„Mm. Schmeiß mal ’ne Ladung Leuchtstoff rüber, Wölfchen!“, gibt Mosiek die Anweisung zum Einsatz des starken Scheinwerfers an die Polizeiobermeisterin.
Der grelle Lichtkegel fingert über das Wasser und streicht langsam an den Aufbauten der Passagierschiffe entlang. Zum Glück ist alles ruhig. English Lady leuchtet der Name am Bug des letzten Schiffes im Schein des Werferstrahls auf.
„Das war’s. Ab nach ... Halt!“
Gerade als Mosiek das Signal zum Abbruch der Aktion geben will, erfasst das Licht einen aus dem dunklen Wasser herausragenden Gegenstand.
„Festhalten!“, befiehlt er rau die Einstellung des Scheinwerfers und steuert WSP 2 längsseits des am Ufer vertäuten Dampfers.
„Mist, verdammter!“, knurrt Hauptmeister Werhahn, der gerade seine Sachen in der Kajüte zusammenpackt. „So ein beschissener Tag aber auch!“
Mit Hakenstangen hieven sie den Gegenstand an Bord.
Kurz nach neun Uhr abends unterrichtet Kommissar Mosiek auf dem 2-Meterband die Düsseldorfer Station vom Auffinden einer männlichen Wasserleiche längsseits der English Lady.
*
Zigarren haben einen großen Nachteil.
Am Morgen danach hängt der kalte Nachhall abendlichen Vergnügens immer ekelhaft in sämtlichen Wohnungswinkeln. Leider machen auch kubanische Importe da keine Ausnahme. Und um dem unausweichlichen Geschimpfe seiner Haushälterin zu entgehen, hat Benedict die großen Schiebefenster zur Rheinseite hin geöffnet und sich zum Schutz gegen die herein dringende Abendkühle in eine Decke gewickelt. Leicht fröstelnd nach dem fast sommerlich warmen Tag, versucht er die Buchseite um zu blättem.
Aus dem Radio klingt leiser Gesang herüber. Johnny Cash mit einer seiner Balladen. Sein USA-Urlaub existiert nur noch in verklärten Erinnerungs-Clips und ein paar hundert Fotos, die er dringend irgendwo einordnen müsste. Wahrscheinlich wird es niemals geschehen. Wie mit allen bisherigen Fotos. Manchmal sind unter diesen Memory-Clips auch ein letzter Tag in Los Angeles und ein ertrunkener US-Cowboy namens Dean Sanger. Aber beim Aufwachen hat Benedict das meistens wieder vergessen.
Ärgerlich zieht er die herabgerutschte Decke über die Schultern, um sich dann wieder auf den Lesestoff zu konzentrieren. Aber irgendwie dringt doch immer etwas feuchte Zugluft vom Rhein durch den nicht ganz abschließenden Wollstoff, und beim Versuch, sich richtig einzumummeln, fällt das schwere Buch auf den Boden. Da liegt er also zu seinen Füßen, der „Adler von Lübeck“, das gewaltigste Kriegsschiff der Deutschen Hanse. In einem letzten Anfall von Großmannssucht hin geklotzter 3000 Tonnen Segler mit 1500 Mann Besatzung und über 100 Geschützen. Ein Dinosaurier mit Segeln. Und wie diese nicht überlebensfähig.
Seufzend beschließt Vitus H. Benedict Verzicht und lässt die „Schicksale berühmter Segelschiffe“ auf dem Boden liegen. Von draußen dringen die üblichen Nachtgeräusche herein. Eine Straßenbahn rumpelt über die Rheinbrücke, auf dem Fluss blubbert ein Frachtkahn vorbei, und irgendwo fällt ein Wagenschlag zu. Die Normalität schließt ihm die Augen. Dösend fällt er in leichten Halbschlaf, aus dem ihn das Geräusch des Telefons hochschreckt.
„... Ja, hallo!“, murmelt Benedict zerknittert in den Hörer. Nach einem kurzen Räuspern dann aber doch mit festerer Stimme: „Ja, Benedict!“
„Hier ist die Leitstelle. Die Wasserschutzkripo hat einen Toten aus dem Rhein gefischt. Sache fürs K1 und für Sie!“
Fröstelnd wurstelt sich Benedict aus seiner Vermummung und fährt mit dem Aufzug runter in die Tiefgarage, wo sein Jaguar steht. Wie oft hatte er in den letzten Jahren daran gedacht, das unzeitgemäße Fahrzeug gegen etwas Kleines, Unauffälliges umzutauschen. Es war nicht nur sein wohl angeborener Hang zum Luxus, der ihn immer wieder daran gehindert hatte. Dieses für einen Polizisten viel zu teure Gefährt war das Hochzeitsgeschenk seiner Frau Kitty gewesen. Der elegante Jaguar bedeutete ihm zu viel, als das er ihn so einfach weggeben konnte.
