„Für welche Karte?“
„Na ja, für die Karte, die im Foyer ausliegt und dem Gast das Angebot vorstellt.“
Gast? Foyer? Angebot? Verstand Silvia richtig? „Freizügige Fotos?“
Christine nickte. „Ziemlich.“
„Ach.“
Es war Corinna, die das stockende Gespräch nach einem eleganten kleinen Bissen von ihrem Brötchen neu belebte, indem sie erklärte, dass Christine im Nebenjob sozusagen auch als Fotografin des Hauses fungiere, sogar professionell darin ausgebildet sei und die Sache sehr gut mache. Aber natürlich sei es Silvia unbenommen, sich noch einige Tage zu erholen, wenn ihr das lieber sei. Es gebe keinen Grund, sich Stress zu machen.
Und nun? Im Posieren für freizügige Aufnahmen war Silvia ja geübt. Und diese Fotos hier würden wenigstens keiner heimlichen Geliebten vorgezeigt werden, nahm sie mal an. „Von mir aus können wir es gleich machen.“
Also eilte Christine nach dem Frühstück los, um die Kamera zu holen, und auch Corinna zog sich zurück, da sie noch einiges zu erledigen habe, wie sie mit einem bedauernden Lächeln erklärte.
Sinnierend schaute Laura ihr nach. „Kaum zu glauben, welch einen Heidenrespekt ich damals vor ihr hatte, als ich drüben im Mädchenhaus war.“
Ach. Sie war auch eine der Sklavinnen gewesen? Ja, vor eineinhalb Jahren etwa, sagte sie, also lange vor Silvias Zeit. Im Nu waren sie in eine Unterhaltung über die Aufseher verstrickt, die mit einer Ausnahme die Gleichen wie bei Silvia gewesen waren.
Eine Begegnung ehemaliger Sklavinnen erinnere doch sehr an die Zusammenkunft von Kriegsveteranen, sagte kopfschüttelnd die Schwarzhaarige, die einen weiten grauen Trainingsanzug trug. Marmelade tropfte von ihrem Brötchen auf den üppigen Busen und sie versuchte sie mit der Fingerspitze wegzuwischen, was natürlich nicht gelang, sondern sie nur gleichmäßig verteilte. „Mist!“, brummte sie und zuckte dann gleichgültig mit den Achseln. „Was soll’s. Ich muss momentan ja nicht hübsch aussehen.“
Christine kam wieder herein, behängt mit einer Fototasche von den Ausmaßen eines Reisekoffers, und schnell trank Silvia ihre Tasse leer, um ihr zu folgen, wohin auch immer. – Ihr Weg führte sie ins Foyer, das verlassen im trüben Tageslicht schlummerte. Der Staubsauger war verstummt und verschwunden, alles aufgeräumt und sauber, der Raum bereit für neues Leben. Die Säule, an der Veronika ihre Bestrafung erlitten hatte, weckte Erinnerungen an die vergangene Zeit, in der sie kaum hatte glauben können, dass es dieses Foyer wirklich gab. Und noch viel weniger hätte sie für möglich gehalten, jemals hierher zurückzukehren.
Neben der Bar gab es eine Tür, kaum zu entdecken, da von der gleichen samtenen Tapete wie die Wand bedeckt. Sie führte in die Garderobe, einen großen Raum mit hohen Spiegeln, einem Schrank, Schminktischen und Garderobenständern, diese dicht behängt mit kleinen Kleidungsstücken, die wohl niemanden richtig anzogen. Es roch nach Parfüm, das Licht war gelblich warm, die Atmosphäre voller Erwartung, bang und ein bisschen kribbelnd, vielleicht aber brachte Silvia diese Gefühle selbst mit herein. Eine weitere unscheinbare Tür führe zu den angrenzenden Duschen mit den Toiletten und den Bidets, erklärte Christine. Wenn sie mal müsse?
Nein, Silvia musste nicht. Aber fotogerecht geschminkt musste sie werden mit Rouge für den blassen Teint, einem kräftigen Rot für die Lippen und kontrastreichem Lidschatten; zuletzt bekam sie das Gesicht gepudert mit einem weichen großen Pinsel, damit es auf den Fotos nicht glänze. Dann bekam sie von Christine ein kleines zartes Kleidungsstück in die Hand gedrückt und musste die Pantoffeln, die für die Fotos natürlich überhaupt gar nicht infrage kamen, gegen rote hochhackige Schuhe tauschen. Von diesen gab es in einem großen Fach des großen Schrankes eine reiche Auswahl in allen möglichen Farben und Größen, offenbar zur freien Verfügung.
