„Danke, das ist nett von Ihnen, aber Dienst ist Dienst. So sagt man doch.“
„Einspruch. Sie sind eine Frau und ...“
Sie lachte.
„Ach nein! Der Vertreter des starken Geschlechtes hat die Gleichberechtigung ganz vergessen. Ich trinke jetzt einen starken Kaffee, und dann schaffe ich auch noch die eine Stunde bis acht. Es ist sieben Uhr, man merkt es hier nur nicht, weil die Vorhänge zugezogen sind.“
Sie ging zum Fenster, zog den schwarzen Vorhang auf und sagte:
„Sehen Sie, in den Bäumen schwirren schon die Vögel herum. Und hell ist es mindestens auch bald.“
„In dieser Jahreszeit werden Sie noch etwas darauf warten müssen. Und Vögel?“
Dr. Wolf lachte.
„Ich sehe in den kahlen Ästen nicht einen. Sie sind eine Optimistin, Fräulein Schendt.“
„Nun gut“, erwiderte sie, „ich sehe Vögel, sehe Sonne, obgleich es draußen noch stockdunkel ist. Aber den Silberstreifen am Horizont, den sehen Sie doch auch, nicht wahr?“
Als er sich blind stellte und sagte, er sähe nichts, kniff sie ihn in den Arm und sagte kess: „Dann wundert es mich nicht, dass Sie mich auch noch nicht bemerkt haben, Herr Dr. Wolf. Vielleicht fällt es Ihnen aber noch auf.“
„Wie meinen Sie das?“, fragte er.
Sie lachte und ging, ohne zu antworten, zur Tür.
Dr. Wolf warf noch einen kurzen Blick auf den in Narkose liegenden Patienten und sagte zur ersten OP-Schwester:
„Bitte achten Sie auf ihn und lassen Sie sich gleich ablösen. Wenn etwas ist, das geringste, schalten Sie den Arztruf ein!“
Dann ging er hinter Fräulein Dr. Schendt her, die bereits auf dem Gang stand.
Schwester Gerda tauchte auf.
„Ihnen muss man jratulieren, Doktorchen! Aus Sie wird och noch ’n juter Mensch!“
„Danke“, brummte Dr. Wolf. „Für diese freche Bemerkung bestrafe ich Sie mit einer Kanne Kaffee. Der ist sofort zu kochen und in mein Zimmer zu bringen. Wenn etwas auf der Station geschieht, möchte ich das wissen, Fräulein Dr. Schendt erreichen Sie auch bei mir.“
Schwester Gerda zwinkerte den beiden zu und trippelte davon.
„Verfügen Sie immer über den Aufenthaltsort anderer Leute?“, fragte Fräulein Dr. Schendt spitz.
Dr. Wolf lächelte.
„Ich möchte darauf nicht antworten. Kommen Sie mit. Ich will noch eine Antwort auf meine Frage.“
Er nahm sie am Arm und führte sie in sein Büro. Als er die Tür geschlossen hatte, fragte er noch einmal:
„Wieso vermuten Sie, ich hätte Sie noch nicht bemerkt?“
Sie nahm die Zigarette, die er ihr an bot, dankte, als er ihr Feuer gegeben hatte und sagte nach dem ersten Zug:
„Ich hatte den Eindruck, dass Sie Frauen übersehen.“
Ihn ritt der Teufel, als er sie fragte:
„Halten Sie sich für eine Frau?“
Sie blieb ganz ruhig, lächelte nur und erwiderte:
„Sie sind mir zu stark. Aber wenn ich jetzt ein wenig mehr Kraft hätte, würde ich Ihnen eine ’runterhauen. Verdient hätten Sie’s. Hassen Sie Frauen?“
„Nein. Aber so frech meine Frage eben war, es lag ein Körnchen Wahrheit darin. Sie benehmen sich meist wie ein Junge.“
„Danke, ich hatte vier Brüder. Daran muss es gelegen haben. Die haben auch nie bemerkt, dass es sich bei mir um ein Mädchen gehandelt hat. Und wenn mein Vater Grund dazu hatte, bekam ich dieselben Prügel wie meine Brüder.“
„Die Männer Europas werden Ihrem Herrn Papa auf immer dankbar sein für diese sinnvolle Erziehung eines Mädchens.“
Sie lachte.