Eine Art rollende Erinnerung, die ihn immer noch mit der bei einem Bergunfall ums Leben gekommenen Gefährtin verbindet. Er hatte die abweisenden Berge nie gemocht. Außer manch schiefem Kollegenblick hatte ihm das Fahrzeug aber auch noch eine gewisse Bekanntheit gesichert, die sich bei mancherlei Anlässen als hilfreich erwies.
Drüben auf der anderen Rheinseite weisen ihm kreisende Blaulichter den Weg zum Hafen. Der Liegeplatz der Übersiedlerschiffe ist weiträumig abgesperrt, aber Benedict kommt mit seinem Wagen fast bis an die Hafenmauer heran.
In der Helle des Notarztwagens kann er noch einen Blick auf den Toten werfen. Natürlich. Turnschuhe und stonewashed Jeans. Outfit der Zukurzgekommenen.
„Ertrunken?“
„Ja, schon“, antwortet der Mediziner zögernd.
„Aber?“
„Könnte auch schon vorher tot gewesen sein. Bei den Verletzungen.“ Der Mann im weißen Anzug schiebt das Plastiktuch zur Seite, und jetzt sieht auch Benedict, was der Arzt damit meint. Kopf und Oberkörper des Toten sind mit dunklen Flecken und offenen Wunden übersät.
Als Benedict dem in die Nacht davonfahrenden Notarztwagen nachsieht, werden seine Erinnerungen derart provoziert, so dass er die Stimme dieser Amerikanerin im Downtown Holiday Inn ganz deutlich sagen hört: „Dean Sanger wurde ermordet von der Stasi. In einem See bei Ost-Berlin!“
Es ist kurz nach Mitternacht, als er schließlich das Deck der English Lady betritt.
„Na, auch schon auf?“, versucht er sich an einem Scherz, aber der frischgebackene Kommissar Ganser kann darüber nicht lachen.
„Bereitschaftsdienst!“, bellt er rau, und das kalte Licht der Deckenleuchten hebt die dunklen Arbeitsringe unter den Augen hervor.
„Ich hab’s doch gesagt“, murmelt der Dreißigjährige in der Lederjacke, als sie zusammen die Stufen zum Unterdeck heruntersteigen, „mit denen wird’s noch Ärger geben! “
Benedict reagiert mit einem abweisenden Knurrlaut.
„Und sonst?“, fährt er seinen langjährigen Mitarbeiter in ungewöhnlich scharfem Tonfall an.
„Wir haben eine komplette Liste der Leute hier vom Boot. Sind fast alle da und werden jetzt nach und nach im Restaurant einvernommen.“
„Wir sind hier auf'm Schiff. Da heißt das Messe, du Landratte!“
„Wenn schon“, muffelt Ganser mürrisch. Unten angekommen, ärgert Benedict sich über sein rüffeliges Verhalten. Es sieht wirklich nicht wie auf einem Schiff aus. Eher wie in einem überfüllten Ausflugslokal. Die Leute vom K I haben sich über den Raum verteilt. Sitzen an den nackten Kunststofftischen, wo sie gerade die Erstbefragungen des Schiffspersonals durchführen. Die Luft ist schon jetzt stickig. Zigarettenqualm mischt sich mit öligem Dieselgeruch, dem Mief nasser Wäsche und abgestandenem Bierdunst. Den K1-Leiter würgt es in der Magengegend. Wenigstens hat die Leitstelle seine wichtigsten Leute aufgetrieben, registriert Benedict befriedigt. Ganser, der ja sowieso Bereitschaft hatte, Doemges, Läppert und die Leiden-Oster. Alte Hasen, die garantieren, dass hier nichts schiefläuft.
Als ein Aggregat mit lautem Dröhnen anspringt, vermutlich die Klimaanlage, fangen ihm die Augen an zu tränen. Das würde wieder eine dieser üblen Nächte werden.
Er nickt seinen Leuten kurz zu und setzt sich ebenfalls an einen der freien Vernehmungstische. „Hat