„Die Frauen vom Straßenstrich wurden jeweils donnerstags nach 22 Uhr entführt“, erklärte Burke. „Ein weißer Ford Lincoln spielt dabei eine tragende Rolle. Die Entführungen fanden also jeweils nach Beendigung des Sit-ins Ihrer Selbsthilfegruppe statt. Und Sie fahren einen weißen Lincoln, Professor.“
„Und damit habe ich mich verdächtig gemacht, wie?“
„Wir müssen jede Möglichkeit ins Kalkül ziehen. – Ich muss Ihren Wagen beschlagnahmen.“
„Was wollen Sie mit meinem Wagen? Himmel, Agent, Sie verdächtigen doch nicht etwa mich, Jack the Ripper II. zu sein?“ Entgeistert, um nicht zu sagen fassungslos schaute der Professor den G-man an.
„Sie gehören zu dem Personenkreis, der für die Morde in Frage kommt, Dr. Ramsey. Wie ich schon sagte, dürfen wir keine Möglichkeit auslassen, die uns bei der Fahndung nach dem Mörder möglicherweise weiterbringt. Wenn sich in Ihrem Wagen keinerlei Hinweise auf die entführten Frauen ergeben, sind Sie über jeden Verdacht erhaben. Es muss also auch in Ihrem Interesse liegen ...“
Im Gesicht Dr. Ramseys zuckten die Muskeln. „Aber ich brauche meinen Wagen.“
„Zur Uni gelangen Sie auch mit der Subway“, versetzte Burke. „Geben Sie mir bitte die Autoschlüssel.“
„Das ist ungeheuerlich“, blaffte Dr. Ramsey. „Ich ...“
„Beruhigen Sie sich“, sagte Burke. „Wenn Sie sich nichts vorzuwerfen haben, gibt es keinen Grund zur Aufregung. In drei Tagen haben Sie Ihr Auto wieder, wenn sich keine Hinweise auf die Frauen ergeben. – Ich kann es natürlich auch auf dem offiziellen Weg machen. Die Rede ist von einer richterlichen Anordnung. Ihr Auto bekomme ich – so oder so.“
Scharf stieß der Professor die Luft durch die Nase aus. Es sah so aus, als hätte er eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch plötzlich wandte er sich ab, ging zur Garderobe, nahm einen Schlüsselbund aus der Tasche einer Jacke, löste einen der Schlüssel von dem kleinen Stahlring und reichte ihn dem Special Agent. Mit erzwungener Ruhe sagte er: „Sicher, Agent, Sie tun nur Ihre Pflicht. Und ich will Sie in Ihrer Arbeit auf keinen Fall behindern. Ja, lassen Sie meinen Wagen auf Spuren untersuchen. Sie werden sehen, dass ich über jeden Verdacht erhaben bin.“
„Davon bin ich überzeugt, Professor“, erklärte Owen Burke.
11
Burke hatte den Wagen Dr. Ramseys benutzt, um zur Federal Plaza zu gelangen. Der Dienstwagen hatte vorne links einen Plattfuß und musste entweder abgeschleppt werden oder ein Mechaniker aus dem Fuhrpark musste das Rad auswechseln.
Jetzt stand der Ford Ramseys in der Tiefgarage und Burke telefonierte mit Ron Harris, der ihm erklärte, dass sich in der Morningside Avenue heute wohl nichts mehr tue. „Lucy hatte nichts anderes zu tun, als einige Kunden abzuwimmeln. Es gab auch einige Anfeindungen durch echte Bordsteinschwalben, die in unserer Kollegin wahrscheinlich ernstzunehmende Konkurrenz sehen. Ansonsten war es ruhig hier.“
„Ich habe mit Dr. Ramsey gesprochen. Er besitzt einen weißen Ford, wie wir ihn suchen. Den Wagen habe ich beschlagnahmt und in die Tiefgarage des Federal Building gebracht.“
„Oh verdammt, was ist das?“, schnappte Ron plötzlich. „Sie kommen mit drei Autos und halten bei Lucy. Wahrscheinlich sind es die Zuhälter der Stricherinnen, die hier anschaffen. Es sind insgesamt sechs Kerle. Ich muss Schluss machen, Owen ...“
Dann war die Leitung tot. Burke eilte zum Aufzug und fuhr in die Tiefgarage. Er war sich sicher, dass seine Anwesenheit in der Morningside Avenue vonnöten war. Während er wenig später mit einem Dienstfahrzeug bei eingeschaltetem Blaulicht auf dem Autodach und mit heulender Sirene nach Norden raste, war er sich absolut darüber im Klaren, dass er zu spät kommen würde. Der Verkehr war zu dieser nächtlichen Stunde zwar recht kommod, aber es waren immer noch genug Autos unterwegs, die ihn am schnellen Vorwärtskommen behinderten.
