»Ich verstehe. Sie haben noch jemanden gefunden, der passen könnte?«
»Ja. Er heißt Gisbert Kuhlmann.«
Hagedorn öffnete auch dessen Wikipedia-Seite.
Kuhlmann war ein sehr populärer und beliebter Moderator. Angefangen bei Kindersendungen in den siebziger Jahren, dann folgte das aktuelle Sportstudio, später moderierte er eine Talkshow bei einem privaten TV-Sender.
Anders als Thaler hatte Kuhlmann schon immer seine politische Meinung geäußert. Richtig aktiv wurde er aber erst vor etwa drei Jahren. Gerade kleinere Parteien hatten es ihm scheinbar angetan.
Hagedorns Gedanken rasten. »Was wäre, wenn …« Er verstummte und dachte den Gedanken zu Ende.
»Was wollten Sie sagen?«, wollte Patrick mit Dringlichkeit in der Stimme wissen.
»Was wäre, wenn es beide sind? Wenn die Verschwörer beide benutzen?«
»Um was zu erreichen? Ein Streitgespräch? Oder etwa … Moment mal, Sie könnten recht haben. Stellen wir uns vor, es kommt zu den ersten Demonstrationen gegen die Regierungsparteien. Der Grund für die Demo ist erst einmal sekundär. Hier taucht auch schon der neue Hoffnungsträger auf. Wahrscheinlich kein Politiker der etablierten Parteien. Die Leute sind hin- und hergerissen, wissen nicht, wem oder was sie glauben sollen. Und dann kommt es bei einer öffentlichen Veranstaltung zu einem Zusammentreffen zwischen Thaler und Kuhlmann. Beide vertreten unterschiedliche Meinungen. Thaler ist für den Hoffnungsträger, Kuhlmann eher nicht. Und hier …«
»… wird er von ihr bekehrt und bekennt sich zu dem aufsteigenden Stern«, vollendete Hagedorn Patricks Gedanken.
»Das wäre eine hollywoodreife Inszenierung«, sagte Patrick tonlos.
»Ich denke, so werden sie es machen.«
9
»Das ist die aktuelle Liste. Die bleibt so.«
Innenminister Schranz
Am nächsten Morgen setzten wir uns zu einem Meeting zusammen, um uns alle auf den neusten Stand zu bringen. Helen, Patrick und ich würden später in die Zentrale des Amtes für Innere Sicherheit fahren, um dann Kernberger und Schranz zu informieren.
Den Anfang machte Patrick. Er teilte uns mit, was Hagedorn herausgefunden hatte und kam dann auf ihren Verdacht zu sprechen, dass Sybille Thaler und Gisbert Kuhlmann ein Duo infernale bilden könnten.
Diese These fand allgemeine Zustimmung.
Helmes berichtete, dass seine Suche nach Gruppen, sowohl im Dark Net als auch im Internet, durch die Unterstützung von Karoline nun sehr viel schneller voranging.
Sobald sie die verdächtigen Gruppen in einer Rangliste geordnet hatten, würde Karoline den Versuch starten, sich in diese reinzuhacken.
Die Todesliste mit den vermutlichen Zielpersonen wurde zuletzt besprochen, dann machten wir uns auf den Weg zu Kerni.
Auch hier gaben wir eine Zusammenfassung der neusten Ereignisse.
Schranz schien sehr zufrieden mit dem zu sein, was wir bislang herausgefunden hatten.
Er streckte mir die Hand entgegen. »Lass mich mal diese Liste sehen.«
Ich reichte ihm das Blatt und gab Kerni eine Kopie. »Ihr zwei steht auch drauf.«
Beide vertieften sich in die Liste. Hin und wieder stieß einer der beiden ein ungläubiges Schnaufen aus oder schüttelte den Kopf.
Als sie mit der Lektüre fertig waren, sah Schranz mich an. »Den Verteidigungsminister müssen wir von der Liste streichen.«
Das hatten wir uns schon gedacht. »Wir sind für die Erstellung zuständig. Das Streichen müsst ihr übernehmen.«
Schranz nickte. »Natürlich. Du hast recht.« Er vertiefte sich wieder in die Liste und zückte einen Stift. Wenig später waren drei Namen durchgestrichen.
