Die Musik stoppte, und rasch zog er seine Hand zurück. Jemand legte »The Girl in the Alice Blue Gown« auf, wozu wir nun sittsam Walzer zu tanzen begannen. Christopher war ein guter Tänzer, er tanzte mit Leichtigkeit und Hingabe und folgte so mühelos, wie er wohl auch geführt hätte. Doch die Plattenauswahl war schlecht und zerstreute den satyrischen Geist, der kurz auf uns niedergekommen war. Peter Morrison entließ seinen jugendlichen Helfer, hielt die Musik an und klopfte an die Holzvertäfelung, um für Ruhe zu sorgen.
»Aufräumen und fertig machen fürs Gebet!«, rief er und setzte dem Vorkommnis so für immer ein Ende. »Und zwar zack-zack. Der Rektor wird in zehn Minuten durchgehen.« Das war es dann also, dachte ich. »Dieses eine Mal ist das schon in Ordnung … Dir fallen ja die Haare … Kupferbraun.« Und vorbei war die Musik.
Aber spät an diesem Abend, als Christopher und ich zum Schlafen nach oben gingen, fühlte ich, wie sein Handrücken an meinem entlangstreifte und seine Finger sich dann um meine wanden. Gemeinsam liefen wir die lange Reihe der durch Holzwände abgeteilten Schlafplätze entlang, bis wir an seinem ankamen. Es war ziemlich dunkel. Alle anderen schliefen, oder sollten schlafen, denn dies war der Schlafsaal der Unterstufenschüler, für den wir beide zuständig waren, und die hier Schlafenden waren bereits vor zwei Stunden ins Bett geschickt worden. Jedenfalls würde, wenn wir leise wären, niemand mitbekommen, dass wir beide in Christophers Schlafkammer gegangen wären; niemand würde uns stören. Die Dunkelheit gehörte uns allein, und wir wussten das, und in diesem Wissen hielten wir uns umso fester an der Hand – und sagten Gute Nacht.
Für Christopher kann ich nicht sprechen. In meinem Fall war es Furcht, die mich damals dazu brachte, ihn zu verlassen. Ich wollte nur bei ihm sein und ihn halten; doch konnte dies vielleicht zu weiteren Sehnsüchten führen, möglicherweise auch bei ihm, und von diesen, so dachte ich, könnte er vielleicht am Ende abgestoßen sein und zurückscheuen. An diesem Abend, vor seiner Schlafkammer, liebte ich ihn so sehr, dass mir bei dem Gedanken, Ärger oder Missfallen bei ihm zu erregen, ganz schlecht wurde vor Entsetzen. Was wollte er? Es ließ sich ihm nicht anmerken, ich konnte es nicht sagen, ich durfte es nicht darauf ankommen lassen; also ließ ich seine Hand los und schlich davon, mein furchtsames Herz verfluchend, in mein einsames Schulbett.
Anfang Juni knackte ich bei einem Heimspiel die Hundert gegen Eton, ein Triumph, der umso süßer war, als Christopher mir als Schlagmann die meiste Zeit gegenübergestanden und selbst sehr ansehnliche 47 erzielt hatte. Das Ereignis wurde jedoch dadurch getrübt, dass meine Eltern anwesend waren. Als ich aus dem Spiel raus war, zog ich mir meinen blauen Blazer der ersten Cricket-Elf über und ging zu ihnen. Und kaum hatte ich mich hingesetzt, legte mein Vater schon los. Keine Glückwünsche zu meinem Century, nur ätzende und verdrießliche Übellaunigkeit von dem Augenblick an, als er mich sah. Da ich sonst meine Zeit mit Christopher hätte verbringen können, war das sehr schwer zu ertragen.
»So viel Blau«, sagte mein Vater, als er meinen Blazer in Augenschein nahm und die Kosten wohl bis auf den letzten Penny abschätzte, »man könnte denken, du spielst im Varsity-Endspiel im Lord’s.«
»Und das könnte direkt so kommen«, sagte meine Mutter, »wenn er so weitermacht.« Sie hielt inne und zuckte kurz. »Du hast nie ein Century geholt«, sagte sie. »Du hast noch nicht mal für die Schul-Elf gespielt.«
»Das war zu meinen Zeiten auch noch sehr viel schwerer«, sagte mein Vater in einer Mischung aus Quengelei und Niedertracht. »Damals hat man in der Elf gespielt wie die Erwachsenen. Das hier ist ja nur Kinderkram.«
»Der alte Frank«, erwiderte ich, auf den pensionierten Profispieler bezugnehmend, der sich noch immer jedes Spiel ansah, »sagt, dass unsere eine der stärksten Elfen ist, an die er sich erinnern kann. Frank war doch damals schon hier, als du hier Schüler warst, oder?«
»Frank wird langsam zu senil, um noch ein verlässliches Urteil fällen zu können. Ich sage euch, zu meinen Zeiten hatten wir Teams, die bestanden aus Männern. Männer, die im Krieg ihrem Land gedient hätten, statt in der Schule Cricket zu spielen.«
»Der Krieg ist vorbei«, sagte Mama.
