Tochter der Inquisition. Peter Orontes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Orontes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783839250686
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sie nun, die mit einem Knoten versehene Schnur von der Rolle abzustreifen, um das Pergament zu entrollen, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Nein, jetzt nicht, später – verschwinde endlich, mahnte sie sich und steckte das Pergament unter ihr Wams. Zufall und Glück waren ihr bis jetzt hold gewesen, Letzteres weiter zu strapazieren, hätte bedeutet, das Schicksal über Gebühr versuchen zu wollen. Vorsichtig steckte sie den Ziegel in die Lücke zurück und spuckte einige Male kräftig in die Hand. Hastig tupfte sie mit der angefeuchteten Handfläche den weißen Staub auf, der beim Herausziehen des Ziegels auf den Lehmboden gerieselt war, und wischte sie an der Innenseite ihres Wamses sauber. Die klebrigen Finger vom Honig zu befreien, schaffte sie allerdings nicht ganz.

      Sie erhob sich. Prüfend musterte sie noch einmal die Stelle der Esse, an der sie sich zu schaffen gemacht hatte, und unterzog auch den Fußboden einem letzten kritischen Blick. Dann nickte sie befriedigt. Nichts deutete mehr darauf hin, dass jemand das geheime Versteck entdeckt und ausgeräumt hatte. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Natürlich bekäme Gundel Schreyer – sollte er, aus welchem Grund auch immer, sein Versteck inspizieren, – einen gewaltigen Schrecken, und unter Umständen schöpfte er auch Verdacht. Wie er dann wohl reagieren würde? Christine zuckte die Schulter. Dieses Risiko musste sie eingehen.

      Sie beeilte sich, nach Hause zu kommen. Es war auch höchste Zeit. Zum einen hatte sie das Gefühl, als ob das Schriftstück, das sie unter ihrem Wams verborgen hielt, geradezu auf ihrem Leib brannte. Zum anderen begann das Wetter umzuschlagen; scharfe Böen und eine dunkle Wolkenfront ließen nichts Gutes erwarten. Kaum, dass sie eine Stunde später nach einem scharfen Ritt auf dem Ternbergschen Anwesen angelangt war, gab sie den Rappen in die Obhut eines herbeigeeilten Stallknechtes und hastete zum Fondaco hinüber. Inzwischen hatte heftiger Regen eingesetzt, dennoch herrschte auf dem Hof wie jeden Tag lebhaftes Treiben. An Knechten und Fuhrleuten vorbei eilte sie in das Gebäude und die Treppen hinauf in ihre Kammer.

      Noch ganz außer Atem, setzte sie sich aufs Bett und öffnete mit flinken Fingern den Knoten der um die Papierrolle geschlungenen Schnur. Vorsichtig entrollte sie das Schrift­stück, an dem immer noch das Stück Stoff klebte.

      Doch gerade als sie angefangen hatte zu lesen, drohte ihr der Atem auch schon wieder zu stocken. In jener krakeligen, schnell dahingeworfenen Handschrift, die Christine mühelos als die Klaras erkannte, präsentierte sich ihr das schier Unglaubliche:

      An Lamprecht Bürgel – Mein Geliebter komme in seinen Garten und genieße die herrliche Frucht. Ich liebe dich. – Klara.

      Langsam ließ Christine das Schriftstück sinken. Das darf nicht wahr sein, dachte sie. Sie fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Die Worte, die da geschrieben standen, waren ihr nicht unbekannt, handelte es sich doch um einen Vers aus dem »Canticum Canticorum«, dem Hohen Lied Salomos. Was das Pergament allerdings offenbarte, war ungeheuerlich: Offensichtlich hatte Klara ein intimes Verhältnis zu Lamprecht Bürgel, dem ermordeten Fass- und Wagenmacher, unterhalten; zwischen beiden Morden bestand also ein ursächlicher Zusammenhang.

      Und Gundel Schreyer wusste davon …

      »Mein Gott, Klara, was hast du getan?«, flüsterte Christine. Verstört legte sie das Schriftstück beiseite und trat ans Fenster, das die Obermagd vorsorglich mit einem pergamentbespannten Rahmen hatte schließen lassen. Gegen die milchige Fläche, durch die diffuses Tageslicht drang, trommelte dumpf der Regen, während vom Hof her gedämpfter Lärm heraufdrang.

      »Nein, ich glaub es nicht. Ich kann es einfach nicht glauben«, murmelte Christine störrisch und schüttelte entschieden den Kopf. Ihre einst beste Freundin – eine Ehebrecherin? Ihr integeres Verhalten, ihre Loyalität Wernher gegenüber – alles nur gespielt?

      Ja doch, nimm es endlich zur Kenntnis!, rief die harte Stimme des Verstandes Christine zu.

