»Und wie«, sagte Peter Morrison, »fandest du die Moralpredigt vom Direx?«
»Typisch!«, sagte ich. »Die haben alle rumgesessen, als die fürchterliche Schweinerei am Brodeln war, und jetzt erzählen sie uns, dass wir die Suppe auslöffeln sollen.«
»Die Schweinerei ist da«, sagte Peter. »Es muss was geschehen.«
»Natürlich. Aber müssen sie deshalb solche Sonntagsreden halten? Wenn sie einfach sagen würden: ›Es tut uns leid, das ist eben passiert, und nun brauchen wir eure Hilfe‹ – gut. Aber nein. Wie es aussieht, müssen wir uns dabei auch noch schuldig fühlen.«
»Jeder hat sich schuldig zu fühlen«, warf Somerset Lloyd-James ein, der sich eben zu uns gesellt hatte, »schon seit Adam den Apfel gegessen hat.«
»Und was«, sagte Peter, »hattest du im anglikanischen Gottesdienst zu suchen? Ich dachte, du wärst zu einer eurer dubiosen Stätten in der Stadt gegangen. Weihrauch und Heiligenbildchen.«
»Ich hatte eine Sondergenehmigung«, lispelte Lloyd-James, »um die Predigt des Schulrektors hören zu können. Ich wollte unbedingt wissen, was er denkt.«
»Was die offizielle Richtlinie ist?«, sagte ich aggressiv. »Na, jetzt weißt du’s. Sack und Asche.«
»Das hättest du auch so wissen können«, meinte Lloyd-James, »dass dein Leben nicht plötzlich ein langer Reigen von Vergnügungen werden würde, bloß weil der Krieg zu Ende ist.«
»Natürlich wusste ich das. Ich hatte einfach gehofft, dass es jetzt ein klein wenig Aussicht auf Vergnügen geben könnte, das ist alles. Und ich nicht von Leuten über meine Schuld wegen eines Kriegs belehrt werde, der angefangen hat, als ich elf Jahre alt war.«
»Guten Abend, meine Herren«, sagte hinter uns der Rektor. »Ich würde Ihnen gerne Major Constable vorstellen. Insbesondere Ihnen«, wandte er sich an mich. »Major Constable ist am Lancaster College zum Tutor ernannt worden. Er wird früher aus der Armee entlassen, um dort seine Stelle antreten zu können.«
Hinter dem Rektor erschien der Major, der sich in der Kapelle so in seinen Filzhut verkrallt hatte.
»Sie?«, sagte ich dümmlich.
Major Constable schien nicht überrascht zu sein.
»Ja, ich«, sagte er. Seine Stimme war weich, sein Gesicht, wie in der Kapelle, grimmig.
»Verzeihen Sie, äh, äh, Major Constable, ich …«
»Mister«, sagte Major Constable. »Oder für Sie, als einen unserer zukünftigen Männer in Lancaster, Tutor. Ich werde morgen um diese Zeit aus der Armee draußen sein. Im College erwartet man einen ziemlichen Ansturm.«
»Ich werde mal weitergehen«, sagte der Rektor. »Sie schreiben mir doch, Robert, sobald Sie sich in Lancaster dann eingerichtet haben?«
»Ja, Herr Rektor«, sagte Constable, so eifrig, als würde seine Post dann die neueste Fortsetzung der Heiligen Schrift enthalten. »Ich werde Ihnen schreiben!«
Der Schulleiter schritt von dannen.
»Heute wirkt er ganz schön umtriebig«, meinte ich.
»Er hat viel zu tun«, warf Somerset Lloyd-James ernst ein.
»Wir werden alle bald viel zu tun haben«, erwiderte Major-Mister Constable engagiert. »Sie haben ja gehört, was der Rektor in seiner Ansprache gesagt hat.«
»Sie schienen«, sagte ich vorsichtig, »da nicht so ganz seiner Meinung zu sein?«
»Ganz im Gegenteil. Jegliche Regung, die ich gezeigt habe, war dem Gefühl der Dringlichkeit dessen geschuldet, was er gesagt hat. In den letzten paar Tagen hat es bei weitem zu viel eitel Wohlgefallen gegeben.«
»Vielleicht, Sir«, sagte Peter sanft, »ist das einfach bloß Erleichterung?«
Ich ließ das zynische und desillusionierte Lachen hören, das ich ganz bewusst pflegte, seit ich drei Monate zuvor zum ersten Mal »Dorian Gray« gelesen hatte.