Mit allem Notwendigen ausgestattet, folgte sie Christine in einen Korridor, den einige Wandlampen in Kerzenform gedämpft beleuchteten. Rot waren der Teppichboden und die samtenen Tapeten. Rechts gab es zwei Türen, die eine führte ins Foyer und die andere, die geradeaus führte, war stets abgeschlossen, da dieser Bereich vom Rest des Hauses streng abgeschieden blieb, so erklärte Christine. Sie gingen also nach links. Gegenüber der Garderobe befanden sich die Herrentoiletten und nach diesen kam eine Tür, an der eine verschnörkelte goldene Drei angebracht war wie im Hotel. Ihr schräg gegenüber trugen zwei andere Türen die Eins und die Zwei.
„Das sind die Liebeszimmer“, sagte Christine. „Hier ist man dann mit dem Gast alleine.“
Hier also geschah es … Scheu schweifte Silvias Blick umher und kaum konnte sie sich vorstellen, jemals einen dieser geheimnisvollen Räume betreten zu werden.
Sie folgten dem Knick des Korridors nach rechts und hier führten noch weitere Türen in weitere Liebeszimmer, von denen es acht insgesamt gab, wie Silvia erfuhr. Ohne die beiden Zimmer unten. Gleich nach der Biegung führte eine Wendeltreppe hinab, aber nein, nicht zum Mädchenraum, wie sie für einen klitzekleinen Moment tatsächlich gedacht hatte, denn dieser befand sich doch im anderen Teil des Gebäudes, streng abgeschottet. Seltsam, der Gedanke, dass es hier im Haus die eingeschüchterten und bedingungslos gehorsamen Mädchen gab, die in atemloser Erregung gehalten wurden. Sie waren um diese Zeit wohl mit dem Abwasch beschäftigt, gespickt mit dem Poformer, und eine von ihnen trocknete in diesem Moment vielleicht die Tasse ab, aus der sie vorhin getrunken hatte.
Auch der Korridor unten war in Rot gehalten und schummrig beleuchtet, doch hatten die Türen keine Nummern. Christine öffnete gleich die erste von ihnen auf der linken Seite und sie betraten einen düsteren Raum. Fenster hatte er keine, an der Decke eingelassene Lampen verbreiteten gelbes Licht, schwarz war der dicke Teppichboden. Auf einem kniehohen, halbrund vortretenden Podium standen zwei schlanke metallene Säulen, die bis zur Decke ragten, etwa zwei Meter voneinander entfernt, und an der Wand dahinter hing unheildrohend eine Peitsche mit langem Griff und einem einzigen langen Riemen. Einrichtung gab es fast keine, nur einen steifen Stuhl ohne Polster, einen bequemen Ledersessel und in einer Ecke eine schwarze Kommode mit mehreren Schubladen.
Christines Geste war die eines Reiseführers, der eine Sehenswürdigkeit präsentiert. „Das ist das Chambre O. Benannt nach einem Roman.“
Welcher Roman gemeint war, musste Silvia nicht fragen. Sie solle sich doch bitte fertig machen, sagte Christine und holte aus ihrem Koffer eine Kamera mit dickem Objektiv hervor. Fertig machen bedeutete das Kleid ablegen. Silvia tat es zaudernd, hakte dann den BH vorne auf und hängte ihn über die Stuhllehne. Slip gab es keinen, dafür auf der Haut ihre Überbleibsel vom Wochenende, die blau unterlaufenen Striemen, die Christine taktvoll ignorierte.
Silvia musste, durfte das mitgebrachte rote Negligé überstreifen, das nicht allzu viel von ihr verbarg, eigentlich gar nichts. Wie von Christine gewünscht, stellte sie sich aufs Podium zwischen die Säulen, wobei sie sehr aufpasste, sie nicht zu berühren, als stünden sie unter Strom. Christine betätigte einen Schalter und Silvia wurde überflutet von hellem weißem Licht, das vier Scheinwerfer von der Decke auf sie herabwarfen. Kalt starrte das Auge der Kamera sie an, unbeteiligt wie ein gefühlloses fremdes Wesen, metallen klickte der Verschluss. Zuerst stand sie nur so da, hoffte, dass es bald vorüber sei, dann holte Christine den Stuhl aufs Podest und die Posen wurden gewagter, nur zögernd nahm Silvia sie ein, setzte sich mit geöffneten Beinen darauf, dann der Lehne zugekehrt mit den Brüsten aufs Querholz gestützt, dann lag sie bäuchlings auf der Sitzfläche und reckte den Hintern empor.
Christine ließ die Kamera sinken und Silvia erhob sich erleichtert. Es hatte ja fast so lange gedauert wie eine Fotosession bei Wolfgang. Aufmunternd nickte Christine ihr zu. „War nicht schlecht für den Anfang.“
Was? Für den Anfang? Sie waren gar nicht fertig?
Als könne sie nichts dafür, zuckte Christine mit den Achseln, und erweicht von einem bittenden Blick, nahm Silvia die nächsten Posen ein. Sie wurde nun an einer der Säulen fotografiert, die man durchaus berühren konnte, da sie doch nicht unter Strom standen. Man konnte die Beine um sie schlingen, sie umarmen, die Wange an sie schmiegen, konnte sogar die Zunge übers kühle Metall