Amy musste den Hund nach kurzer Zeit auf der Straße nicht mehr anleinen. Er gehorchte ihr aufs Wort, ging ohne weitere Kommandos bei Fuß, kreuzte mit ihr die Straßen, wobei er die Gefahren, die von Fahrzeugen ausgingen, offenbar bald einzuschätzen wusste. Er machte Amy, die gelegentlich in Gedanken war, sogar mehr als einmal durch kurzes Bellen auf ein näher kommendes Auto aufmerksam. Er schien instinktiv zu wissen, wann eine Gefahr für Amy drohte, ob im Straßenverkehr oder beim Zusammentreffen mit anderen Menschen oder Tieren. In den Fällen wurde der sonst so gutmütige Hund ein anderer. Seine schönen, ziemlich langen Stichelhaare stellten sich am Nacken und Rücken auf, sodass er größer zu werden schien, seine Lefzen hoben sich an, und man hörte ihn zunächst nur leicht knurren. Schien sich die Gefahr zu vergrößern, wurde das Knurren laut und scharf. Und meist genügte das und ein Blick aus seinen, wenn möglich noch größeren grünen Augen, den Eindringling zu vertreiben. Aber es bedurfte nur eines leisen Wortes von Amy, ihn zu beruhigen. Ein- oder zweimal erlebte sie, dass aus ihrem sonst so ruhigen Blackie ein rasender Teufel wurde, einmal als zwei betrunkene Jugendliche abends auf Amys Heimweg handgreiflich werden wollten und ein anderes Mal, als ein streunender Schäferhund Amy anzubellen wagte.
Ein paar Ereignisse, die sich kurz hintereinander ereigneten, überzeugten auch den alten Obristen Burgess von den außergewöhnlichen Qualitäten des Hundes. Das erste war, dass Blackie eines Nachts Vater und Tochter mit kurzem Bellen aus dem Schlaf holte und sie zur Tür zum Garten führte, von wo aus sie sehen konnten, dass im Anbau eines der benachbarten Häuser Feuer ausgebrochen war, das bisher offenbar von niemandem sonst entdeckt worden war. Die Nachbarn waren bald geweckt, die Feuerwehr schnell zur Stelle.
Eines Tages hatte der Oberst seine Brille verlegt und tappte einen halben Tag halb blind herum, bis Amy auf den Gedanken kam, mit Blackie auf die Suche zu gehen. Es schien fast unmöglich, dem Hund den Suchauftrag zu vermitteln. Amy zeigte ihm eine Brille, ließ ihn am Brillenfutteral Witterung aufnehmen und schickte ihn dann durch Haus und Garten. Zur Überraschung und Freude des Hausherrn kam er nach nur einen halben Stunde und führte Amy und ihren Vater in das Gewächshaus im Garten. Die Brille war zwischen zwei Blumentöpfe gefallen, als der Oberst sie am Morgen eilig abgelegt hatte, um zum Frühstück ins Haus zu gehen.
Und ein drittes Ereignis festigte bei Oberst Burgess die Überzeugung, dass dieses unglaubliche Wesen, wie er Blackie nun respektvoll nannte, die beste Ergänzung des Haushalts gewesen sei, die er sich vorstellen könne.
Zwei, wie sich herausstellte, lang gesuchte Kriminelle verschafften sich eines Nachts über einen Anbau, in dem Waschküche und Vorratsräume untergebracht worden waren, Zugang zum Haus. Als sie die Tür vom Anbau in das Haus öffneten, wurden sie, wie sie später aussagten, von einer riesigen Bestie mit gesträubtem Haar und gefletschtem Gebiss angefallen, zu Boden gerissen und dort festgehalten. Der Krach hatte außer Amy natürlich auch Oberst Burgess auf den Plan gebracht, der die Einbrecher mit einer alten Armeepistole in Schach hielt, bis die Polizei kam.
Und auch um die altehrwürdige Firma Merskin & Threadwell machte sich Blackie eines Tages in einer Weise so verdient, dass ihm der alte Joshua Donahue, der in der Firma die Akten verwaltete, später überirdische Kräfte nachsagte. Soweit wollten Mr Merskin und seine Partner zwar nicht gehen, doch selbst sie waren tiefer beeindruckt, als man es diesen beruflich an ungewöhnliche Begebenheiten gewöhnten, nüchternen Männern zugetraut hätte.
