Wenn die Nebel flüstern, erwacht mein Herz. Kathrin Lange. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kathrin Lange
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401809106
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sich gerade selbst davon überzeugt, dass es so war, als der Nebel das Geräusch des Motorrads herantrug. Und diesmal klang es wirklich nah.

      Blöd, dass der Nebel jedes Hindernis verbarg, dachte Christopher. Das Risiko, schwer zu verunglücken, war riesig dadurch, zumal er, wie immer, keinen Helm trug.

      Es war ihm egal. Die Geschwindigkeit vertrieb die Unruhe aus seinen Gliedern. Und selbst wenn er sich den Schädel an einer Mauer einrammte, würde ihn das schließlich nicht töten.

      Er gab noch etwas mehr Gas. Die Enduro bäumte sich auf, grub das Profil ihres Hinterrades tiefer in die nebelfeuchte Erde und schoss vorwärts.

      Ob Adrian ahnte, dass er hier draußen war? Vermutlich. Adrian wusste meistens sehr gut, was in Christopher vor sich ging.

      Christopher senkte den Kopf tiefer über den Lenker seiner Geländemaschine und lenkte sie auf die lange Auffahrt, die vom Herrenhaus zur Landstraße hinunterführte. Hier drehte er die Geschwindigkeit bis zum Anschlag auf.

      Er kannte den Weg im Schlaf.

      Gleich würde eine Kurve kommen.

      Er legte sich zur Seite, die Räder der Maschine kamen auf dem seifigen Boden ins Rutschen. Gerade noch fing er den Sturz ab. Sein Oberschenkel streifte einen Mauervorsprung, er hatte Glück, dass es ihm nicht das Knie zertrümmerte. Dafür peitschte ihm der Ast eines Schwarzdorns ins Gesicht und riss ihm die Wange blutig.

      Er beschleunigte erneut.

      Eine Gestalt tauchte aus dem Nebel auf. Adrian!, dachte er erst und dann: Kann nicht sein! Diese Gestalt war viel kleiner. Er riss den Lenker herum. Zu spät! Die Person warf sich mit einem hellen Aufschrei zur Seite und nur deshalb entgingen sie beide dem Zusammenprall.

      Ein Mädchen!, durchzuckte es Christopher. Schlingernd brachte er die Enduro zum Stehen, während das Mädchen mit einem wüsten Fluch über die Mauer kippte. Ein Instinkt riet ihm abzuhauen, ihr aus dem Weg zu gehen. Aber er konnte unmöglich weg von hier, ohne sich zu vergewissern, ob es ihr gut ging. Also stieg er notgedrungen ab, bockte die Maschine auf und ging das Stück zurück bis zur Unfallstelle.

      Die Kleine rappelte sich gerade auf.

      »Alles in Ordnung?« Er streckte die Hand aus, um ihr zu helfen.

      »Fass mich nicht an!« Sie schlug wütend nach ihm. Bevor Christopher etwas erwidern konnte, stand sie wieder auf den eigenen Füßen. Dichte schwarze, an den Spitzen leuchtend blau gefärbte Haare verbargen ihr Gesicht, bevor sie sie genervt zur Seite schleuderte.

       Alice!

      Christopher fühlte sich, als hätte es ihn bei zweihundert Sachen auf den Asphalt geknallt. Gleich darauf jedoch sickerte Erleichterung durch seine Adern.

      Das hier war nicht Alice.

      Natürlich nicht! Die wutentbrannte, kleine Furie, die da vor ihm stand, hatte zwar dieselbe helle, fast porzellanartige Haut, blaue Augen und einen ausgeprägten, ziemlich hübschen Amorbogen an der Oberlippe, genau wie Alice. Aber da endeten die Ähnlichkeiten auch schon. Alice hätte nie im Leben ihr Gesicht durch ein Nasenpiercing verunstaltet und die Haare so unmöglich blau zu färben, wäre ihr auch niemals eingefallen.

      Christopher wurde bewusst, dass er die Kleine anstarrte. Um seine Verwirrung zu verbergen, zischte er: »Kannst du nicht aufpassen?«

      »Das ist nicht dein Ernst, oder? Du hast mich doch eben beinahe umgebracht!« Der Blick ihrer blauen Augen bohrte sich tief in seinen und da endlich hatte er seinen Verstand wieder beisammen.

      Adrians Worte hallten in ihm wider: Was, wenn wieder ein Mädchen hier auftaucht …?

      Er verdrängte die aufsteigende Panik, indem er sich in Unfreundlichkeit rettete. »Was machst du hier?«, zischte er. »Das ist Privatland. Du hast hier nichts zu suchen!« Er gab seiner Miene ein betont finsteres Aussehen. Wenn er dafür sorgte, dass die Kleine verschwand, würde Adrian nicht mal mitbekommen, dass sie da gewesen war.

