ich in die falsche Richtung fuhr. Dann wechselte er die Straßenseite und kam zu mir: „Was hast du vor? Wir wollten doch Kaffee trinken, oder habe ich etwas falsch verstanden?“ „Nein. Ich dachte nur, du kommst nicht mehr. Aber ich kann umdrehen.“ „Ja, bitte. Ich wurde leider aufgehalten.“ Nick schien nervös und aufgeregt zu sein. Nebeneinander fuhren wir ins nächste Café und stellten unsere Räder ab. Dort saßen wir uns gegenüber, tranken Espresso mit Blick auf die Alster und Nick erzählte mir von seinen beruflichen Herausforderungen. Ich schaute ihm die ganze Zeit tief in die Augen und spürte, dass mein Herz dauerhaft glühte. Dieses Gefühl war wunderschön. Meine Augen leuchteten verliebt und ich schmolz dahin. Nach einer Stunde musste Nick noch rasch einkaufen und ich begleitete ihn. Neben ihm zu gehen entspannte mich, als wäre es das Normalste auf der Welt. Unsere Energiefelder tauschten sich aus und ich spürte das
elektrische Kribbeln an der Oberfläche meiner Haut. Ich hatte das Gefühl, mit ihm zu verschmelzen. Kurz bevor er losmusste, fragte ich: „Darf ich dich kurz umarmen?“ Nick schaute erschrocken: „Natürlich.“ Dann öffnete er seine Arme und umarmte mich, als wäre ich eine heiße Herdplatte. Erschrocken schaute ich ihn an. „Ich schreibe dir!“, sagte er mit leiser Stimme, dann nahm er sein Fahrrad, verabschiedete sich und fuhr davon. Wie benebelt fuhr ich nach Hause, schmiss mein Fahrrad in den Garten und legte mich gleich daneben. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich auf dem Rasen lag. Zum Glück waren Marcel und die Kinder nicht zu Hause und konnten mich so nicht sehen. Ich lag regungslos auf dem Boden und starrte in den Himmel. Irgendwann kamen die Tränen und die Trauer. Mein Körper zitterte. Ich weinte, bis keine Tränen mehr kamen. Mein Zeitgefühl setzte vollkommen aus. Nick hatte – ohne es zu wollen – mir meine komplette Energie aus dem Körper gezogen und ich hatte es zugelassen. Am nächsten Morgen meldete er sich kurz und oberflächlich mit einer SMS. Ich antwortete ihm kühl und distanziert. Daraufhin schrieb er mir, dass er weinen würde, weil er mir in meine leuchtenden Augen geschaut hat und nicht wüsste, was er nun tun solle. Wieder kamen mir die Tränen und ich spürte seine Verzweiflung. Ich schrieb ihm, dass ich ihn gerne länger umarmt hätte, und er antwortete, dass er so etwas als verheirateter Mann nicht tun könnte. „Es wäre nur eine Umarmung gewesen, Nick! Meine Freunde umarmen mich herzlicher, als du es tust!“ Ich spürte, wie er am anderen Ende mit sich kämpfte. Eigentlich wollte er es auch: mich spüren. „Vielleicht kann ich lernen, dich zu umarmen wie eine Freundin. Ich werde mir Mühe geben.“ Nick wollte mich wiedersehen. Die folgenden Wochen trafen wir uns immer wieder spontan auf dem Markt. Der Zufall wollte es. Ich nannte es
Schicksal, weil Nick sich nicht offiziell mit mir verabreden wollte. Dafür gab er mir Zeichen, wann und wo er sein würde. Ich hatte es jedes Mal im Gefühl, dass wir uns sehen würden. