Er glaubte nicht, dass er schlafen konnte.
Trotzdem schlief er ein.
*
Morton Conroy schlief, wie er es sich vorgenommen hatte, nur drei Stunden. Dazu benötigte er keinen Wecker; auf seine innere Uhr war Verlass.
Ein pelziges Gefühl im Mund verursachte Übelkeit. Er warf die Decke von sich, setzte sich auf. Sein Kopf schien ein praller Ballon zu sein.
Auf bloßen Füßen schlurfte er ins Bad. Mit beiden Händen spritzte er sich eiskaltes Wasser ins Gesicht, dann streckte er den Kopf ganz unter den Strahl. Prustend und triefend nass griff er sich ein Handtuch, rieb sich Gesicht und Haar trocken und spürte seinen Magen knurren.
Er saß noch beim Frühstück, das er sich aufs Zimmer hatte bringen lassen, als das Bildtelefon zirpte. Er erwartete, Nomi auf dem Schirm zu sehen, die ihm einen guten Morgen wünschen wollte. Dann verfinsterte sich sein Gesicht.
»Hätte ich mir ja denken können«, murrte er unfreundlich, »dass Sie es sind. Wer sonst würde mich zu so früher Stunde stören!«
»Höre ich da vielleicht einen sarkastischen Unterton heraus, Doktor Conroy?« Hoja schob sein wuchtiges Kinn angriffslustig vor.
»Von mir aus«, erwiderte Morton lapidar, »hören Sie, was immer Sie wollen. Trotzdem bezweifle ich, dass Sie wirklich ein so feines Ohr haben. Was wollen Sie?«
»An Ihrer Stelle würde ich mich nicht so aufsässig benehmen. Ich schätze keine Ironie.« Der Polizeioffizier fixierte den SY.N.D.I.C.-Agenten mit kalter Förmlichkeit. Dann fuhr er mit scharfer Stimme fort: »Wollen Sie nicht begreifen, dass ich es mir nicht leisten kann, auf ungelösten Fällen sitzenzubleiben?«
»Ich sehe keine Veranlassung...«
Hoja unterbrach Conroy.
»Das Gefühl, einen eventuellen Mörder frei in unserer Stadt herumlaufen zu lassen, verschafft mir Magengrimmen«, gestand er mit säuerlichem Lächeln; seine Augen blickten kalt wie Bachkiesel.
»Verschaffen Sie sich doch ein Medikament aus der Drogerie«, riet ihm der Agent. »Ich weiß inzwischen, dass Sie überzeugt sind, ich hätte die vier getötet. Glauben Sie mir, ich bin es leid, ständig das Gegenteil beteuern zu müssen. Können Sie mich nicht in Frieden lassen?«
»Was beschweren Sie sich? Habe ich Sie vielleicht belästigt? Habe ich Sie auf der Straße angerempelt? Man wird doch noch ein Gespräch führen können. Ein gewisses Recht an Vorsorge müssen Sie mir schon zugestehen. Ich bin immer gern darüber informiert, was meine Schützlinge gerade so machen.«
Conroy lächelte humorlos.
»Wozu?«, erkundigte er sich. »Sicher sitzt gerade einer Ihrer Leute in der Nähe und beobachtet mich. Vielleicht ist es der Boy, der mein Zimmer saubermacht. Oder jemand, der ein Apartment auf dem gleichen Flur hat. Weshalb also die persönliche Konfrontation? Ich bin dafür, dass wir dieses Gespräch beenden.«
Lieutenant Hoja schaute Conroy starr an. Eine lange Minute verstrich. Man konnte sehen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Dann unterbrach Hoja unvermittelt die Übertragung. Das Bild erlosch.
Conroy starrte noch eine Weile auf den dunklen Schirm.
Hojas verbissene Hartnäckigkeit konnte zu einem Problem werden und im schlimmsten Fall sogar die Mission in Frage stellen.
Er hatte den Satellitenfahrplan von WATCHDOG im Kopf.
Die Verbindung stand...
Ein paar Sekunden verstrichen, dann erschien ein Gesicht auf dem kleinen Karree des Schirms und meldete sich mit einem unverbindlich »Ja?«
»Sie, Oberst Sheehy?«, wunderte sich Conroy.
»Wer sonst? Die Königin von Saba vielleicht?«, gab Richard Sheehy im fernen New Washington zurück und sah ihn auf eine Weise an die man für ein Lächeln hätte missdeuten können, aber nur, weil er die Zähne zeigte.
»Dazu fehlt Ihnen ein ganz entscheidendes Detail, glaube ich«, erwiderte Conroy leichthin. »Nur fragen Sie jetzt bloß nicht, welches.« Es war nicht einmal Galgenhumor, sondern nur ein schwacher Versuch zu scherzen, ausgelöst durch die Ereignisse der vergangenen Stunden.
»Papperlapapp! Was ist geschehen, Herr Oberleutnant?«
»Da ist ein Problem. Eigentlich zwei. Ich wurde erwartet.«
»Bekannte?«
Conroy begegnete achselzuckend Sheehys Blick. »Keine Bekannten.«
»Erzählen Sie!«
In knapper Form berichtete Conroy in chronologischer Folge über die letzten Ereignisse. Abschließend sagte er: »Was soll ich unternehmen?«
Oberst Sheehy überlegte keine Minute, nachdem Conroy geendet hatte.
»Okay«, sagte er. »Wir sorgen dafür, dass Sie gegen diesen Polizeioffizier abgeschirmt werden. Das ist alles, was ich im Augenblick von hier aus für Sie tun kann. Sie müssen sich vor diesen ominösen Verfolgern so lange selbst schützen, bis wir herausgefunden haben, wer sich dahinter verbergen könnte. Schaffen Sie das?«
Conroy verzog nur die Mundwinkel und verzichtete auf eine Antwort.
»Schön, wenn Sie es so sehen, Morton. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Aufgabe. Wann geht's los?«
»In Kürze«, erwiderte Conroy.
»Viel Glück!«
Die Verbindung erlosch.
»Danke, Oberst Sheehy«, murmelte Conroy gegen die blinde Scheibe. »Vielen herzlichen Dank...«
9. Kapitel
Gegen zehn Uhr rief die Hotelrezeption durch und informierte ihn, dass jemand vom Institut auf ihn wartete, um ihn abzuholen. Er war längst reisefertig, griff sich seine Tasche und ging nach unten. Entgegen seinen Erwartungen war es nicht Nomi, worüber er eine leichte Enttäuschung spürte. Der Abgesandte des Instituts war ein Chinese namens Louie Wong.
»Mr. Conroy?«
Morton nickte.
Wong war groß, hatte ein breites, lächelndes Asiatengesicht. Sein dichtes, dunkles Haar glänzte, als sei es mit Lack überzogen. Er hatte den leicht wiegenden Gang eines durchtrainierten Athleten; sein Händedruck war fest und zupackend.
»Bitte folgen Sie mir, Mr. Conroy. Draußen wartete der Wagen. Ich habe Anweisung von Mr. Devlin, Sie zum Institut zu bringen.«
»Danke. Ist Mr. Devlin denn schon aus Lhasa zurück?«
»Er traf gegen Mitternacht ein.«
»Ich hatte eigentlich Miss McIrnerny erwartet«, sagte Conroy beiläufig. »Ist sie verhindert?«
Die Augen des jungen Mr. Wong blinzelten.
»Sie musste überraschend in den Süden. Es ist ungewiss, ob sie morgen oder übermorgen zurückkommt.«
»Ach