Tochter der Inquisition. Peter Orontes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Orontes
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783839250686
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gezückt und blitzschnell auf Dietrich eingestochen hatte. Wie vom Blitz getroffen, war dieser daraufhin in die Knie gegangen und dann, vornüber kippend, leise röchelnd liegen geblieben.

      In dem Moment, da der Pützer zu Boden ging und vor sich hinröchelte, schien bei Jobst Heiss plötzlich wieder der Verstand einzusetzen. Bestürzt sah er auf seinen Widersacher herunter, dem das Blut aus der Seite quoll; es hatte ihn in der Nierengegend erwischt.

      Gehetzt blickte Jobst um sich. Panischen Blickes musterte er die beiden anderen Gäste, die ihn entsetzt anstarrten. Mit einem Mal sprang er zum Tresen. Er griff sich ein Messer, das dort lag, sprang zu dem sich am Boden krümmenden Dietrich zurück, beugte sich zu dem Schwerverletzten hinunter, packte dessen Rechte und drückte ihm das Messer in die Hand.

      Dann rannte er wie von Furien gehetzt durch die offenstehende Tür in die laue Nacht hinaus.

      Balduin der Schweinehirt sah blöde drein. Peter Seimer hatte zunächst nur ungläubig zugesehen, unfähig einzugreifen. Dann aber war er zu dem Verletzten gestürzt, hatte ihm das Hemd vom Leib gefetzt, es zu einem Ballen geformt und diesen auf die Wunde gepresst, um das Blut zum Stillstand zu bringen.

      Irgendwann war der Wirt mit einigen Nachbarn, die er in aller Eile zusammengetrommelt hatte, in die Kneipe gestürmt. Einer von ihnen war der Dorfbader von Garsten, ein geschickter Bursche, der, was die Wundbehandlung anging, recht erfahren war. Er nahm sich sofort des Verletzten an und sorgte dafür, dass er auf einem Karren in die Obhut der klösterlichen Krankenstube gebracht wurde. Dort hatte Bruder Adalbert ihn weiterbehandelt. Von Anfang an war jedoch klar gewesen, dass der Schuster – wenn überhaupt – nur mit Hilfe sämtlicher Heiliger hätte gerettet werden können. Ob die allerdings willens sein würden, sich eines Saufboldes anzunehmen, der für seine derben Flüche berüchtigt war, blieb abzuwarten. Doch wider Erwarten sah es anfänglich tatsächlich danach aus. Der Pützer hatte eine starke Natur. Zuerst schien es, als ob er sich erholen würde. Dann aber, etwa vier Wochen waren seit dem Streit im Schwarzen Raben vergangen, verschlechterte sich sein Zustand zusehends. Er bekam hohes Fieber und starb.

      Das war schlecht für Jobst Heiss, der im Schergenhaus zu Steyr auf seinen Prozess wartete. Seine überstürzte Flucht hatte ihm nichts genützt; man hatte ihn schnell eingefangen und auf Anordnung des Stadtrichters festgesetzt. Er sollte sich vor Gericht für die derbe Schlägerei und für den Schaden, der dem Wirt dadurch entstanden war, verantworten. Zusammen mit Dietrich Pützer, sobald dieser wieder genesen wäre. Nun aber war der Pützer tot und Jobst nach Meinung vieler – allen voran die Witwe Dietrichs – zum Mörder geworden. Andere dagegen – und von denen gab es eine ganze Menge, denn Jobst verfügte über eine große Anzahl Freunde – vertraten die Ansicht, Jobst sei kein Mörder, denn der Pützer sei schließlich am Fieber verstorben und nicht an dem Stich, der ihm verpasst worden sei. Außerdem glaubten sie der Aussage Jobsts, dass Dietrich als Erster das Messer gezogen habe. Jobst sei schließlich nichts anderes übrig geblieben, als sich mit ebenbürtigen Mitteln zu verteidigen, argumentierten sie.

      Dem allerdings widersprach die Aussage Peter Seimers und Balduins des Schweinehirten. Beide waren von Stadtrichter Georg von Panhalm bereits als Zeugen vernommen worden. Heute nun sollten sie ihre Aussagen vor den Ohren der versammelten Öffentlichkeit wiederholen und mittels des Eides bestätigen. Auch der Rabenwirt und seine Tochter sollten noch einmal gehört werden. Besonders dem Auftritt Balduins sahen viele mit großer Erwartung entgegen; der tölpelhafte Schweinehirt würde bestimmt für einige vergnügliche Augenblicke sorgen. Darüber hinaus war bekannt geworden, dass die zwölf Genannten, die dem Stadtrichter beim Urteilen zur Seite stehen sollten, – wobei die Hälfte aus dem Stande des Angeklagten, die andere Hälfte aus den Nachbarn desselben gewählt worden war – sich über Schuld oder Unschuld des Angeklagten alles andere als einig waren.

      Alles in allem versprach die Gerichtsverhandlung also eine spannende und kurzweilige Sache zu werden, die ein wenig Abwechslung in den tristen Alltag brachte.