Die Geschichte trug sich wie folgt zu: Zu den Rechtsangelegenheiten, die Merskin & Threadwell seit ihrer Gründung für eine vornehme Familie, die Viscount Haswells von Colridge Manor bei Guildford, zu erledigen hatten, gehörte die Betreuung von Nachlassangelegenheiten. Eines Tages rief Julia Haswell, die Tochter von Viscount Alexander und Viscountess Virginia Haswell an und hinterließ für Mr Merskin die Nachricht, dass sie ihn am nächsten Tag besuchen möchte. Sie wolle einen versiegelten Umschlag abholen, dessen Inhalt ihr von ihrer vor siebzehn Jahren verstorbenen Großmutter vermacht und von der Firma als Testamentsvollstrecker verwahrt worden war und der ihr an oder nach ihrem 21. Geburtstag als Erbin zustehe. In dem Umschlag war eine Kassette mit einem Collier, das seinen bedeutenden Wert vor allem einem besonders großen Sternsaphir und wertvollen Brillanten verdankte. Das Collier war bei Lloyds mit 210.000 Pfund Sterling versichert. Das Schmuckstück stammte aus Indien. Angeblich war es ursprünglich das Geschenk eines indischen Maharadschas für die Frau eines Haswell-Vorfahren, der als Brigadegeneral in Indien Dienst tat. Julia Haswell hatte erklärt, sie werde am darauffolgenden Wochenende 21 Jahre alt und wolle das Schmuckstück gerne bei einem Fest anlegen, welches ihr Vater aus diesem Anlass für sie veranstalte. Ihre Mutter war drei Jahre zuvor verstorben.
Die Ankündigung dieses Besuchs machte Mr Merskin zu schaffen. Einerseits durfte der Umschlag nach den Bedingungen des Legats erst am oder nach ihrem 21. Geburtstag an Julia Haswell herausgegeben werden, andererseits hatte sie ja gerade am Tage des Festes Anspruch auf die Juwelen, und es war durchaus verständlich, dass sie sich dann damit schmücken wollte. Irgendwie musste ein Weg gefunden werden, die rechtlichen Bedingungen einzuhalten und der jungen Frau trotzdem die Juwelen für ihren Geburtstag zukommen zu lassen. Jedenfalls veranlasste Mr Merskin, dass der Umschlag aus dem Tresor der Midland Bank in Guildford abgeholt wurde, wo derartige Verwahrstücke für Klienten normalerweise aufbewahrt wurden, und in den firmeneigenen Tresor verbracht wurde.
Wie angekündigt, erschien Julia Haswell am nächsten Morgen gegen 10 Uhr in der Kanzlei. Mr Merskin hatte auf sie, eine hübsche und natürliche junge Frau, schon gewartet und geleitete sie persönlich in sein Büro, wo bereits Amy und Mr Goodwin, ein Juniorpartner der Kanzlei, mit dem Umschlag warteten. Der alte Merskin machte zunächst ein bisschen Umstände und nötigte seinen Besuch zu einer Tasse Tee. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als Julia Haswell zu erklären, dass er ihr aus rechtlichen Gründen den Inhalt des Umschlags heute leider nicht aushändigen dürfe. Die Enttäuschung der jungen Frau war riesengroß.
»Bis dahin sind es doch nur noch drei Tage, Mr Merskin. Mein Vater ist ebenfalls der Ansicht, dass das wohl nach allen Standards nach so vielen Jahren keinen Unterschied mehr machen könne. Es ist im Übrigen für mich ein so großer Tag.«
Sie fing sogar an zu weinen, was Mr Merskin nur nervöser machte.
»Ich verstehe Ihre Situation ja völlig, liebes gnädiges Fräulein. Wer könnte nicht! Aber die juristischen Regeln sind nun einmal wie eiserne Klammern. Ich kann sie nicht ändern. Und ich möchte nicht wissen, was die Versicherung sagen würde, wenn wir uns an die genauen Regeln für die Aushändigung nicht halten würden.«
Er schnäuzte sich, weil die Aufregung etwas viel für ihn wurde.
»Nun beruhigen Sie sich bitte, mein Fräulein. Wir haben uns ja schon einen Weg ausgedacht, wie dem Recht einerseits und Ihrem Anspruch, das Juwel am Tag Ihrer Volljährigkeit tragen zu können, Genüge getan werden würde. Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder wird es Ihnen hier am Sonntag, Ihrem Geburtstag, zur Verfügung stehen. Wir werden also hier sein, wenn Sie es abholen lassen. Oder aber, wir bringen es Ihnen an Ihrem Geburtstag nach Hause. Amy Burgess, meine Assistentin, hat sich bereit erklärt, den Umschlag mit angemessenem Schutz zu Ihnen nach Colridge Manor zu bringen, sodass es Ihnen dort spätestens zur Mittagsstunde zur Verfügung steht.«
Die Aussicht darauf, dass sie ihren Schmuck rechtzeitig erhalten würde, beruhigte die junge Frau. Sie wandte sich an Amy. »Würden Sie das wirklich für mich tun? Ich wäre Ihnen ja so unendlich dankbar. Ich selbst kann an dem Tag nicht kommen. Mein Vater, der gesundheitlich nicht besonders gut dran ist, könnte ebenso wenig kommen und der ganze Haushalt steht sowieso kopf wegen des Festes am Abend. Ich würde Sie auch gern einladen, daran teilzunehmen, wenn Sie mir den Gefallen erweisen. Ich schicke Ihnen unseren Wagen mit John, unserem Chauffeur, der Sie sicher nach Guildford bringen wird und zurück.«
»Ich