      Doch dummerweise schien er mit seinem Tonfall einen Nerv getroffen zu haben. Statt sich schuldbewusst umzudrehen und zu verschwinden, starrte sie ihn noch wütender an. Dann stemmte sie die Hände in die Hüften und schleuderte mit einer Kopfbewegung diese absurden blauschwarzen Haare nach hinten. »Spiel dich bloß nicht so auf!«, erwiderte sie.

      Was war denn das für ein Arschloch?

      Bretterte der Typ sie erst beinahe mit seiner blöden Angeberkarre über den Haufen und dann wurde er auch noch unfreundlich? Der hatte sie ja wohl nicht mehr alle!

      Jessa musste den Kopf in den Nacken legen, weil der Idiot ein ganzes Stück größer war als sie. Waren die beiden Striemen quer über seiner Wange Dreck oder Blut?

      Er sah gut aus, groß, schlank, dunkle Haare und ebenmäßige Gesichtszüge. Seine Augen hatten die Farbe von Bernstein. Er trug nur Jeans und ein weißes Hemd, bei dem er noch dazu die oberen Knöpfe offen hatte, sodass sie sein Schlüsselbein und ein Stück seiner Brust sehen konnte. Und das, obwohl es so kalt war, dass Jessa trotz ihrer alten Lederjacke fröstelte.

      Klar. Obercool auszusehen, ging eben vor. Wie sie solche Typen hasste!

      »Wie bitte?«, fragte er verdutzt.

      Sie beschloss nachzulegen. Angriff war schließlich immer noch die beste Verteidigung. »Was bitte funktioniert bei dir nicht? Dein Gehör oder dein Gehirn?«

      Er schnappte nach Luft. Sie schien ihm ziemlich den Wind aus den Segeln genommen zu haben.

       Gut so!

      Dann jedoch atmete er tief und langsam durch, eine Geste, die so herablassend wirkte, dass Jessa am liebsten gekotzt hätte. Seine Stimme war flach, als er meinte: »Ich wollte nur sehen, ob du dich bei deinem Sturz verletzt hast.«

      »Hab ich nicht. Vielen Dank.« Jessa bewegte das rechte Bein ein wenig. Das Knie tat ihr weh. Und die Jeans, die dort sowieso schon kaputt gewesen war, war noch ein bisschen weiter aufgerissen. Aber immerhin blutete sie nicht.

      Ganz im Gegensatz zu ihm. Er hatte die beiden Kratzer in seinem Gesicht jetzt offenbar bemerkt. Mit dem Handrücken wischte er darüber.

      »Ich wäre allerdings gar nicht auf die Fresse geknallt, wenn du nicht wie ein Vollidiot hier langgerast wärest«, sagte sie.

      »Ja. Das hatten wir schon.« Er wirkte irgendwie verwirrt und wütend gleichzeitig. Drohend kam er einen Schritt näher. Offenbar war er nicht nur im Gesicht verletzt, denn ihr fiel auf, dass er humpelte. »Und jetzt sieh zu, dass du von hier verschwindest. Das ist Privatbesitz!«

      Jessa wich zurück und ärgerte sich über sich selbst. Schließlich hatte sie auf den Straßen von London schon mit ganz anderen Typen zu tun gehabt. Dagegen war dieses Landadelssöhnchen hier nur ein Weichei, Angeberkarre hin oder her. »Wo steht das geschrieben, Arsch?«, fragte sie.

      Was war das denn für eine lahme Erwiderung? Das kriegt ja jede Fünfjährige besser hin.

      Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, sodass sie sich über seiner ebenmäßigen Nase fast berührten, aber sonst reagierte er nicht auf ihre Beleidigung. Stattdessen griff er nach ihrem Arm und wieder schlug sie seine Hand zur Seite.

      Diesmal gab er ihr einen rüden Schubs, der sie in Richtung Straße taumeln ließ. »Abmarsch!«, befahl er. »Ich bringe dich zur Straße.«

      »Du kannst mich mal! Wofür hältst du dich? Für Gottes Geschenk an die Menschheit, oder was?«

      »Ich bin Gottes Geschenk an die Menschheit. Und wenn du jetzt nicht auf der Stelle kehrtmachst und dieses Land verlässt, dann lege ich dich über’s Knie.«

      Sie lachte auf. »Das hättest du wohl gern!«

      »Bilde dir nichts ein.« Mit dem Kopf wies er ihr die Richtung und wartete, bis sie an seiner Enduro vorbeigestapft war. Dann hob er das Bike auf und drehte es so, dass es den Weg auf der gesamten Breite versperrte. »In ungefähr einer halben Stunde fährt der Bus nach Haworth vorbei.«

      Sie