Von Seiten Owen Burkes gab es nichts zu berichten. Die Agents vereinbarten, in Kontakt miteinander zu bleiben.
Owen Burke schaute auf die Uhr. Es war 21 Uhr vorbei.
Noch eine knappe Stunde!
Hinter zwei Fenstern des Gebäudes Nummer 254 flammte Licht auf, dann wurden die Jalousien heruntergelassen.
Die Dunkelheit nahm zu. Die Minuten reihten sich aneinander. Die Stunde kam Owen Burke vor wie eine kleine Ewigkeit. Ein Auto fuhr vor. Ein weißer Ford. Er wurde am Straßenrand geparkt und die Scheinwerfer gingen aus.
Schließlich war es 22 Uhr. Die Lampe neben der Tür des Hauses ging an und die Tür öffnete sich. Lichtschein flutete auf den Gehsteig vor dem Gebäude und sogleich drängten die Mitglieder der Selbsthilfegruppe ins Freie. Stimmendurcheinander drang an Burkes Gehör. Vor dem Haus trennten sich die Leute und gingen zu ihren Autos. Susan Cohan stieg in den Ford, der eben vorgefahren war. Zu den beiden anderen Fords gingen der grauhaarige Mann und die Frau, die der Agent schon beobachtete, als sie kurz vor 20 Uhr hier eintrafen.
Owen Burke beschloss, dem Grauhaarigen zu folgen.
Er fuhr nach Manhattan. Um über den East River zu gelangen, benutzte er die Williamsburg Bridge. Der Special Agent hängte sich an. In Manhattan angekommen fuhr der Mann ein Stück auf der Delancy Street, bog dann in die Allan Street ein und wandte sich nordwärts.
In der 22nd Street bog der Mann ab und fuhr nach Osten, um schließlich vor einem Hochhaus den Ford zu parken. Burke rangierte sein Auto ein Stück hinter ihm in eine Parklücke. Der Grauhaarige stieg aus, verschloss per Fernbedienung das Fahrzeug und verschwand in dem Gebäude.
Burke ließ seinen Blick an der Fassade des Hochhauses hinaufwandern. Es verfügte über zehn Stockwerke. Hinter vielen Fenstern brannte Licht. Der Agent stieg aus und begab sich in das Gebäude, bei dem es sich um ein Wohn- und Geschäftshaus handelte. Hinter einer Rezeption saß ein Mann und las in einer Zeitschrift. Owen Burke trat an die Rezeption heran und sagte: „Soeben hat ein Mann mit grauen Haaren das Gebäude betreten. Wohnt er hier?“
Der Doorman schaute ihn durch dicke Brillengläser, die seine Augen immens vergrößerten, an. „Warum wollen Sie das wissen?“
Burke zückte seine ID-Card und hielt sie ihm vor die Nase. „FBI“, sagte er dazu. „Special Agent Burke.“
Der Mann zeigte sich nicht besonders überrascht oder beeindruckt. „Ja, er wohnt hier“, erklärte er. „Es handelt sich um Dr. Andrew Ramsey. Dr. Ramsey ist Diplompsychologe. Er wohnt in der 7. Etage.“
„Ist er verheiratet?“
„Nein, Junggeselle. Er lebt nur für seinen Job.“
Burke bedankte sich und verließ das Gebäude.
Draußen setzte er sich in den Dienstwagen und rief Ron an. Der berichtete, dass gegen 20 Uhr 45 ein weißer Ford im Schritttempo durch die Morningside Avenue gefahren sei, allerdings nicht angehalten habe.
„Hast du dir die Zulassungsnummer notiert?“, wollte Burke wissen.
„Ja.“
„Gut. Wir werden sie morgen auswerten.“
Für Owen Burke begann das Warten.
10
Es war 23 Uhr 45. Eine gute Stunde stand der Spezial Agent nun schon vor dem Gebäude, in dem Dr. Ramsey wohnte. Der Psychologe war nicht mehr erschienen. Wahrscheinlich lag er in seinem Bett und schlief den Schlaf der Gerechten. Burke rief seinen Kollegen an.
Ron Harris meldete keine besonderen Vorkommnisse und Burke erklärte ihm, dass er den Einsatz in der 22nd Street abbrechen werde. Mitten im Satz brach er ab, denn er sah einen weißen Pkw aus der Tenth Avenue in die 22nd Street einbiegen und langsam näherrollen. Ein Lichtkegel huschte vor dem Wagen her über den Asphalt.
„Was ist?“, fragte Ron.