»Ich wüsste nicht«, sagte Major Constable mit Nachdruck, »was an dem Thema zum Lachen ist.«
Eindeutig erhielt ich gerade Minuspunkte.
»Verraten Sie mir, Sir«, preschte ich vor, »welches Ihr Fachgebiet ist.«
Für den Bruchteil einer Sekunde zeigte er den Anblick gekränkter Eitelkeit, als wäre es unverzeihlich von mir, das nicht zu wissen.
»Wirtschaft … Sie, so sagte mir der Rektor, haben sich den Klassikern der Antike verschrieben. Darf man eventuell fragen, wie Sie sich Ihre berufliche Zukunft vorstellen?«
»Ich hoffe, dass ich Universitätsdozent werden kann … ein Mitglied der Professorenschaft in Cambridge.«
Constable zuckte heftig.
»Warum?«, wollte er wissen.
Doch in diesem Augenblick tauchte unser Schulvorsteher auf, der den Kavalleristen in den kirschroten Hosen vor sich herschob.
»Ich dachte mir«, sagte der Schulvorsteher, »dass bestimmt alle hier gerne Hauptmann Detterling kennenlernen würden. Er war der einzige Junge in der Geschichte unserer Schule, der jemals in einem Spiel für die Schulmannschaft ein Double Century geholt hat.«
Detterling wirkte keineswegs wie ein ehemaliger Stern am Schülerhimmel. Er war zwar elegant gekleidet, hatte aber einen hageren Körperbau, eine ungesunde Gesichtsfarbe und einen missmutigen Zug um den Mund. Obwohl es ein warmer Abend war, befiel ihn mehrmals ein Zittern. Als ich seine Hand schüttelte, war diese ganz feucht.
»Ich muss Ihnen gratulieren«, sagte der Schulvorsteher mit unverhohlener Abneigung zu Constable, »zu Ihrer gerade erfolgten Berufung nach Lancaster. Wollen wir hoffen« – beißender Sarkasmus – »dass Sie die Dinge dort unverzüglich wieder zum Normalzustand zurückbefördern.«
»Man muss gerade jetzt nach vorne blicken und nicht zurück … Sie werden mich entschuldigen, meine Herren. Mein Zug fährt. Es war schön«, sagte Constable etwas zweifelhaft, »Sie zu treffen.«
»Ein Langweiler ist das!«, sagte der Schulvorsteher laut, bevor sich Constable kaum zehn Schritte entfernt hatte. »Es ist mir unbegreiflich, was man sich in Lancaster dabei denkt. Er ist noch nicht mal ein guter Ökonom. Wäre dem so, dann hätten die Verantwortlichen während des Krieges etwas Bedeutsameres für ihn gefunden, als ihn mit lauter Schwarzen rumrennen zu lassen.«
»Gurkhas«, sagte Hauptmann Detterling matt. »Die sind nicht im eigentlichen Sinne schwarz, wissen Sie.«
»Vielleicht«, sagte Peter, »wollte er seinen Teil zu den Kampfhandlungen beitragen. Er scheint ein gewissenhafter Mann zu sein.«
»Gewissenhaft?«, schnaubte der Schulvorsteher. »Der ist doch so rot wie Detterlings lächerliche Hose.«
»Ich bitte Sie, Sir!«
»Nach vorne blicken statt zurück, also wirklich! Bevor wir uns versehen, wird er das College in ein Institut verwandelt haben. Er wird eine Cafeteria im traditionellen Speisesaal unterbringen, er wird die Portweinvorräte verkaufen, um von dem Geld Stipendien für die Söhne von Müllmännern zu finanzieren, und auf dem Rasen im Eingangsbereich wird er Kohl anbauen.«
»Zufällig entstammt er einer sehr guten Familie«, meinte Somerset Lloyd-James. »Sie vererben seit langem den Titel des Konstablers und Bannerherrn von Schloss Reculver – daher auch der Name.«
»Das wird Gray hier sicher trösten, wenn sein College dann in eine Abendschule umgewandelt ist.«
Der Schulvorsteher rauschte davon und Detterling trottete hinter ihm her. Peter, Somerset und ich gingen langsam die Stufen zum Cricketfeld hinunter und dann in Richtung des gemähten Bereichs in der Mitte des Feldes. Die Menschenmenge auf der Terrasse dünnte sich aus, und die Sonne stand schon tief.
»Der Direx«, sagte Peter nach einer