      »Dort kommen sie.«

      Der schrille Ruf der Praitenbergerin schallte über den Platz und lenkte die Blicke der versammelten Menge auf die Prozession, die, durch die Enge Gasse kommend, auf den Hof vor dem Stadtrichterhaus zuschritt. Allen voran Stadtrichter Georg von Panhalm und Ludwig der Neudlinger, Bannrichter zu Enns. Ihnen folgten die eigens für die Verhandlung vom Stadtrichter ausgewählten zwölf Genannten, des Weiteren zwei Mitglieder des Rates sowie der Gerichtsschreiber und mehrere Büttel, die als Gerichtsdiener fungierten, dann die Zeugen Peter Seimer, der Wirt Jakob Rabener, seine Tochter Lucia und schließlich Balduin Lechner, der Schweinehirt. Den Schluss bildeten zwei bewaffnete Schergen, die den an den Händen gefesselten Jobst Heiss in ihrer Mitte führten.

      Die Prozession hatte die Treppe vor dem Gebäude erreicht, die zu der unmittelbar neben der Fassade errichteten überdachten Gerichtslaube hinaufführte. Zuerst schritten die wichtigsten Angehörigen des Gerichtes die Stufen empor, um auf den Bänken Platz zu nehmen, die sich an der Längsseite eines langgestreckten Tisches reihten: in der Mitte Georg von Panhalm, den Richterstab in den Händen; neben ihm Bannrichter Ludwig der Neudlinger, rechts und links flankiert von jeweils einem Mitglied des Rates. An einer der kurzen Seiten des Tisches hatte der Gerichtsschreiber Platz genommen und breitete bedächtig die Untensilien seines Standes vor sich aus: Blätter und Rollen aus Pergament, Federkiele, Tinte und Siegelwachs.

      Jetzt erst erklommen auch der Angeklagte Jobst Heiss und seine beiden Bewacher sowie die zwölf Genannten die Stufen, um vor dem Tisch, an dem das Gericht Platz genommen hatte, stehen zu bleiben. Die Zeugen warteten, bewacht von einigen Bütteln, unten am Fuß der Treppe darauf, aufgerufen zu werden.

      Georg von Panhalm – in der Linken den Richterstab und in der Rechten einen Holzhammer – blickte gewichtig in die versammelte Menge. Dabei war er sich weniger der Würde des Amtes bewusst, das er heute innehatte, sondern vor allem der Wichtigkeit seiner Person. Es kam nicht oft vor, dass er in Gegenwart des Bannrichters eine Verhandlung zu leiten hatte.

      Mit dem Holzhammer klopfte der Stadtrichter dreimal kräftig auf die Tischplatte.

      »Hiermit gibt das Gericht der Klage gegen Jobst Heiss statt«, eröffnete er die Verhandlung, und fuhr fort: »Er wird beschuldigt, den Tod von Dietrich Pützer verursacht zu haben. Ich fordere alle Anwesenden auf, während des Verfahrens Ruhe und Ordnung zu wahren.« Dann wandte er sich an den Gerichtsschreiber. »Gerichtsschreiber, lest die Klageschrift vor.«

      Der Aufgeforderte erhob sich. Er räusperte sich, entrollte ein Pergament und brachte mit lauter Stimme den genauen Ablauf des verhängnisvollen Abends der aufmerksam lauschenden Zuhörerschaft zur Kenntnis. Anschließend verlas er die Namen der zwölf Genannten und schloss mit der Aufforderung: »Ehrwürdiger Herr Stadtrichter, waltet Eures Amtes.«

      Spätestens als der Schreiber begonnen hatte, die Klageschrift vorzulesen, war Ruhe auf dem Platz vor der Laube eingekehrt. Als er die Stelle verlas, in der erwähnt wurde, wie der Beschuldigte dem am Boden liegenden Opfer nachträglich ein Messer in die Hand gedrückt hatte, war ein empörtes Raunen durch die Menge gegangen. Es war schließlich jedermann klar, aus welchem Grund Jobst Heiss das getan hatte. Jobst spürte, wie sich die Stimmung gegen ihn zu richten begann. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter.

      Georg von Panhalm wandte sich zunächst an ihn. »Ihr seid Jobst Heiss?«, fragte er formell.

      Jobst nickte nur. Er brachte keinen Ton hervor.

      »Ihr habt gehört, was Euch zur Last gelegt wird. Was habt Ihr dazu zu sagen?«

      Jobst schwieg. Zerknirscht und furchterfüllt blickte er zu Boden.

      »Nun, was ist, Jobst Heiss?«, fragte von Panhalm ungeduldig. »Habt Ihr denn nichts zu Eurer Verteidigung vorzubringen?«

      Jobst hob den Kopf. »Doch, Herr Stadtrichter. Es war ein dummer Streit. Es tut mir leid. Aber er hat damit angefangen«, Jobsts Stimme verriet zwar eine gehörige Portion Furcht, doch es lag auch ein gewisser Trotz darin.

      »Wer, ›er‹?«, fragte der Richter. Obwohl er natürlich wusste, wer gemeint war.

      »Na, der Dietrich.«

      »Ihr meint: Dietrich Pützer? Er hat also den Streit begonnen?