Der des Verteidigungsministers, des Verfassungsschutzpräsidenten und des Präsidenten des BAMAD, des ehemaligen militärischen Abschirmdienstes.
Er sah mich an. »Bei diesen drei Personen besteht der dringende Verdacht, an der Verschwörung beteiligt zu sein.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Deine Entscheidung.«
Ein kurzer prüfender Blick, dann nickte Schranz. »Das ist die aktuelle Liste. Die bleibt so.«
»Wie wollt ihr es machen?«, wollte ich wissen.
Schranz runzelte die Stirn. »Wegsperren können wir sie nicht. Das würden die niemals zulassen. Ich selbst würde es ja ablehnen. Darüber hinaus wäre das auch zu auffällig. Aber wir verstärken den Personenschutz und werden alle anderen Sicherheitsmaßnahmen erweitern. Öffentliche Auftritte werden auf ein Minimum beschränkt. Jedenfalls da, wo es machbar ist.«
»Und wie begründet ihr das?«
»Wir werden die aktuelle Terrorwarnstufe erhöhen.«
Wir redeten noch eine Weile weiter, dann war es an der Zeit zu gehen.
Zwei Wochen nach diesem Treffen wurde der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland während eines Truppenbesuches in Afghanistan erschossen. Die Täter wurden wenig später von einer Einheit des KSK gestellt und bei einem heftigen Schusswechsel getötet.
Ganz offensichtlich hatten wir uns geirrt. Der Minister gehörte nicht zu den Verschwörern.
10
»Herr Minister, wir werden hier alleine gelassen.«
Gunnar Abel
1994 wurden im durch einen Völkermord geplagten Ruanda deutsche Staatsbürger von Hutu-Rebellen entführt. Die Bundesrepublik Deutschland sah sich nicht dazu in der Lage, die Entführten selbst zu befreien. Die für Einsätze dieser Art eigentlich vorgesehenen Bravo-Kompanien waren nicht auf Guerillakriegssituationen vorbereitet.
Dementsprechend entsprach auch ihre technische Ausrüstung nicht den Anforderungen für Einsätze dieser Art.
Also mussten belgische Spezialkräfte einspringen.
Sie verloren bei der Befreiung der Geiseln zwölf Männer.
Für Deutschland eine mehr als peinliche Situation.
Daraufhin, und weil die Nato-Verbündeten Druck auf Deutschland ausübten, entschied der amtierende Verteidigungsminister Volker Rühe, eine eigene Spezialeinheit aufzustellen. Sie sollte in der Lage sein, deutsche Staatsbürger, aber auch andere Personen, zu retten und zu evakuieren. Hinzu kamen Aufgaben wie Gewinnung von Schlüsselinformationen in Krisen- und Konfliktgebieten, der Schutz von Personen in besonderen Positionen und Kampfeinsätze im gegnerischen Gebiet.
Nachdem die bürokratischen Hürden in erstaunlich kurzer Zeit aus dem Weg geschafft wurden, konnte das Kommando Spezialkräfte ins Leben gerufen werden.
Die Soldaten rekrutierten sich in erster Linie aus den ehemaligen »Bravo-Kompanien« der einzelnen Luftlandebrigaden, die für Geiselbefreiungen und Kommandooperationen bereits ausgebildet waren und im Zuge dieser Umstrukturierung nun im KSK aufgingen.
Zusätzlich kamen viele Soldaten aus den Einheiten der Fernspähkompanien, den Fallschirmjägern, Gebirgsjägern und Jägern zum KSK.
Im April 1997 war das KSK einsatzbereit. Der Kommandostruktur, aber auch der Öffentlichkeit konnte das KSK zum ersten Mal seine Fähigkeiten bei der groß angelegten Übung Schneller Adler 97 beweisen.
1998 wurde das KSK aufgestockt und die Mannschaftsstärke auf zweitausend verdoppelt.
Als im damaligen Jugoslawien 1998 ein Krieg ausbrach, kam auch für das KSK der Ernstfall. Mehrere