„Wissen Sie eigentlich, dass Herr Professor Oberweg mir gesagt hat, ich sollte mich ein bisschen um Sie kümmern?“
„Nee, das war ja eine glänzende Idee von ihm. Warum wollte er mir das antun?“
„Vielleicht war es wirklich eine gute Idee. Ich habe Sie beobachtet. Sie leiden.“
„Tatsächlich?“, höhnte er. „Sind Sie vielleicht von der Psychoanalytischen Abteilung? Man kann ja nie wissen. Vielleicht habe ich einen Mutterkomplex, und morgens beim Aufstehen sehe ich kleine gelbe Hühner in der Luft fliegen? Sie sind eine Wucht, liebe verehrte Kollegin.“
Die Tür ging auf, und Schwester Gerda brachte den Kaffee.
„Extra stark“, behauptete sie.
Dr. Wolf knurrte sie an:
„Ein Brötchen ist wohl in der miesen Stationsküche nicht dabei herumgekommen, wie?“,
„Doktorchen, Doktorchen, ich sehe mir veranlasst, auf das Thema Brötchen noch zu sprechen zu kommen. Gestern haben Se mir och zwei Brötchen jemopst. Aber ich will man nich’ so sein. Sie och ’n Brötchen, Fräulein Doktor?“
„Danke, ich hab’ keinen Appetit.“
Schwester Gerda murmelte etwas von „schlanker Linie“ und verschwand.
Kaum war sie weg, sagte Fräulein Dr. Schendt:
„Lieber Kollege Wolf, Sie können mich nicht verkohlen. Sie brauchen jemanden, mit dem Sie über alles reden können. In Ihnen steckt was. Sagen Sie, was Sie drückt, vielleicht kann ich Ihnen helfen.“
Ihre selbstbewusste Art überraschte ihn. Und das alles nach einer solchen Operation morgens kurz nach sieben.
„Wissen Sie, es ist sehr nett von Ihnen, mich so zu umsorgen, aber nun einmal vernünftig unter Erwachsenen: Sie sind allein hier in dieser Stadt?“
„Ja.“
„Sie haben einen Freund, einen Verlobten oder was sonst?“
„Nein.“
„Sie sind also mutterseelenallein?“
„Erraten.“
„Gut, dann will ich Ihnen mal einen Vorschlag machen. Nicht ich brauche jemanden, sondern Sie. Wann haben Sie dienstfrei?“
„Übermorgen den ganzen Tag und die Nacht, aber da will ich schlafen. In der Nacht, meine ich.“
„Gut, ich werde es so einrichten, dass ich übermorgen auch frei habe. Ich verurteile Sie wegen Ihres ungebührlichen Benehmens mir gegenüber zu einer Fahrt in meinem alten Auto in die Heide. Dort werden wir in einem kleinen Gasthof zu Mittag essen und am Nachmittag wieder heimgondeln. Ist das klar?“
Sie lachte.
„Danke, ich nehme an.“
*
AM NACHMITTAG FUHR Dr. Wolf zu Peschkes. Im Betriebshof wurden gerade zwei Lastzüge mit Bimsplatten beladen, und Frau Peschke stand dabei. Als sie Dr. Wolf sah, rief sie: „Moment, Gert, ich bin gleich da.“
Nachher kam sie, strahlte ihn an und sagte:
„Nun komm ’rein, mein Junge. Schön, dich wieder mal zu sehen.“
„Ist Inge da?“, erkundigte er sich.
Da wurde sie ernst.
„Ja und nein, aber komm erst ins Haus. Ich erzähle dir alles.“
Dann,