Tochter der Inquisition. Peter Orontes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Orontes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783839250686
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vollzog Balduin eine halbe Drehung um die eigene Achse und wies mit einer kreisenden Bewegung seiner Rechten auf den Richtertisch, – »hicks – der … der weiß, … was sich … ge… gehört.«

      Die Zuschauer brüllten vor Lachen.

      »Weiter so, Balduin!«, schrie einer.

      »Sollen wir in Zukunft auch ›Ihr‹ zu dir sagen?«, feixte ein anderer.

      »Oder vielleicht ›Euer Gnaden‹«, rief jemand dazwischen.

      »Wenn schon, dann ›Eure schweinischen Gnaden‹«, setzte ein anderer drauf.

      Die Menge johlte. Sogar einige vom Rat und den Genannten begannen zu grinsen. Der Gerichtsschreiber lachte gar aus vollem Hals und hielt sich den Bauch. Georg von Panhalm merkte, wie ihm die Verhandlung zu entgleiten drohte. Schlagartig begriff er, dass nicht nur die Würde des Gerichts auf dem Spiel stand, sondern auch seine künftige Karriere.

      »Wollt Ihr diesem unwürdigen Treiben nicht endlich ein Ende machen?«, raunzte Ludwig der Neudlinger den Stadtrichter an und mischte sich damit zum ersten Mal in die Verhandlung ein.

      Von Panhalm erhob sich mit hochrotem Kopf und blickte wütend in die Runde.

      »Ruhe!«, brüllte er von der Laube herunter. »Ruhe! Wollt Ihr endlich Ruhe geben! Das ist eine Gerichtsverhandlung und kein Possenspiel. Oder sollen Euch meine Büttel vom Platz prügeln?«

      Sofort kehrte Ruhe ein.

      »Wer es noch einmal wagen sollte, sich ungebührlich zu benehmen, den lasse ich drei Tage einlochen. Der Zeuge Balduin Lechner ist hiermit entlassen. Auf seine Aussage kann vorerst verzichtet werden, er wird diese morgen in meiner Amtsstube wiederholen – wenn er wieder nüchtern ist. – Entfernt den Mann!« Mit den letzten Worten hatte sich von Panhalm, ruhiger geworden, an den Büttel gewandt, der für den Schweinehirten zuständig war. Der packte Lechner bei den Armen und beförderte ihn die Treppe hinunter.

      Balduin sah enttäuscht drein. Er hatte das bedauerliche Gefühl, dass sein Auftritt zu Ende war, bevor er richtig begonnen hatte. Da hatte er es endlich einmal geschafft, einige Augenblicke lang zu einer wichtigen Person zu werden, und schon war das Interesse an ihm wieder dahin. Missmutig torkelte er von dannen.

      »Peter Seimer, seid Ihr bereit?«, rief von Panhalm seinen wichtigsten Zeugen auf. »Tretet näher und erklärt dem Gericht, wie sich die Dinge an jenem Abend aus Eurer Sicht zugetragen haben.«

      Peter Seimer ging festen Schrittes die Treppen hinauf und trat an den Richtertisch. Mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck, in dem Furcht und Zweifel, aber auch ernste Entschlossenheit lagen, sah er den Richter an.

      »Nun?«, fragte der Stadtrichter. Irgendetwas in der Miene Seimers irritierte ihn.

      Peter schwieg. Es fiel ihm sichtlich schwer, mit dem Sprechen zu beginnen.

      »Was ist, Seimer? Hat es Euch die Sprache verschlagen?« Der Stadtrichter runzelte die Brauen; er wurde sichtlich ungeduldig.

      »Nein, Herr Stadtrichter«, Peter hatte sich endlich überwunden, doch seine Stimme klang rau und brüchig. »Es ist nur«, er zögerte, »ich … ich möchte Euch und die anderen ehrenwerten Herren davon in Kenntnis setzen, dass ich meine Aussage zurückziehen muss.«

      Der gesamte Richtertisch saß da, wie vom Donner gerührt. In der Menge hätte man eine Nadel fallen hören können.

      »W-a-a-s sagt Ihr da?«, fragte von Panhalm ungläubig. »Ihr wollt Eure Aussage zurückziehen? Warum denn das, in Dreiteufelsnamen? Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen? Oder wollt Ihr mich zum Narren halten?« In die Stimme des Richters hatte sich so etwas wie fernes Donnergrollen gemischt.

      »Nichts liegt mir ferner, Herr Stadtrichter. Ihr wisst, dass ich stets den schuldigen Respekt Euch gegenüber habe walten lassen. Ich achte Euch und Euer Amt. Ebenso das der anderen Herren.« Seimer nickte dem Bannrichter und den Mitgliedern des Rates zu. »Und glaubt mir, es fällt mir nicht leicht zu widerrufen – doch das Leben meiner Familie steht auf dem Spiel.« Peter blickte zu Boden.