12
Das Handy Owen Burkes klingelte, der Agent fuhr rechts ran und nahm das Gespräch an. „Alles im Griff, Partner“, hörte er Ron Harris sagen. „Es waren ein halbes Dutzend Zuhälter, die uns aus der Morningside Avenue vertreiben wollten. Jetzt haben sie sicherlich gegen eine große Not anzukämpfen.“
„Ich bin auf dem Weg nach Harlem“, sagte Burke.
„Nicht mehr nötig“, erklärte Ron. „Lucy und ich haben den Kerlen gezeigt, was eine Harke ist. Wir brechen für heute den Einsatz hier ab. Fahr nach Hause, Partner. Hier gibt es nichts mehr zu tun für dich.“
Kaum, dass die Leitung tot war, dudelte Burkes Handy erneut. Es war der Kollege im Field Office, der die Nachtbereitschaft leitete. Er sagte: „Es hat soeben in der Tiefgarage eine Explosion gegeben, Owen. Jemand hat den Wagen, den du konfisziert hast, in Brand gesetzt. Die Rauchmelder lösten Alarm aus. Die Sprinkleranlage konnte den Brand nicht löschen. Es muss jemand einen ganzen Kanister voll Benzin ins Wageninnere geschüttet und angezündet haben.“
Damit waren sämtliche Spuren, die der Ford vielleicht aufgewiesen hatte, vernichtet. Das sagte dem Special Agent, dass Dr. Andrew Ramsey etwas zu verbergen gehabt hatte. Aber leider hatte er keinen Beweis für diese These. Das FBI würde ihm wahrscheinlich sogar noch Schadenersatz für den Pkw leisten müssen. Es war zum Heulen.
Und das war noch nicht alles.
Als Burke am Morgen den Dienst antrat, erreichte ihn eine Meldung, wonach in der Nacht in der 116th Street ein Straßenmädchen entführt worden sei. Ihr Name war Patricia Shriver, 23 Jahre alt, und sie schaffte seit einem Jahr etwa in der 116th an. Es handelte sich um eine Afro-Amerikanerin.
Andere Prostituierte hatten beobachtet, dass Patricia in einen weißen Ford Lincoln eingestiegen war. Eine von ihnen hatte das Kennzeichen sogar notiert, doch die Überprüfung hatte ergeben, dass es sich wiederum um gestohlene Nummernschilder handelte.
Jack the Ripper II. hatte wieder zugeschlagen.
Er hatte lediglich sein Jagdrevier gewechselt.
Und wieder war ein weißer Lincoln das Tatfahrzeug gewesen.
Ein weißer Ford Lincoln! Sofort tauchte die Frage auf, weshalb in der Nacht Dr. Ramseys Ford in Brand gesteckt worden war.
Arbeiteten die Täter mit mehreren weißen Fords?
Owen Burke kam in den Sinn, dass Susan Cohan mit einem weißen Ford nach Queens zum Sit-in der Selbsthilfegruppe gebracht worden war. Er sprach mit Ron Harris darüber ...
13
Zunächst besorgten sich die Agents bei der Telefongesellschaft eine Liste mit den Gesprächen, die Dr. Ramsey am Vortag geführt hatte. Es waren in der Tat lediglich drei Anrufe bei der Columbia Universität. Im Besitz eines Handys zu sein hatte der Professor bestritten.
Sein ausgebrannter Wagen war abgeschleppt worden und stand nun in der Werkstatt der SRD, wo er nach Spuren untersucht wurde. Wobei es ausgeschlossen war, dass Spuren jener Personen auffindbar waren, die vor dem Brand mit dem Fahrzeug gefahren waren. Es ging nur noch um die Klärung der Brandursache.
Burke und Harris fuhren nach Brooklyn. Susan Cohan ließ sie in ihr Apartment und schaute fragend von einem zum anderen. „Ich habe Ihnen alles erzählt“, sagte sie. „Was führt Sie noch einmal zu mir?“
„Sie wurden gestern mit einem weißen Ford nach Queens zum Sit-in Ihrer Selbsthilfegruppe chauffiert“, sagte Burke. „Wem gehört der Wagen?“
„Meinem Bruder Keith. Ich habe Ihnen doch von ihm erzählt. Er unterstützt mich finanziell.“
„Wie heißt Ihr Bruder mit vollem Namen, und wo wohnt er?“
„Keith Goodman. Er wohnt in Manhattan, in der Henry Street. Warum wollen Sie das wissen? Sie verdächtigen doch nicht meinen Bruder,