Silvia - Folge 2. Jürgen Bruno Greulich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Bruno Greulich
Издательство: Bookwire
Серия: Silvia
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956951183
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der Wand, den Blick auf die Peitsche gerichtet, hielt sich mit beiden Händen an einer herabbaumelnden Kette fest, wurde immer weiter angetrieben von Christines Anweisungen. Diese dirigierte die Haltung des Kopfes, die Richtung des Blicks, die Stellung der Arme und Beine, sie forderte, lockte, korrigierte und schmeichelte, brach das Eis, nahm Silvia die Scheu, ließ sie den Zweck der Aufnahmen vergessen, ihren Gefühlen Ausdruck geben, sich im Hier und Jetzt verlieren. Aus dem kalten Auge der Kamera wurde ihr eigener, anteilnehmender, warmer, hungriger Blick. Immer wieder öffnete und schloss sich klickend die Blende, wurde die Kamera zum lebendigen Wesen, das Silvias lasziven, obszönen, berückenden Anblick begierig in sich fraß.

      Als sie satt geworden war und das Klicken erstarb, erblühte ein Lächeln in Christines Miene. „Das war’s, die Aufnahmen müssten gut geworden sein.“ Wie aus einem Traum erwacht, legte Silvia den BH wieder um, während Christine die Kamera im Koffer verstaute. „Corinna und ich wählen die geeignetsten Fotos aus, die dann entwickelt werden. Sobald du fürs Foyer bereit bist, kannst du dich in der Karte bewundern.“ Mit einem Fingerschnippen am Schalter verlosch das Flutlicht und der Raum versank wieder im Zwielicht, das ihm angemessen war.

      Silvia streifte das Kleid über und zog mit halb verdrehten Armen den Reißverschluss am Rücken hoch. „Kann ich beim Auswählen der Fotos dabei sein?“

      Christine schüttelte den Kopf. „Das wäre nicht gut. Es würde den objektiven Blick stören …“

      Der objektive Blick, ja, ja … Vermutlich suchte er nach den gewagtesten Fotos, während sie mit ihrem subjektiven Blick die schmeichelhafteren, weil weniger verfänglichen Bilder bevorzugt hätte. – Zurückgekehrt in die Garderobe, warf Silvia das Negligé in den Bastkorb, in dem jedes Wäschestück gleich nach Gebrauch zu landen hatte, egal, wie kurz man es angehabt hatte. „Die Waschmaschine hier dürfte gut ausgelastet sein.“

      Christine lächelte entlastet. „Zum Glück gibt es hier Angestellte, die sich um solche Sachen kümmern.“

      O ja. Von Hausarbeit befreit zu sein, das hielt auch Silvia für einen Segen …

      ***

      Um dreizehn Uhr gab es einen Mittagstisch mit Salaten und kalten Speisen, um halb sieben das Abendessen. Der Rhythmus war also noch so, wie Silvia ihn kannte. Kurz nach eins ging sie in den Speiseraum hinunter und traf dort Laura und die Schwarzhaarige, die den Trainingsanzug von heute Morgen gegen ein langes weites Kleid getauscht hatte. Wie hieß sie noch mal?

      Sie schien Silvia ihre Frage anzusehen und lächelte nachsichtig. „Monika. – Ich kann mir auch keine Namen merken.“

      Ach ja. Es war Silvia doch auf der Zunge gelegen. Sie erwiderte das nachsichtige Lächeln dankbar. Gut, dass nicht alles ein Problem war …

      Aufgetragen wurde von den beiden Jungs für alles, die Silvia ebenfalls noch kannte, viel hatte sich im Haus offenbar nicht geändert, allerdings waren ja auch keine Jahrzehnte seit ihrem Aufenthalt verstrichen. Auch der Koch war vermutlich noch der Gleiche, jedenfalls schmeckte das Essen noch genauso köstlich wie in der Erinnerung.

      Auch Corinna erschien zum Mittagsmahl, noch ins rote Kleid des Vormittags gehüllt und mit hochgestecktem Haar, ihren Hals und die Arme schmückten silberne Reife, besetzt mit zierlichen Türkisen. Hübsch sah sie aus, jugendlich und reizvoll, man hätte auch sie zur Arbeit ins Foyer schicken können … Da man aber so über eine Chefin vermutlich nicht denken durfte, revidierte Silvia diesen Gedanken gleich wieder …

      Um vierzehn Uhr, so erfuhr Silvia auf ihre Frage, öffnete das Haus die Pforten für seine Gäste, und offen blieb es, bis der Letzte wieder gegangen war, was sich bis fünf Uhr morgens hinziehen konnte oder noch länger. Meistens aber sei um zwei oder drei Uhr in der Nacht Feierabend.

