossen haben, denn nur Sekunden später wäre der Schusswinkel oben von der 39.Straße herunter derart ungünstig gewesen, dass er höchstens noch die Beine hätte erwischen können..."
"Du sagst das, als ob der Täter sehr gezielt diesen Mann umbringen wollte", warf ich ein.
Dave nickte.
"Davon gehe ich aus, Jesse. Und ich gehe davon aus, dass es sich um jemanden gehandelt hat, der erstens über eine hochpräzise Waffe und zweitens über eine sehr spezielle Schießausbildung verfügt."
"Kann sich die so ein wildgewordener Straßen-Rambo aus der Bronx nicht auch ausreichend trainieren?", erkundigte sich der flachsblonde Clive Caravaggio, der so gar nicht wie das Klischeebild eines Italo-New Yorkers wirkte.
Dave Oaktree wandte den Blick in Clives Richtung.
"Offensichtlich ist das der Fall", sagte er. "Aber wir sollten jemanden mit militärischer Vergangenheit in Erwägung ziehen..."
"Sieht nicht nach der typischen Klientel einer Gang wie den KILLER ANGELS aus", stellte ich fest.
"Das würde ich nicht so pauschal behaupten", warf Fred LaRocca ein.
"Um so eine Spezialausbildung zu bekommen, reicht es nicht, ein paar Monate bei der Army gewesen zu sein", erwiderte ich.
"Und wenn einer dieser Älteren den Kids zeigt, wie man's macht?" Fred LaRocca hob die Augenbrauen und warf mir einen Blick zu.
Ich lächelte dünn.
"Eins zu null für dich Fred", sagte ich.
Jetzt mischte sich Mr. McKee ein. Er wandte sich direkt an mich. "Sie glauben nicht, dass dies eine Mutprobe der KILLER ANGELS war?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Nein, soweit kann man nach dem bisherigen Erkenntnisstand noch nicht gehen. Aber immerhin gibt es doch einige Dinge, die etwas merkwürdig sind."
"Und die wären?"
"Allein die Tatsache, dass die ANGELS zweimal am selben Tatort zugeschlagen haben. Das will mir einfach nicht aus dem Kopf. Es muss einen Grund dafür geben, schließlich haben sie so etwas bisher immer zu vermeiden versucht."
So, wie es aussah, würde diese Frage auch jetzt nicht beantwortet werden können.
Wir lauschten weiter den Ausführungen unseres Ballistikers.
Alle Fragen hatte auch der noch nicht geklärt.
"Das Kaliber stimmt überein", sagte Dave. "Aber die Waffe, mit dem der letzte Anschlag verübt worden ist, ist definitiv nicht die, mit der die letzten Attentate durchgeführt wurden."
Das gab meinem Misstrauen neue Nahrung.
Natürlich konnten die ANGELS mehr als ein Präzisionsgewehr in ihrem Besitz haben.
Und doch...
Es war auffällig.
Ein weiteres Mosaiksteinchen in einer Art Puzzle. Ich fragte mich, welches Bild am Ende daraus entstehen würde...
Oaktree führte noch aus, dass eine der Waffen, der bei dem Überfall auf die Borinsky-Brüder benutzt worden war, auch bei der Schießerei zum Einsatz gekommen war, in die man Milo und mich am Abend zuvor verwickelt hatte.
Aber das konnte niemanden überraschen.
Nachdem Daves Ausführungen beendet waren, kam Sam Folder an die Reihe und trug vor, was es an weiteren Spuren gab.
Die Blutspuren von dem verletzten Attentäter wurden einer DNA-Analyse unterzogen, aber dieser genetische Fingerabdruck würde uns erst etwas nützen, wenn wir den Kerl hatten. Im weiten Umkreis wurde jetzt nach jemandem gefahndet, der eine Schussverletzung hatte, und damit vielleicht zum Arzt gehen wollte.
Mr. McKee hörte sich alles mit nachdenklichem Gesicht an.
Schließlich kam Max Carter von der Fahndungsabteilung an die Reihe. Er hatte ein paar interessante Dinge über Joe Donato herausgefunden. Seinen Angaben zu Folge hatte Donato kurzzeitig in den Diensten des Drogenbosses Juan Sarakiz gestanden. Er war Kolumbianer, aber besaß auch einen US-Pass.
"Ist Sarakiz denn überhaupt noch aktiv?", fragte