Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung. Julius Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783863912109
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      Sie sprach mit leicht osteuropäischem Akzent.

      »Ja, ich weiß. Ich habe komische Beine. Als würde ich auf zwei umgedrehten Pyramiden stehen. Kann ich nicht einfach eine andere Hose tragen? Die da drüben hat doch gepasst.«

      Sie schnaubte.

      »Wo denkense hin? Sie wollen doch ordentlich aussehen bei Ihrer Hochzeit.«

      Ich stutzte.

      Hatte meine Freundin behauptet, wir wären verlobt, damit die Verkäuferin sich ein bisschen beeilte? Crazy Move. Ich kann so was ja nicht. Ich kann auf dem Flohmarkt auch nicht feilschen. Aber ich sagte in diesem Moment einfach nichts dazu.

      Da sich kein besserer Anzug fand, wurde die Hausschneiderin hinzugerufen.

      »Kchönen Sie diese Chose weiten?«, fragte die Verkäuferin.

      Die Schneiderin besah sich die Hose und nickte.

      »Wann sollsn fertig sein? Montag?«

      Die Verkäuferin seufzte und sagte: »Neinnein, es ist Notfall, der junge Cherr heiratet morgen.«

      Mir wurde es doch ein bisschen unangenehm. Meine kleine Lüge, die streng genommen keine war, vor allem nicht meine, sondern nur ein Verschweigen der Wahrheit im richtigen Moment, schwoll immer weiter an.

      »Wir können das auch so lassen, wirklich, kein Problem, dann atme ich eben weniger«, sagte ich und lächelte. Aber die Verkäuferin, sie hieß übrigens Frau Petrowitsch, flötete: »Neinnein, das wird schon gehen.«

      Die Schneiderin watschelte davon.

      »So, wenn ich Sie nun bitten dürfte zur Kasse?«, sagte Frau Petrowitsch und zeigte auf einen eleganten Tresen.

      »Die Chose kchönnen Sie cheute Abend abcholen. Ich brauche nur Telefonnummer, um Bescheid zu sagen.«

      Ich bezahlte mit Karte und gab ihr meine Nummer.

      »Sagen Sie!«, hob die Verkäuferin an. »Wo cheiraten sie denn?«

      Ich atmete tief ein. Dann erwiderte ich das Erste, was mir einfiel.

      »In Frankfurt.«

      »An der Oder? Wirklich? Da ich hab Verwandte.«

      »Nein, in Frankfurt am Main, da kommt meine Freund…, äh Verlobte her.«

      Und schon wieder gelogen. Warum?

      Frau Petrowitsch winkte nun einem Mann, der auf der anderen Seite der Etage dekorativ entlangstolzierte.

      »Das ist mein Chef, den wird das auch interessieren. Der kommt aus Frankfurt. Chef, Chef, der junge Mann hier cheiratet morgen. In Frankfurt! Und sechense, er kauft erst jetzt seinen Anzug.« Er kam zu uns, grinsend wie ein Immobilienmakler.

      »Na Sie habbe ja de Ruh weg. Bei Ihre Frau sieht des sischer anners aus«, sagte der Chef und legte mir eine Hand auf die Schulter.

      Der Chef sah mich an, während er unter der Theke nach etwas suchte.

      »Erzählese doch ma en bissi, wo werd denn geheiradet?«

      Und wieder musste ich mir etwas ausdenken.

      »Na ja, das wird eine kleine Feier, ganz bescheiden, also wir sind im Standesamt …«

      »Nord odä Midde?«

      »Ja, Mitte. Oder, puh da bin ich überfragt. Nee, doch Mitte.«

      »Dann saaachesse ma de Frau Tschechowski schöne Grüße, ge«, sagte der Chef, während er die Hülle und die Metallabdeckung einer Champagnerflasche entfernte. »Mit dä war ich uff de Schul.«

      »Ach, das ist ja witzig, meine Verlobte auch.« Ich konnte nicht mehr aufhören.

      »Nee, im Ennst? Aufem Gaggern?«, der Mann war aufgeregt.

