Düsterstrand. Meike Messal. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Meike Messal
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954752164
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Nichts Besonderes. Jan brezelt sich auch nie auf, versuchte sie, sich zu beruhigen, als sie weitergingen. Deshalb magst du ihn doch. Er gibt nie vor, etwas zu sein, was er nicht ist. Shirt, Jeans und sein Lächeln. Das reichte. Reichte vollkommen, um ihre Beine in einen Wackelpudding zu verwandeln.

      Klara riss sie aus ihren Gedanken. »Hey, nun zieh nicht so ein Gesicht. Du bist doch sonst so selbstbewusst. Und kein Typ dieser Welt sollte das zerstören.«

      Laura lachte. »Du hast Recht«, sagte sie und straffte ihre Schultern. »Dann man tau, auf geht’s!«

      5

      »Bitte!« Dieses eine Wort hatte all seine Kraft erfordert. Er hörte es schwach wie eine Melodie, die fast verklungen war.

      Der Mönch stand in der Tür und starrte auf ihn herab, seine Augen funkelten gefährlich. »Du hast es noch nicht verstanden«, sagte er. Die Stimme war leise, fast flüsternd, trotzdem hallte sie von den kahlen Wänden wider und grub sich in sein Gehirn. »Regel Nummer eins: Du sprichst nur, wenn du dazu aufgefordert wirst.«

      Er bemühte sich, zu nicken, aber sein Schädel schien eine Tonne zu wiegen.

      Der Mönch hob seine Stimme nicht, trotzdem klang sie noch kälter, noch bedrohlicher. »Hast du das verstanden?«

      Ja, ja, ich habe verstanden. Aber ich kann mich nicht mehr bewegen. Ich habe Hunger, solchen Hunger. Der Krug mit Wasser reicht mir nicht. Bitte. Ich muss etwas essen. Weißt du das denn nicht? Bitte gib mir etwas zu essen, dann mache ich auch alles, was du willst.

      »Ah.« Der Mönch starrte ihn ausdruckslos an. »Du willst nicht mit mir zusammenarbeiten. Nun gut, dann nicht.«

      Doch, doch, ich will. Ich tue alles, was du sagst. Nur etwas Essen, bitte, nur … Nein! Nicht gehen! Ich …

      Doch der Mönch drehte sich um und schob die Tür auf. Sie knarrte, das schwere Eisen kratzte über den Boden. Er versuchte zu schlucken, endlich ein Wort zu formulieren. Benetzte seine trockenen Lippen, bewegte die Zunge. »Warte«, flüsterte er heiser. Hatte er das Wort ausgesprochen oder war es in seinem Hals stecken geblieben? Er wusste es nicht. Sah nur den Mönch, wie der den Raum verließ. Wie er die große Tür hinter sich zuwarf, ohne sich noch einmal umzudrehen.

      Wieder das Knirschen des Schlüssels im alten Schloss. Schritte, die sich entfernten. Stille.

      6

      Laura spürte die Wand an ihrem Rücken, und das war gut. Ohne diesen Halt würde sie taumeln. Unwirsch schüttelte sie Klaras Hand ab. »Nun komm schon, tanz mit uns!« Ihre Freundin kam näher an sie heran, griff sie um die Hüfte. »Es tut mir leid, ich wusste nicht, dass Jan hier gleich mit der halben Jahrgangstufe aufkreuzt.«

      Laura antwortete nicht, konnte ihren Blick jedoch nicht von der Tanzfläche wenden. Jan hüpfte darauf ausgelassen, eine Bierflasche in der einen Hand. Die andere lag auf Katharinas Schulter. Sie bewegte sich vor ihm wie eine Katze, strich um ihn herum, wahrscheinlich schnurrte sie sogar.

      »Er tanzt nur mit ihr, weil du nicht kommst«, sagte Klara.

      »Warum fragt er mich denn nicht?«

      »Das ist dein Abend! Vergiss Jan, diesen Idioten – wer dich nicht will, ist selber schuld.« Als Laura nicht reagierte, legte sie ihren Kopf schief. »Komm schon, Laura, wir machen Party mit dir. Wir, deine besten Freudinnen. Und schau doch mal, wie viele andere hübsche Kerle hier noch rumlaufen.«

      »Die will ich nicht. Und Jan auch nicht.« Laura zog ihr T-Shirt glatt, löste sich vorsichtig von der Wand und wagte einen Schritt nach vorne. Verdammt, so viel hatte sie doch gar nicht getrunken. Trotzdem kam sie sich vor wie in einem Wolkenkratzer, der mit dem Wind hin- und herschwang. »Ich gehe.«

      »Okay, okay. Ich sag den anderen Bescheid und bring dich nach Hause. Warte, ich hole fix meine Jacke.«

      »Nicht nötig.« Laura wagte einen weiteren Schritt. Wenn sie langsam ging, dann würde sie es schaffen, ohne zu torkeln.

      »Ich lass dich jetzt nicht allein.« Klara schaute kritisch auf Lauras klägliche Versuche, gerade zu gehen, und legte erneut eine Hand auf den Arm ihrer Freundin. »Hör zu«, sagte sie eindringlich, »ich bestelle uns ein Taxi.«

      Falls das möglich war, wurde Lauras Gesicht noch blasser. »Nein!«, entfuhr es ihr scharf. »Du weißt, dass ich in kein Auto steige!«

      Klara atmete tief ein. »Ich weiß, ich weiß. Aber du kannst kaum noch gehen. Und ich bin bei dir.«

      Ruckartig schüttelte Laura den Kopf. »Mein Gott, lasst mich doch alle zufrieden!« Sie riss sich von Klara los, schloss einen Moment die Augen, fokussierte dann den Ausgang und schwankte davon.

      »Warte doch!« Klara versuchte, Laura einzuholen, wurde aber von einem grölenden jungen Mann aufgehalten, der sich an ihr festhielt und sie angrinste. »Ich habe meine Telefonnummer verloren, darf ich deine haben?«, lallte er. Genervt stieß Klara ihn weg, boxte sich durch die tanzenden Menschen und rannte nach draußen.

      Als sie endlich auf der Straße stand, war Laura verschwunden.

      7

      Mit einem erleichterten Seufzer schloss Laura die Haustür auf. Noch nie war ihr der Weg von der Reeperbahn bis zur Mundsburg, in deren Nähe sie wohnte, so weit vorgekommen. Sie rieb sich gähnend die Augen, während sie in die erste Etage lief, ließ die Wohnungstür hinter sich zufallen und schloss ab. Hinter der ersten Tür hörte sie Charlotte leise schnarchen. Ein kleines Lächeln huschte über Lauras Gesicht, das noch ein wenig anhielt, während sie in ihr Zimmer schlich. Müde fiel sie auf ihr Bett. Was für ein Reinfall. Sie hatte sich ihren großen Tag so toll vorgestellt. Feiern bis in den Morgen, ausgelassen, sie und ihre drei Freundinnen. Ohne Jan. Aber vor allem ohne Katharina.

      Lauras Blick fiel auf die Fotos, die noch immer auf dem Boden verstreut lagen. Sie hatte es bisher geschafft, ihren Schmerz zu verschließen in einer tiefen dunklen Ecke ihres inneren Kellers, den sie kaum noch betrat. Sie war stolz darauf, stolz, dass sie sich nicht hatte fallen lassen und in dem Dunkel versunken war – weder vor zehn Jahren noch jetzt. Nein, sie hatte sich nicht unterkriegen lassen, lebte, lachte, liebte. Sie war stark. Meistens. Doch ausgerechnet heute fühlte sie sich so elend wie schon lange nicht mehr. So würde sie nicht einschlafen können. Nicht mit den anklagenden Blicken ihrer Eltern und Paul. Mühsam rappelte sie sich auf, streckte die Hände aus und begann, die Fotos einzusammeln.

      Ihre Unterlippe zitterte, bevor sie es kontrollieren konnte. Dann bebte auch das Kinn und im nächsten Augenblick liefen ihr die Tränen die Wange hinunter.

      »Scheiße, warum seid ihr nicht da?«, flüsterte sie. »Mama, ich bin achtzehn. Ich hab die Schule geschafft, Abi gemacht. Ein richtig gutes sogar.« Sie zeichnete mit ihrem Finger das Gesicht ihrer Mutter nach. »Ich glaube, ihr wärt stolz auf mich gewesen. Ihr habt mir gefehlt beim Abiball.« Sie lachte heiser auf. »Charlotte war da, natürlich, sie ist immer da. Du hast schon eine tolle Mama, Paps.« Vorsichtig wischte sie eine Träne weg, die auf ihren Vater gefallen war. »Aber ihr fehlt mir so. So sehr.« Ihre Stimme brach, und sie räusperte sich. »Du fehlst mir auch, kleiner Bruder«, wisperte sie schließlich und strich sacht mit dem Finger über das Foto. Paul lachte sie an. Er hatte fast immer gelacht. »Wo bist du?«, fragte sie und richtete ihre Konzentration auf sein Gesicht. »Wo bist du nur?«

      Du wirst es nie herausfinden, wenn du mich nicht suchst. Du hast zu schnell aufgegeben!

      »Nein, nein das stimmt nicht!« Sie antwortete laut, obwohl Pauls Stimme nur in ihrem Kopf dröhnte. »Wir haben nach dir gesucht. Wir alle – Mama, Papa, ich, die Polizei. Ganz Fehmarn hat nach dir gesucht, Paul.«

      Aber ihr habt mich nicht gefunden. Ihr wart nicht gründlich genug. Du musst mich finden. Bitte. Finde mich!

      »Aber wo? Wo soll ich denn suchen? Wie kann ich dich finden, wenn die Polizei es nicht geschafft hat?« Nun tropften viele Tränen von Lauras Wangen, benetzten das ganze Foto. Sie wischte sie nicht mehr weg. »Wie soll ich dich finden, Paul?«, flüsterte sie.

      Aber sie wusste, dass das nicht die Frage war. Nicht wie oder wo. Die Frage