„Da kommt ein weißer Wagen auf mich zu“, sagte Burke ins Handy. „Sieht aus wie ein Ford. Verdammt, Ron, es ist ein Ford. Ich melde mich wieder!“
Owen Burkes Instinkt meldete Gefahr. Er unterbrach die Verbindung und warf das Mobiltelefon auf den Beifahrersitz, ließ den Motor an und seine Rechte tastete sich zur SIG im Holster an seiner rechten Hüfte.
Der Special Agent war von einer fast fiebrigen Anspannung erfasst, seine Nerven vibrierten geradezu, er war hundertprozentig konzentriert.
Der weiße Ford war nur noch einen Steinwurf weit entfernt und Burke konnte erkennen, dass er nur mit dem Fahrer besetzt war. Er schaute auf die Zulassungsnummer, da sah er es auch schon aus dem Seitenfenster blitzen. Mündungsfeuer! Der Bursche schoss mit einer Pistole. Burke hörte es krachen, rutschte auf dem Sitz nach unten und verschwand fast unter dem Lenkrad. Der Dienstwagen sackte ein wenig nach links vorne ab. Glas klirrte. Dann war der Ford vorbei.
Burke riss die Tür auf und sprang ins Freie.
Der Ford war beschleunigt worden, der Special Agent sah die Rücklichter und riss den Arm mit der Pistole hoch. Die Bremslichter glühten auf und im nächsten Moment wurde der Wagen auch schon herumgerissen und verschwand in der 8th Avenue.
Der Special Agent wandte sich um. Der linke Vorderreifen des Dienstwagens war platt, außerdem befand sich im Kotflügel ein Kugelloch. Eine andere hatte beide hinteren Seitenscheiben durchschlagen, war also durch das linke Fenster ein- und durch das rechte wieder ausgetreten.
Burke begriff, dass es der Schütze gar nicht auf sein Leben abgesehen hatte. Es war eine Warnung. Der Special Agent fragte sich, wer ihm den Schützen auf den Hals gehetzt hatte. Kurzentschlossen betrat er das Hochhaus. Der Portier las nicht mehr in der Zeitschrift, sondern hatte den kleinen Fernseher angemacht und schaute sich irgendeinen Film an. Jetzt erregte der G-man seine Aufmerksamkeit.
„Welches Apartment bewohnt Dr. Ramsey?“
„705“, kam es wie aus der Pistole geschossen. „Soll ich Sie anmelden?“
„Nein“, versetzte der Special Agent, ging zum Aufzug und drückte den Knopf. Laut Stockwerksanzeige stand der Lift in der 5. Etage. Burke vernahm durch die geschlossene Tür im Schacht ein leises Rumpeln, als sich der Aufzug nach unten in Bewegung setzte.
Dann glitten die beiden Türhälften fast lautlos auseinander und er betrat die Kabine. Seine Finger legten sich auf den Knopf mit der Nummer sieben. Die Türhälften aus Edelstahl glitten wieder zusammen, der Lift hob ab und schwebte mit dem Agent höher und höher. In der 7. Etage stieg er aus, fand das Apartment mit der Nummer 705 und läutete.
Es dauerte einige Zeit, dann sah er Licht durch den Spion schimmern, und im nächsten Moment erklang eine dunkle Stimme: „Wer ist draußen?“
„Burke, FBI. Machen Sie auf, Dr. Ramsey.“
Der Agent hörte, wie die Sicherungskette entfernt und die Tür entriegelt wurde, dann schwang das Türblatt auf und ein Mann, der mit einem rot und blau gestreiften Schlafanzug bekleidet war, stand vor ihm.
„Was führt Sie zu mir, Agent?“, fragte Dr. Ramsey. Seine Haare standen vom Kopf ab, was Burke verriet, dass er schon im Bett gelegen hatte. „Es ist ziemlich spät. Ich muss morgen früh um acht Uhr in der Uni sein ...“
„Entschuldigen Sie“, sagte Burke und drängte den Mann einfach zu Seite, betrat das Wohnzimmer und sah den Telefonapparat auf einer Konsole an der Wand. Der Agent ging hin, nahm den Hörer ab und drückte den Knopf für die Rufwiederholung. Fünfmal ertönte das Freizeichen, dann meldete sich der automatische Anrufbeantworter der Columbia Universität.
Burke legte wieder auf. „Besitzen Sie ein Handy?“
Dr. Ramsey hatte die Tür geschlossen und musterte den Agent mit einer Mischung aus stummer Frage und Verärgerung. Jetzt sprangen seine Lippen auseinander. „Was soll das, Agent? Nein, ich besitze kein