      »Ja.«

      »Wie heißt die dann?«

      Und wieder sagte ich das Erste, was mir einfiel: »Gogol. Leonie Gogol. Also bis morgen.«

      Frau Petrowitsch rief: »Wie der russische Schriftsteller.«

      »Ja genau, sie ist auch irgendwie mit ihm verwandt.« Ich musste raus aus dieser Situation. Es wurde immer schlimmer. Der Chef ging offensichtlich in seinem Kopf eine Liste durch. Ein guter Chef merkt sich alle Gesichter.

      Der Korken knallte, Frau Petrowitsch quiekte und der Chef sagte: »Also e Leonie Gogol kenn ich net. Na ja, wollese en Schluck Sekt, so zur Feier des Tages?«

      »Nein, danke, ich bin Alkoholiker«, sagte ich und wollte gehen.

      »Ach werklisch?«, sagte der Chef. »In Therapie? Habbese e Grupp? Wenn ja, wo? Isch suche!«

      »Ich hab ne Gruppe«, sagte ich, »lassen Sie uns doch Nummern tauschen. Ach was, noch besser, kommen Sie doch einfach morgen vorbei.«

      Verdammt.

      »Uhhh, da müsste ich halt noch nach Frankfodd«, sagte der Chef. »Aber danke für die Einladung.«

      »Wir können Sie mitnehmen. Wir haben noch Platz in der Limousine.«

      »Ei subber, isch bin übrigens de Maddin.«

      »Und ich bin Christian Meyer«, sagte ich und gab dem Martin die Nummer von Christian Meyer, »aber mein Zweitname ist Martin.«

      »Nein!«

      »Doch!«

      »Mein Zweitname ist Christian.«

      »Nein!«

      Frau Petrowitsch juchzte ob dieses unfassbaren »Zufalls«.

      Sie wirkte so glücklich.

      »Passen Sie auf, Martin, Frau Petrowitsch, meine Freundin ist schwanger, Sie beide sind die Ersten, die es erfahren. Wollen Sie, wollt ihr die Paten sein?«

      In diesem Moment kam meine Freundin an den Verkaufstresen, wurde sofort von Frau Petrowitsch umarmt, der Tränen der Rührung in den Augen standen.

      »Frau Gogol, oder darf ich schon sagen Meyer? Das wird der schönste Tag in Ihrem Leben! Selbst wenn es regnet. Bei meiner Chochzeit hat es geregnet. Es war schönste Tag in meinem Leben. Genießense es.«

      Der Chef gab meiner Freundin die Hand. »Wir Frankfodder lasse nischts anbrenne, gell?«

      Sie guckte mich an. Diesen Ausdruck kannte ich schon. Er verhieß nichts Gutes.

      »Was denn für eine Hochzeit?«, fragte sie verwirrt.

      Hä? Hatte sie nicht vorhin behauptet, wir würden heiraten, damit Frau Petrowitsch sich beeilte? Ich musste handeln, ehe alles aufflog.

      Ich sagte: »Ja, es sollte eigentlich eine Überraschung werden!«

      Dann kniete ich mich hin.

      Mittlerweile ist der Möhrenmann aufgewacht. Er und der Schaffner diskutieren, ob ein Ticket für die Regionalbahn auch im ICE gelten würde. Sie haben unvereinbare Meinungen zu diesem Thema. Einer von beiden muss falschliegen. Und ich glaube, ich weiß wer.

      Ist das nervig.

      Ich hätte das Auto nehmen sollen.

      Da ist man zumindest allein.

      Obwohl das eigentlich auch nicht geht, wegen ökologischem Fußabdruck und so. Musste ja wen mitnehmen. Willst aber gleichzeitig deine Ruhe. Oder Hörbuch hören. Und dann fragen die die ganze Zeit, wer wer ist. Weil sie den Anfang der Geschichte nicht mitbekommen haben. Und dann musst du denen das erklären. Beim letzten Harry-Potter-Band. Und dann niesen die wahrscheinlich auch noch. Oder essen Möhre. Aaaah!

      Ein weiteres Problem: Seit geraumer Zeit schreie ich im Auto. Ich hatte das immer für ein total übertriebenes Klischee gehalten, aber auf mich trifft es zu. Ich schreie alle an. Um mich abzureagieren. Natürlich nur, wenn ich alleine bin. Und natürlich nie ohne Grund. Es sind einfach alle außer mir Idioten.

      Nur