      Langsam ging sie zur Bettstatt zurück und warf sich aufs Lager. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, starrte sie zur Decke empor. Was die Ermittlungen anging, war sie ungewöhnlich erfolgreich gewesen. Nicht nur, dass es ihr gelungen war, überraschend schnell in das geheimnisvolle Labyrinth seltsamer Beziehungen vorzustoßen, das Klara unterhalten hatte; unter Umständen hatte sie sogar ihren Mörder ausfindig gemacht. Und selbst wenn Gundel Schreyer für die Tat nicht verantwortlich war: Das enthüllende Papier mit dem daran befindlichen Stückchen Stoff, das sich in seinem Besitz befand, dokumentierte zumindest, dass er Dreck am Stecken hatte.

      Was Wernher wohl sagen wird, wenn er von all dem erfährt? Und Sofia?

      Christine fuhr hoch.

      Sofia! – Hatte sie um das Geheimnis ihrer Mutter gewusst?

      Erklärte sich daraus ihr seltsames Verhalten?

      Christine seufzte. Zwar hatte sich der Nebel, der auf dem Verbrechen lag, ein klein wenig zu lichten begonnen. Doch gleichzeitig beschwor das, was er freigab, weitere Fragen herauf.

      Was hatte Gundel Schreyer, so er überhaupt der Mörder war, bewogen, Klara zu töten?

      Wie war das intime, an Lamprecht Bürgel gerichtete Schreiben in seinen Besitz gelangt?

      Und was war der Grund, der Klara veranlasst hatte, Trost in den Armen eines anderen Mannes zu suchen?

      Zeit, dass Falk zurückkehrte und sich des Zeitlers annahm. Dass dieser entscheidende Antworten würde geben können, lag auf der Hand. Vielleicht gelangte die Wahrheit nun doch schneller als gedacht ans Licht und sie würden Steyr bald wieder verlassen und nach Salerno zurückkehren können.

      Ein sehnsuchtsvoller Seufzer entrang sich Christines Brust, als sie daran dachte.

      Kapitel 11

      Nacht. Stille. Funkelnde Lichter vor samtener Bläue: Sterne – ungezählt und unerreichbar in den Höhen ewiger Ferne. Das erzene Leuchten des Mondes lässt den Horizont schmelzen; wie flüssiges Silber ergießt sich sein Licht in die glatte, ruhige See. Laue Luft. Der Geruch des Meeres. Ein Strand mit weißem feinem Sand, gesäumt von einer Gruppe Pinien …

      »Christine!«

      Erschreckt und überrascht zugleich, öffnete sie die Augen. Noch zögerte sie, die Grenze zwischen Traum und Wachsein zu überschreiten. Dann aber, noch bevor sie auf das Flüstern ihres Namens reagieren konnte, verschlossen die Lippen ihres Mannes ihren Mund, und umschlungen von seinen starken Armen spürte sie, wie er an ihre Seite glitt, fühlte, wie ihre Körper miteinander verschmolzen, um sich gleich darauf dem leidenschaftlichen Rhythmus von Hingabe und Verlangen, Lust und Ekstase zu überlassen, ganz im Takt des sich kräuselnden Wellenschlags am nächtlichen Strand von Salerno …

      »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisst habe«, murmelte Falk.

      Die Hände im Nacken, lag er auf dem Bett, das Haupt Christines auf seiner Brust.

      Sie bog den Kopf zurück und sah ihn schelmisch an. »Wolltest du nicht den Prior von Melk Bodo von Schachnitz treffen und erst morgen zurückkehren?«

      »Schon, aber sie haben mich nicht zu ihm vorgelassen mit der Begründung, er könne mich unmöglich empfangen, da er zurzeit wieder eine Schwächephase habe und an starken Schmerzen leide. Wie lang dieser Zustand anhalte, wisse man nicht. Also hab ich mich entschlossen, wieder zurückzureiten, und von Schachnitz ausrichten lassen, dass ich es irgendwann später noch einmal versuchen werde«, begründete Falk seine vorzeitige Rückkehr. »So bot sich mir die Gelegenheit, dich zu überraschen«, fügte er lächelnd hinzu und griff spielerisch in die blonde Pracht, die über seinen Oberkörper gebreitet lag.

      »Das ist dir gelungen – Schurke«, lachte Christine.

      »Schurke?«, grinste Falk.

      »Aber ja doch. Oder wie würdest du jemanden nennen, der schlafende Frauen verführt? Noch dazu, wenn er sie mitten aus ihren schönsten Träumen reißt«, witzelte Christine und hob scherzhaft den Finger.

      »So, aus welchem Traum habe ich dich denn gerissen?«, entgegnete er mit noch breiterem Grinsen.

      Christine maß ihn mit einem langen, versunkenen Blick.

      »Ich habe von unserem