      Durch die Menge ging ein Raunen. Die beiden Richter und die vier Ratsmitglieder sahen sich befremdet an, ebenso die Genannten. Jobst Heiss musterte Seimer mit verkniffenem Blick, aber auch mit sichtbarer Verwunderung.

      »Erklärt Euch deutlicher, Peter Seimer. Was, zum Teufel, veranlasst Euch, Eure Aussage zurückzuziehen? Wer sollte Eurer Familie etwas antun wollen?«, wollte von Panhalm wissen.

      »Ich hege große Sorge, ehrenwerter Herr Stadtrichter, dass, wenn ich bei meiner Aussage bleibe, von gewisser Seite«, – Peter Seimer blickte zu Jobst hinüber –, »versucht werden wird, Rache zu nehmen. Ich bin in einem anonymen Schreiben davor gewarnt worden, meine Aussage hier vor Euch zu bestätigen. Sollte ich dies dennoch tun und sollte dies zu einer Verurteilung des Angeklagten führen, würden meine Frau und meine Kinder dran glauben müssen – so ließ man es mich wissen. Darum bitte ich Euch inständig, meine Aussage als hinfällig zu betrachten und sie nicht beschwören zu müssen. Bitte, Herr Stadtrichter, entlasst mich aus dem Verfahren.«

      Von Panhalm hatte mit ungläubigem Staunen zugehört. »Und Ihr glaubt tatsächlich, dass ich Euch das abnehme?«

      »Welchen Grund sollte ich haben, Euch zu belügen? Ich denke, man kennt mich als jemanden, der weiß, was er sagt und was er tut«, wandte Peter ein.

      In der Tat kannte jedermann Peter Seimer als einen aufrechten, absolut ehrlichen Mann mit einwandfreiem Leumund. Insgeheim nannten ihn einige spöttisch sogar den »Heiligen«. Auch seine Familie galt als vorbildlich – für manche gar als übertrieben vorbildlich. All dies wusste auch der Stadtrichter.

      »Zeigt mir dieses Schreiben«, forderte der Richter den Zeugen auf.

      Peter Seimer sah zu Boden. »Ich besitze es nicht mehr, Herr Stadtrichter«, sagte er leise.

      »Ach, Ihr besitzt es nicht mehr. Und das soll ich Euch glauben? Die Sache wird ja immer besser«, konterte von Panhalm verärgert.

      »Es ist aber so, ehrenwerter Herr Stadtrichter. Vor wenigen Tagen wurde ich von zwei maskierten Männern überfallen. Nachts, als ich mich auf dem Heimritt befand. Sie zwangen mich abzusteigen. Einer von ihnen überreichte mir das Schreiben, hielt mir ein Messer vor die Nase und zwang mich, es im Schein einer Fackel, die er bei sich trug, zu lesen. Danach vernichtete er es, indem er es vor meinen Augen verbrannte, und beide verschwanden im Wald. Ihr könnt Euch vorstellen, wie erschrocken ich war.«

      »So, so, Ihr wart also des Nachts zu Pferd nach Hause unter­wegs, als plötzlich zwei Maskierte auftauchten. Wo war das denn? Und wo wart Ihr gewesen – so spät des Nachts?«

      »Bei Gundel Schreyer, dem Zeitler. Ihr wisst, dass ich mit ihm im Streite liege. Er behauptet, ich hätte eines meiner Bienenvölker darauf abgerichtet, seine Stöcke zu überfallen, was natürlich nicht wahr ist. Die Klage ist bei Euch anhängig. Ich wollte mich im Guten mit ihm einigen, aber ich traf ihn nicht an. Als ich zurückritt und noch etwa eine halbe Reitstunde von meinem Hof entfernt war, traten die beiden Maskierten plötzlich aus dem Wald und hielten mich auf.«

      Georg von Panhalm runzelte die Brauen und sah seinen Zeugen skeptisch an.

      »Würde ich Euch nicht besser kennen, Peter Seimer, würde ich Euch für verrückt erklären. Oder für den erfinderischsten Geschichtenerzähler auf Gottes Erdboden. Aber gut – gehen wir einmal davon aus, ich nehme Euch das Ganze ab: Wer sollte Euch erpressen? Ihr wisst, dass der Angeklagte seit der Tat in richterlichem Gewahrsam sitzt. Und zwar in einem gut bewachten Verlies hier in der Stadt.«

      »Ich weiß, Herr Stadtrichter. Doch ich bitte zu bedenken, dass Jobst Heiss über viele Freunde verfügt.«

      Da hatte Seimer durchaus recht. Von Panhalm wusste dies. »Und der Inhalt dieses angeblichen Schreibens lautete tatsächlich darauf, dass Eurer Familie Schaden droht, wenn Ihr bei Eurer Aussage bleibt?«

      »Jawohl, Herr Stadtrichter.«

      »Zeuge Peter Seimer, seid Ihr Euch