      „Und das jeden Tag?“

      Entsetzt hob Monika die Hände. „Gott behüte! Da wäre man ja bald fix und fertig.“

      Auch Laura, die ebenfalls wieder mit am Tisch saß und grade ein Stückchen Schafskäse mit der Gabel aufspießte, verdrehte die Augen. „Das würde noch fehlen.“

      Corinna, die als Arbeitgeberin eigentlich nichts als die Optimierung des Ertrags vor Augen hätte haben müssen, lächelte amüsiert zu Silvia herüber. „Wie du hörst, kann man den Mädchen keinen täglichen Dienst zumuten. Die Klagen wären nicht auszuhalten. Aber wahrscheinlich würden die Gäste auch bald die Lust an den armen abgearbeiteten Dingern verlieren. – Also ist es anders geregelt: Jede hat drei Tage in der Woche, an denen sie fest eingeteilt ist und von vierzehn Uhr bis zum Ende da sein muss. An den anderen Tagen kann sie es halten, wie sie will, kommt entweder gar nicht oder später oder geht früher, ganz wie es ihr in den Kram passt. Es sind jeden Tag vier Mädchen eingeteilt, das ist die Mindestbesetzung im Foyer.“

      Ein blaues Auto bog draußen von der Straße ein, doch fuhr es nicht in den Hof, sondern verschwand hinter dem Turm, der den Seitenflügel gegenüber dem Mädchentrakt abschloss.

      „Das ist Annemarie“, sagte Laura, legte Messer und Gabel auf den Teller und stand auf. „Ich gehe mal, bereite mich zusammen mit ihr vor, dann habe ich wenigstens Gesellschaft.“ Sie verließ den Raum und draußen kam ein weißes Auto durch die Einfahrt, nahm den Weg des blauen.

      „Oh, Danielle ist heute ja richtig früh dran für ihre Verhältnisse“, meinte Corinna verwundert.

      Da kamen sie also, die Mädchen, um mit der Arbeit anzufangen. Ob es ihnen schwerfiel? Laura hatte diesen Eindruck nicht gemacht, hatte eher zufrieden gewirkt und mit den Dingen einverstanden. Nachdenklich stocherte Silvia im Geflügelsalat, nahm einen Bissen, hob den Blick und schaute in Corinnas dunkle Augen. „Könnten Sie für mich auch drei Tage aussuchen?“

      Corinna wischte mit einem Stück Baguette die Soße vom Teller. „Sie sind bereits festgelegt. Aber bist du denn schon so weit?“

      Das hätte Silvia selbst gerne gewusst. Neugierig aber war sie auf jeden Fall. Na ja, und reizvoll war es auch, dieses geheimnisumwitterte Foyer. Außerdem würde das Leben auf Kosten des Hauses wohl nicht lange funktionieren. Sie seufzte schwer. „Irgendwann muss ich ja mal anfangen.“

      Sinnierend brach Corinna ein winziges Stück vom Baguette ab. „Es sind der Donnerstag, der Freitag und der Sonntag.“

      Ach. Das also waren die Tage, an denen Silvia in Zukunft eine Entschuldigung haben würde, sich auf die Pflicht berufen konnte, unterworfen dem Zwang des Hauses, dem tröstlichen, der keine Wahl ließ, ihr die Last der Entscheidung nahm. Dienstag war heute. Übermorgen würde es so weit sein.

      Corinna hatte keine Skrupel, nach der klaren Ansage ein bisschen Konfusion in Silvia zu schüren: „Du kannst natürlich auch heute schon anfangen oder morgen, falls du möchtest. Es liegt an dir.“ Mit dem Gemurmel, dass sie noch einiges zu tun habe, legte sie ihre Serviette auf den Teller, trug ihn zum Servierwagen hinüber und verließ den Raum mit einem freundlichen Winken.

      Lächelnd schaute Monika ihr nach. „Ist eigentlich ein angenehmes Leben hier. Ich kann jetzt nämlich ein Nickerchen machen.“

      Ein Mittagsschläfchen? Das hielt Silvia für eine gute Idee …

      Der Preis des Erfolges

      Es war stockdunkel, als Silvia aufwachte. Ihre Hand tastete über den Nachttisch auf der Suche nach der Lampe, fand sie, ein bisschen Licht flammte auf. Es war kurz vor achtzehn Uhr. Aus dem kleinen Mittagsschläfchen war ein ausgewachsener Schlaf geworden, fast hätte man meinen können, dass ihr dieses schreckensreiche Wochenende noch immer in den Knochen und vor allem wohl in der Seele stecke. Sie quälte sich wie gerädert aus dem Bett, knipste die Deckenleuchte an, schüttete im Bad kaltes Wasser ins Gesicht, wurde etwas frischer und etwas wacher. Aber war das ein Vorteil? Was nun anfangen mit der Zeit?

      Sie schaltete den Fernseher ein. Er war ans Kabel angeschlossen oder an eine Satellitenantenne, es gab fünfundzwanzig Programme. Was aber nichts nützte. Zweimal zappte sie von vorn bis hinten durch und wieder zurück, dann schaltete sie ihn aus. Was da an Unterhaltung geboten wurde, unterhielt sie nicht. Schaudernd blickte sie in den Abend, der noch gar nicht richtig begonnen hatte, wie in einen endlos