Der lange Weg in die Freiheit! Deckname "Walpurgis". Dr. Helmut Bode. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. Helmut Bode
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347032132
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das Volkspolizei-Kreisamt (VPKA) durch das so genannte „Goldene Tor“. Leider kamen wir nicht hierher, um nach der Entlassungsprozedur aus der so ungeliebten DDR-Staatsbürgerschaft durch dieses Tor hinaus in die Freiheit zum Bahnhof und zum Zug in Richtung Westen gehen zu können, nein, uns erwartete eine andere Prozedur, von der wir aber noch nicht wussten, was sie uns bringen würde!

      Nachdem wir uns am Eingang bei der Wache gemeldet hatten, wurden wir durch das Vordergebäude über den Hof in ein Hintergebäude geschleust, natürlich in Begleitung eines wachthabenden Volkspolizisten.

      Unser Sohn sprach aus, was wir Erwachsenen wohl in diesem Moment dachten, denn er fragte: „Sind wir hier schon im Knast?“ Wir beruhigen ihn, aber ganz sicher waren wir uns selbst nicht. Alle Fenster waren vergittert und viele der Türen waren mit einem Siegel versehen. Das Mobiliar des Zimmers, in welches wir verfrachtet wurden, bestand nur aus einigen Stühlen. Nach einiger Zeit des Wartens wurden wir Erwachsene in ein anders Zimmer befohlen, wo uns die Personalausweise (DPA) mit der Begründung abgenommen wurden: „Wir müssen Sie vor unüberlegten Schritten bewahren!“ Grundlage war eine Polizeiverordnung, nach der der Leiter des VPKA Bürgern die DPAs, bei im Einzelnen aufgeführten Tatbeständen, abnehmen konnte. Da für uns keiner der Tatbestände zutraf, wurde der letzte Absatz:

       »… sollte keiner der o. a. Tatbestände zutreffen, dann kann der Minister des Inneren den Leiter des VPKA beauftragen, den betreffenden Personen den Personalausweis zu entziehen …«

      (sinngemäß) herangezogen.

      Anschließend führte uns der begleitende Volkspolizist über den Hof zurück und lieferte uns in der Abt. Pass- und Meldewesen ab, die sich im Vorderhaus befand. Eine von der Natur etwas stiefmütterlich modellierte Person, wohl weiblichen Geschlechts, in Polizeiuniform, reichte uns Antragsformulare und forderte uns in dem üblichen Volkspolizei-Befehlston auf: „Füllen Sie diese Anträge aus!“ Auf die Frage von Rosemarie: „Wieso sollen wir denn einen Antrag für einen verlorengegangenen Personalausweis stellen? Wir haben doch unsere Ausweise nicht verloren!“ Kam wiederum im Befehlston, der keinen weiteren Widerspruch duldete: „Machen Sie, was ich Ihnen sage und diskutieren Sie hier nicht mit mir!“ Wir drei Erwachsene hatten also keine andere Wahl, als die Anträge auszufüllen! Nach einiger Zeit bekamen wir den PM12 ausgehändigt!

      Der PM12 wurde anstelle des Personalausweises ausgegeben, wenn dieser aus politischen Gründen eingezogen worden war, bzw. nach der Haftentlassung. Der Besitzer eines PM12 war faktisch vorverurteilt und unterlag meistens diversen Auflagen, wie z.B. wöchentliche Meldepflicht bei der Polizei, Arbeitsplatzbindung, Verbot die Stadt zu verlassen und ins Ausland zu reisen usw.

      Dann waren wir entlassen und konnten gehen. Wir verließen das Volkspolizeikreisamt durch das „Goldene Tor“, aber leider immer noch als Staatsbürger der DDR!

      Wenn wir bei den verschiedensten Möglichkeiten nach unserem Personalausweis gefragt wurden, was ja in der DDR häufig der Fall war, und diesen PM12 vorlegten, sah man uns entweder verwundert, zurückhaltend oder auch lächelnd an. Gefragt wurden wir wohl nie, wieso wir einen solchen Ausweis haben. Unsere Tochter fand diesen Ausweis recht nützlich, denn damit kam sie immer in die Disco, auch wenn diese eigentlich schon wegen Überfüllung geschlossen war. Welch eine Wertschätzung!

      Am 444. Tag seit unserer Antragstellung, es war ein Sonnabend, waren wir wieder auf unserem Grundstück in Wahlitz. Unser Sohn und sein Freund aus der Nachbarschaft schaukelten und sprangen den ganzen Tag über von der Schaukel ab, dabei muss sich unser Sohn den rechten Fuß verletzt haben. Erst nachdem wir ihn fragten, warum er denn humpelt, zeigte er uns den Fuß und wir stellten fest, dass er ganz geschwollen war. Hoffentlich ist er nicht gebrochen, war unsere Befürchtung! Am Sonntag nahmen wir beide trotzdem den seit langer Zeit geplanten Termin, Besuch der Eisenbahnausstellung auf dem Hauptbahnhof, wahr. Mir war dabei nicht ganz wohl, denn ich musste ihn teilweise tragen, da sein rechtes Bein sehr weh tat! Aber er ließ es sich nicht nehmen, von mir auf die Fahrstände der Dampf- bzw. E-Loks gehoben zu werden. Die Ausstellung war für ihn viel zu interessant. Am Montag ließen wir seinen rechten Fuß röntgen, mit dem Ergebnis, dass der Fußknochen, genauer die drei äußeren Mittelfußknochen, gebrochen waren. Außerdem hatte sich ein Fußknochen zurückgebildet! Folglich wurden der rechte Fuß und der rechte Unterschenkel eingegipst!

      Am 28. August schickten wir das 10. Gesuch auf Übersiedlung an die Abt. Innere Angelegenheiten des Rates der Stadt Magdeburg und zwei Tage später wurde unser Sohn Schüler der Polytechnischen Oberschule „Pablo Neruda“ Magdeburg-Nord. Wir mussten ihn fahren, da er ja mit seinem Gips-Fuß-Bein nicht soweit laufen konnte. Er war der Mittelpunkt der Einschulung! Worauf wir gerne verzichtet hätten.

      Anfang September entschloss ich mich, ab sofort nicht mehr in dem Einzelzimmer E14, in dem ich als Oberassistent mindesten seit 1980 saß, aufzuhalten. Nun war auch dieser Lebensabschnitt abgeschlossen.

      Seit unserer Antragstellung quälten mich wiederholt Magenschmerzen. Meine behandelnde Ärztin war der Meinung, dass meine Probleme mit dem Magen auch psychosomatischer Natur sein könnten, sodass sie mich einen Facharzt für Psychotherapie und Psychosomatik überwies und mir für den 10. September gleich einen Termin besorgte.

      Ich begab mich also zum vereinbarten Termin in die Abt. „Gynäkologie, schmerzarme Geburt“ der Medizinische Akademie. Hier erhielt ich einen Fragebogen mit knapp einhundert Fragen, die ich schriftlich zu beantworten hatte, dann konnte ich wieder gehen. Vorher erhielt ich noch einen Termin, genau eine Woche später. Zum angegebenen Termin war ich wieder in der Med. Akademie Abt. „Gynäkologie, schmerzarme Geburt“, diesmal zum Gespräch über die Auswertung der von mir beantworteten Fragen. Der Arzt meinte: „Sie haben am letzten Dienstag die Fragen so beantwortet, wie Sie sich selbst gerne sehen!“ Na, so was, dachte ich mir, sollte ich die Fragen denn so beantworten, wie er es erwartet? Woher weiß ich denn, was er von mir erwartet? In dem nun schon für mich nicht mehr so interessanten Gespräch stellte er mir die Frage: „Sind Sie bedrückt, wenn Sie an ihrem alten Zimmer vorbeigehen?“ worauf ich antwortete: „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht!“ Kopfschütteln war seine Reaktion. Wie ich dann nun auch noch auf seine weitere Frage: „Welches sind ihre Lieblingsfarben?“ absolut keine Antwort wusste, soviel er auch nachfragte, war klar, hier konnte mir nicht geholfen werden! Ich war nicht der geeignete Patient für diese Art von Beeinflussung, d.h. damit gegen meine Magenprobleme anzukämpfen. Wir verabschiedeten uns, wobei er von mir sicher dachte, dem ist nicht zu helfen, wenn er nicht einmal seine Lieblingsfarben kennt! Ein Versuch war es aber wert, dachte ich mir und war froh, dass sich meine Ärztin um meine Magenprobleme so kümmerte.

      Drei Wochen nach dem Ende der Sommerferien wurde unsere Tochter zum Direktor ihrer Schule bestellt und gefragt, warum sie ihr Zeugnisheft nicht wieder in der Schule abgegeben habe. Der Grund dafür war, dass wir beschlossen hatten, das Zeugnisheft bei uns zu behalten, um es im Falle einer plötzlichen Ausreise nicht erst von der Schule abholen zu müssen! Wer weiß, ob man es uns dann überhaupt ausgehändigt hätte? Es gab, wie nicht anders zu erwarten, eine Verordnung, die besagte, dass das Zeugnisheft in der Schule abzugeben ist, um es dort aufzubewahren! Wie könnte es auch anders sein. Unsere Tochter gab dann am nächsten Schultag ihr Zeugnis im Direktorat ab. Nun war für den Genossen Direktor die Welt sicher wieder in Ordnung!

      Ende September schickten wir routinemäßig unser 11. Gesuch auf Übersiedlung an die Abt. Innere Angelegenheiten des Rates der Stadt Magdeburg und Rosemarie schrieb wieder einmal an den Rechtsanwalt Vogel in Berlin. Es war in uns eine innere Unruhe, wir hatten das Bedürfnis immer wieder etwas in unserer Angelegenheit zu unternehmen.

      Es war ein Freitag und nach langer Zeit klingelte mal wieder das Telefon. Die Anruferin erklärte mir, dass ich mich sofort bei dem Sektionsdirektor einzufinden hätte. Na, was wird es so Wichtiges sein, dass ich so Hals über Kopf zum Sektionsdirektor, meinem „Ausreisementor“, bestellt werde, war mein Gedanke, aber die Anspannung fiel schnell von mir ab, denn außer allgemeinem Gerede, gab es leider nichts Neues! Sicherlich musste er wieder lt. Maßnahmeplan mit mir ein „Rückgewinnungsgespräch“ führen.

      Solange wir noch in Magdeburg wohnten, wollte ich die Zeit nutzen und noch einiges über unsere Vorfahren herausfinden. Mein Vater hatte neben seiner sportlichen Betätigung sehr intensiv Familienforschungen