Weil Ingo A. im Koma liegt, kann er nicht selbst entscheiden, wie er in einem solchen Fall ärztlich behandelt werden will bzw. ob die ärztliche Behandlung beendet werden soll. Bei der Ehefrau und den Eltern erkundigen sich die behandelnden Ärzte nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, also danach, wie dieser entschieden hätte, wenn er im konkreten Fall noch selbst entscheiden könnte. Weil von Ingo A. keine entsprechenden Äußerungen vorliegen, werden sich die Ärzte für die Fortführung der medizinischen Behandlung entscheiden und den Patienten auf lange Sicht mit dem »Maximalprogramm« der Lebenserhaltung behandeln. Die Ehefrau oder die Eltern haben so gut wie keine Chance, eine Beendigung der Behandlung, sprich »Abschaltung der Geräte« durchzusetzen.
In einer schriftlichen Patientenverfügung hätte Ingo A. vorsorglich festlegen können, dass bestimmte medizinische Maßnahmen durchzuführen oder zu unterlassen sind, falls er nicht mehr selbst entscheiden kann. Er hätte also auch festlegen können, dass lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen sind, wenn er wegen einer Gehirnschädigung voraussichtlich dauerhaft nicht mehr imstande sein werde, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten oder mit den Mitmenschen zu kommunizieren.
Fall 2
Die 75-jährige Marta B. wohnt nach dem Tod ihres Mannes allein in einer Mietwohnung. Anfangs war sie noch selbst in der Lage, sich zu versorgen und ihren Tag zu gestalten. In letzter Zeit fällt ihr das aber immer schwerer. Zunehmend wird sie verwirrter. Gedächtnis-, Orientierungs- und Sprachstörungen nehmen zu. Nachdem Marta B. eines Nachts bei dem Versuch, die Kellertreppe hinter zu steigen, gestürzt war und erst am nächsten Morgen unterkühlt und mit starken Prellungen aufgefunden wurde, muss ihre Tochter handeln. Sie lässt ihre Mutter untersuchen. Das Ergebnis: Alzheimer-Demenz.
Zwar will sich die Tochter um ihre Mutter kümmern, es gibt aber Probleme. Weil sie keine Vollmacht hat, kann sie den Mietvertrag nicht kündigen. Das gilt auch für bestehende Versicherungsverträge. Sie hat keinen Zugriff auf das Bankkonto ihrer Mutter, auch kann sie sich keinen Überblick über deren Vermögensverhältnisse verschaffen. Damit bleibt ihr nur die Möglichkeit, beim Gericht für ihre Mutter eine Betreuung zu beantragen. Zwar ist davon auszugehen, dass das Betreuungsgericht nach Durchführung des gerichtlichen Verfahrens die Tochter als Betreuerin und damit als Vertreterin der Mutter bestellen wird, die Tochter steht allerdings unter der Aufsicht des Betreuungsgerichts.
Hätte Marta B. ihrer Tochter eine Vorsorgevollmacht erteilt, wäre ein unter Umständen langwieriges und belastendes gerichtliches Betreuungsverfahren entbehrlich gewesen. Die Tochter hätte aufgrund der vorhandenen Vertretungsbefugnis sofort nach Kenntnis der Notsituation handeln können und sie würde nicht der Kontrolle des Betreuungsgerichts unterliegen. Marta B. hätte in einer Vereinbarung mit ihrer Tochter regeln können, wie sie sich in bestimmten Situationen ihre Vertretung wünscht und wie ihre Tochter im Einzelfall ihre Interessen wahrnehmen soll.
Wenn Sie im Rahmen Ihres persönlichen Selbstbestimmungsrechts für den Fall, dass Sie selbst nicht mehr handlungsfähig sind, festlegen wollen, wer für Sie handeln und Ihre Interessen wahrnehmen soll und in welchem Sinne Sie betreffende Entscheidungen getroffen werden sollen, müssen Sie eine private rechtliche Vorsorge treffen. Diese hat stets Vorrang vor der staatlichen Rechtsfürsorge. So ist eine gesetzliche Betreuung nicht erforderlich, wenn Ihre Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten ebenso gut besorgt werden können. Und Ihre private Vorsorge geht auch einer mutmaßlichen Einwilligung in medizinische und pflegerische Maßnahmen vor.
2.2 Überblick über die Möglichkeiten der privaten Vorsorge
Für eine umfassende private Vorsorge stehen Ihnen verschiedene Instrumente zur Verfügung, die sich nach ihrem Inhalt und ihrem Adressaten unterscheiden. In Betracht kommen die Patientenverfügung, die Vorsorgevollmacht und die Betreuungsverfügung. Eltern von minderjährigen Kindern sollten darüber hinaus eine Sorgerechtsverfügung und eine Sorgerechtsvollmacht errichten. Auf jeden Fall sollten zur eigenen Vorsorge frühzeitig entsprechende Regelungen getroffenen werden, sodass die entsprechenden Entscheidungen ohne Zeitdruck und äußere Sachzwänge erfolgen können.
