Tochter der Inquisition. Peter Orontes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Orontes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783839250686
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bin mir dessen durchaus bewusst, dass dies Eure Pflicht ist. Und dennoch: Ich kann nicht einmal auf diese Sache den Eid leisten, ohne meine Familie ernstlich zu gefährden.«

      »Was soll das nun wieder heißen?«, polterte der Stadtrichter erbost. Wütend knallte seine Hand auf den Tisch.

      »Bei allem schuldigen Respekt, Herr Richter, das Schreiben enthielt auch die Aufforderung, nichts von alledem, was ich Euch eben gesagt habe, zu beeiden. Ich könne zwar darlegen, dass das Leben meiner Familie bedroht ist, aber ich dürfe nicht den Schwur auf diese Behauptung leisten. Ohne einen Eid ist meine Aussage jedoch nichts wert, also werdet Ihr sie nicht gegen Jobst Heiss noch gegen irgendjemand anderen verwenden können. Darauf bauen diejenigen, die mich unter Druck setzen. Ehrwürdiger Herr Stadtrichter, um des Lebens meiner Familie willen bitte ich Euch: Vergesst meine Aussage und seht davon ab, mich unter Eid zu nehmen. Entlasst mich aus dem Verfahren. Ich hoffe auf Eure Gnade und Euer Verständnis.« Seimer war zu Ende gekommen. Verzweifelt blickte er auf die beiden Richter und die Beisitzer.

      Georg von Panhalm sah konsterniert auf seine Finger, die nervös auf die Tischplatte trommelten. Er war in einer verzwickten Lage. Da war ein Zeuge, der glaubhaft versicherte, man hätte ihn erpresst, damit er seine Aussage zurückziehe, die den Angeklagten erheblich belastete. Damit nicht genug, verlangten der oder die angeblichen Erpresser auch noch, dass eben dieser Zeuge die Umstände seiner Erpressung zwar darlegen, diese Darlegung aber nicht beeiden dürfe. Worin lag der Sinn dieser Taktik? Offensichtlich darin, alle Aussagen Seimers durch seine Verweigerung des Eides unwirksam werden zu lassen. Zum einen, was seine Darstellung der Geschehnisse jenes Abends anging, an dem der Pützer niedergestochen wurde. Zum anderen, was die Erpressung selbst betraf.

      Von Panhalm war sich darüber im Klaren, dass er dem Zeugen nicht einmal in diesem Punkt einen Eid abnehmen konnte, ohne ihn in Angst zu stürzen. Denn auch der Tatbestand der Erpressung rückte Jobst Heiss deutlich in die Nähe einer Schuld, selbst wenn er nicht persönlich daran beteiligt war. Ein Eid in dieser Angelegenheit würde dem Schuldvorwurf gegen ihn eine umso bedrohlichere Dimension geben. Genau das versuchten der oder die Erpresser geschickt zu verhindern, indem sie Peter Seimer schreckliche Konsequenzen androhten, sollte er doch die Hand zum Schwur erheben. Gericht und Zeuge drehten sich so im Kreis. Waren auch genügend Verdachtsmomente gegen den Angeklagten gegeben, man konnte ihm nichts beweisen. Denn Seimer hatte unbestreitbar recht: Ohne einen Eid waren alle seine Zeugenaussagen nichts wert; so wollten es Recht und Gesetz. Ihn zum Schwur zu zwingen, war unter den gegebenen Umständen jedoch nicht sinnvoll; jeder Richter, der sich dazu hätte hinreißen lassen, hätte sich in den Augen der Öffentlichkeit der Rücksichtslosigkeit schuldig gemacht. Dagegen hatte ein Richter, der sich mit der öffentlichen Meinung gutstellte, unbestreitbar größere Chancen, erneut in das Amt gewählt zu werden.

      Georg von Panhalm sandte einen Hilfe suchenden Blick zu Ludwig dem Neudlinger, der neben ihm saß.

      »Glaubt Ihr an seine Schuld?«, raunte er ihm zu.

      Der Bannrichter zuckte ratlos die Schultern.

      »Ob wir beide es glauben oder nicht, spielt keine Rolle«, raunte er zurück. »Wegen Mordes können wir den Heiss jedenfalls nicht belangen. Er hat einen Eid darauf geleistet, dass dieser Pützer zuerst das Messer gezogen hat. Das könnt Ihr nicht widerlegen, nachdem Euer Hauptzeuge den Schwanz eingezogen hat, auch wenn ich geneigt bin, ihm zu glauben. So wie es aussieht, werden die Genannten, die die Fürsprache dieses Heiss übernommen haben, auf ›nicht schuldig‹ plädieren. Wenn alles so war, wie der Schmied behauptet, hatte er in der Tat das Recht, sich gebührend zu verteidigen.«

      Von Panhalm nickte mit finsterer Miene. Er hatte in der Tat keine andere Wahl, als sich den Gegebenheiten zu beugen, wenngleich sein Instinkt ihm sagte, dass Peter Seimer die Wahrheit gesprochen hatte.

      Ihm blieb nur noch, den Angeklagten nochmals zu verhören.

      »Jobst Heiss, Ihr habt vernommen, was der Zeuge Seimer gesagt hat. Wie steht Ihr dazu?«, fragte er, im Innern davon überzeugt, dass sich diese Frage eigentlich erübrigte.