»Nicht drüben im Osten.«
»Ich werde meinen Dienst leisten«, sagte ich, »wenn sie mich einberufen, wann und wo auch immer.«
»Wenn die Kämpfe alle vorüber sind.«
Mein Vater hatte im eben beendeten Krieg zunächst beim Königlichen Feldzeugkorps gedient und war dann früh freigestellt worden, weil sein Firmengeschäft kriegswichtig war.
»Wie sieht der Rektor das?«, sagte Mama nervös. »Wirst du vor oder nach deiner Zeit im Lancaster zur Armee müssen?«
»Bis jetzt weiß es keiner.«
»Und warum ist das denn so sicher«, sagte Vater, »dass er nach Lancaster geht?«
»Aber Jack, er hat ein Stipendium … Und wenn er im nächsten Frühjahr vielleicht noch ein besseres Stipendium erwerben kann …«
»Mit einem Stipendium ist nicht für alles gesorgt. Wer kommt für den Rest auf?«
»Wenn du dich so aufführen willst, warum hast du dann beschlossen, dass Fielding noch ein weiteres Jahr auf der Schule bleiben darf?«
»Weil mir dieser Schulrektor von ihm ein paar ausgegeben und mich dann eingewickelt hat. Hat ein paar schmeichelhafte Sachen gesagt, das muss ich schon sagen … Also hab ich ihm versichert, dass mein Sohn seinen Platz hier noch ein weiteres Jahr benötigen wird, und ich werde jetzt keinen Rückzieher machen.«
»Warum also nicht das Beste daraus machen?«, sagte Mutter.
»Das werde ich ja tun, noch ein Jahr lang. Wenn sie ihn nicht vorher zum Militärdienst ziehen«, fügte Vater hämisch hinzu.
»Das werden sie nicht machen«, sagte ich. »Das zumindest ist sicher. Als Anwärter auf ein weiteres Universitätsstipendium bin ich auf Ersuchen meines Rektors zurückgestellt bis August 1946.«
»Auch sehr schön«, meinte mein Vater, »Rumträumen von Latein und Griechisch, während andere das Kämpfen für einen übernehmen. Aber hör mir gut zu: Wenn du diese Schule verlassen hast, zahle ich nicht weiter für Latein und Griechisch. Falls, falls ich dich nach Cambridge schicke, muss etwas Nützliches dabei herauskommen.«
Und so weiter. Die üblichen Attacken meines Vaters, das übliche lächerliche oder zum falschen Zeitpunkt angebrachte Dagegenhalten meiner Mutter, das übliche Schmollen, Eingeschnapptsein und kurzweilige Aufblitzen offener Revolte bei mir. Nach einer Weile kam Peter Morrison vorbei, den meine Mutter sehr verehrte, um meine Eltern zu begrüßen.
»Und du spielst wohl nicht?«, sagte mein Vater brutal.
Peter, ein recht guter Spieler, der nur knapp an einem Platz im Team vorbeigeschrammt war, war an meinen Vater schon gewöhnt und nahm es ganz gelassen.
»Die sind einfach zu gut für mich«, sagte er.
»Aber ich habe gerade schon zu ihm gesagt« – mein Vater stach mit einem seiner Finger mit den abgenagten Nägeln nach mir –, »das hier ist Kinderkram. Wenn einer von denen was taugen würde, wären sie schon längst ab und im Krieg. Wie ich.«
Der Punkt war erreicht, an dem ich es nicht mehr ertragen konnte. Ich erfand eine Lüge, dass ich wegen ausgefallenen Personals bei den Vorbereitungen fürs Abendbrot helfen musste, und eilte davon, Peters vorwurfsvollen Blick ignorierend.
Christopher saß hinter dem kleinen Verschlag, an dem der Spielstand angezeigt wurde, und als ich mich neben ihm niederließ, drückte er sein Knie fest gegen meins. Die weißen Flanellhosen, die er trug, waren weich und warm und ganz leicht feucht vom Schweiß. Die Berührung, so jungenhaft und unschuldig, war von einer schmerzlichen Intensität, die weit über einfaches sinnliches Verlangen hinausging. Schenkel an Schenkel, dazwischen nur der leicht feuchte Hosenstoff, keusch und doch entrückt, verharrten wir – zehn Minuten voll unbedeutender Spielgeräusche und eine Ewigkeit voll Liebe.
»Mich und deine Mutter da einfach so