Unabhängig davon, welche Verfügung Sie errichten wollen, sollten Sie auf Folgendes unbedingt achten:
Berücksichtigen Sie bei der privaten rechtlichen Vorsorge in erster Linie Ihre privaten Wünsche und Vorstellungen.
Lassen Sie sich gegebenenfalls beraten, wenn Sie Fragen zu den jeweiligen Vorsorgemöglichkeiten haben. Es stehen Ihnen viele Beratungsangebote (z.B. bei Betreuungsbehörden, Betreuungsgerichten, Betreuungsvereinen) kostenlos zur Verfügung. Kostenpflichtig beraten Notare und Rechtsanwälte. In medizinischen Fragen können Sie sich an Ihren Hausarzt wenden; auch Hospizvereine oder Hospizeinrichtungen haben persönliche Beratungsangebote eingerichtet.
Lassen Sie in Ihrer Verfügung gegebenenfalls Ihren Hausarzt oder eine unbeteiligte dritte Person bestätigen, dass keine Zweifel daran bestehen, dass Sie selbstbestimmt mit eigenem Willen die bezeichneten Entscheidungen getroffen haben.
Errichten Sie Ihre Verfügungen schriftlich, unterschreiben Sie diese mit Familiennamen und geben Sie auch Ort und Datum an.
Nehmen Sie in Ihre persönlichen Papiere (z.B. Kreditkarten, Personalausweis) eine Hinweiskarte auf, aus der hervorgeht, welche Verfügung Sie getroffen haben und wo Sie die Verfügung aufbewahren.
Informieren Sie Ihre Angehörigen und Ärzte, dass Sie eine Vorsorgeverfügung verfasst haben.
Überprüfen Sie Ihre einmal getroffenen Verfügungen in regelmäßigen Abständen und aktualisieren Sie diese bei Bedarf.
2.2.1 Patientenverfügung
Die Patientenverfügung ist eine vorsorgliche Verfügung für Ihre medizinische Versorgung. Im Rahmen Ihres Rechts auf Selbstbestimmung bei medizinischer Behandlung geben Sie Vorgaben über Art und Umfang diagnostischer oder therapeutischer Maßnahmen für den Fall, dass Sie sich in einer konkreten Behandlungssituation nicht mehr persönlich äußern können. Sie legen also verbindlich fest, was Ärzte, Pflegepersonal, Bevollmächtigte und Betreuungsgerichte zu tun und zu lassen haben, wenn Sie schwer erkrankt sind oder Sie einen Unfall hatten und Sie sich nicht mehr äußern können.
2.2.2 Vorsorgevollmacht
Mit der Vorsorgevollmacht können Sie im Voraus einen Vertreter bevollmächtigen, Ihre Angelegenheiten zu erledigen, wenn Sie dies infolge von Krankheit, Unfall oder (altersbedingtem) Nachlassen der geistigen Kräfte selbst nicht mehr oder nur noch teilweise können. Eine solche Vollmacht zur Vorsorge ermöglicht Ihnen ein hohes Maß an Selbstbestimmung für den Fall, dass Sie selbst nicht mehr in der Lage sind, Ihre Angelegenheiten wahrzunehmen. Sie benennen eine oder mehrere Personen Ihres Vertrauens, die bereit sind, für Sie im Bedarfsfall zu handeln. In der Vollmacht können Sie im Einzelnen regeln, für welche Aufgabenbereiche sie gelten und welche Befugnisse der Bevollmächtigte haben soll. Liegt eine wirksame und ausreichende Vollmacht vor, so darf in ihrem Regelungsbereich vom Betreuungsgericht keine rechtliche Betreuung für Sie angeordnet werden.
Während die Patientenverfügung allein Ihre Gesundheitsvorsorge, also medizinische Angelegenheiten betrifft, können Sie in der Vorsorgevollmacht alle Angelegenheiten (z.B. neben Gesundheits- auch Vermögensangelegenheiten) regeln. Ihre Patientenverfügung richtet sich an Ärzte, Pflegepersonal, Bevollmächtigte und Betreuungsgerichte, die Ihren geäußerten Willen zu beachten haben, Ihre Vorsorgevollmacht richtet sich allein an Ihren Bevollmächtigten und berechtigt diesen, im Vorsorgefall Ihre Angelegenheiten zu besorgen.
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Tipp: Sinnvoll ist es, Ihre Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht zu kombinieren. Damit haben Sie die Möglichkeit, eine oder mehrere Personen Ihres Vertrauens rechtlich in die Lage zu