      Jobst trat vor den Richter. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Völlig entgeistert war er zunächst den Ausführungen des Peter Seimer gefolgt. Er konnte einfach nicht glauben, was er da gehört hatte. Dann aber wurde ihm warm ums Herz. Offensichtlich hatten sich einige seiner Freunde mächtig ins Zeug gelegt, um ihn hier herauszuhauen. Er zermarterte sich das Hirn, wer sich da so für ihn eingesetzt haben mochte, doch er kam zu keinem Ergebnis. Aber letztendlich war das auch gleichgültig. Wichtiger war – das hatte er sofort begriffen –, dass die Aussagen Seimers keinerlei Bedeutung mehr besaßen. Ohne Kopf und Kragen zu riskieren, konnte er diesmal sogar auf die Fragen des Richters wahrheitsgemäß antworten. Denn was die Erpressung anging, von der Seimer berichtet hatte, wusste er schließlich wirklich nichts. Über das ganze Gesicht grinsend, aber immer noch sprachlos ob der für ihn unerwartet günstigen Entwicklung, stand Jobst Heiss vor seinem Richter.

      »Ich habe Euch gefragt, wie Ihr zu der Aussage des Zeugen Seimer steht. Wollt Ihr Euch also endlich bequemen zu antworten?«, hakte der Panhalmer ärgerlich nach.

      »Verzeiht, Ehrwürdiger Herr Stadtrichter«, antwortete Jobst mit triumphierendem Grinsen, »aber Ihr seht mich völlig überrascht. Mir fehlen die Worte. Doch Ihr habt es vorhin selbst schon gesagt: Wie hätte ich den Seimer erpressen können – ich saß ja die ganze Zeit über im Loch. Und was meine Freunde angeht: Welche Beweise gibt es für ihre angebliche Schuld? Wer könnte mit Recht irgendwelche Namen nennen? Mit Verlaub, Euer Gnaden: Peter Seimer lügt. Er hat von Anfang an gelogen; jetzt wird ihm die Sache zu heiß und er zieht den Schwanz ein. Dabei versucht er, die erste Lüge mit einer zweiten zu vertuschen.«

      Jobst hatte Oberwasser bekommen, hämisch grinsend sah er zu Peter Seimer hinüber. In der Menge begann es wieder zu rumoren. Eine hitzige Diskussion hatte eingesetzt. Einige hielten es mit dem Zeugen, andere, und das waren nicht wenige, mit dem Angeklagten.

      Zum wiederholten Male sauste der Hammer des Stadtrichters auf den Tisch.

      »Ruhe!«, rief er. »R-u-h-e-!«

      Er wandte sich an den Bannrichter und flüsterte ihm etwas zu. Gleich darauf steckten sämtliche Beisitzer die Köpfe zusammen und es folgte ein ausführliches, leise geführtes Gespräch zwischen den beiden Richtern und den Vertretern des Rates, dann erhob sich von Panhalm.

      »Hiermit ergeht folgendes Urteil«, verkündete er. »Jobst Heiss wird vom Vorwurf des vorsätzlichen Mordes aufgrund ungültiger beziehungsweise fehlender Zeugenaussagen freigesprochen. Das Gericht muss ihm das Recht zur Notwehr zubilligen. Für den Tatbestand der gefährlichen Schlä­gerei jedoch verhänge ich über Jobst Heiss eine fünftägige verschärfte Kerkerhaft bei Wasser und Brot und verurteile ihn zum Tragen des Spotthutes für einen Tag. Darüber hinaus hat er dem Wirt Jakob Rabener den ihm zugefügten Schaden voll zu ersetzen. Das Urteil ist sofort durch den Züchtiger zu vollstrecken. Was den Zeugen Peter Seimer angeht: Er ist aus dem Verfahren entlassen. Auf seine Vereidigung wird verzichtet. Desgleichen erübrigt sich auch die Vernehmung der anderen Zeugen sowie das Plädoyer der vom Gericht bestimmten Genannten. Die Verhandlung ist damit beendet!«

      Zum letzten Mal an diesem Tag ließ der Stadtrichter den Hammer herniederfahren.

      Die beiden Büttel, die für den Angeklagten zuständig waren, packten diesen rechts und links am Arm und führten ihn ab. Jobst grinste und winkte mit den gefesselten Händen ins Publikum. Für viele war er der Held des Tages.

      »Gut gemacht, Jobst!«, schrie ein kleiner, buckliger Alter mit einem lahmen Bein.

      »Ja, dem Seimer hast du’s ordentlich besorgt!«, brüllte ein anderer. »Wenn du wieder draußen bist, saufen wir dem Rabenwirt den Keller leer!«, grölte ein Bärtiger namens Hans Rotter; er und Heiss waren besonders gute Freunde.

      So wurde Jobst Heiss unter dem Beifall seiner obskuren Kameraden in das Stadtverlies geführt.

      Einige von denen, die es mit Peter Seimer hielten, gingen auf ihn zu, klopften ihm auf die Schulter und gaben ihm ein paar gut gemeinte Worte. Doch Peter sah zu, dass er den Marktplatz so schnell wie möglich verließ. Ihm war nicht nur ein Stein, sondern ein ganzes Gebirge vom Herzen gefallen.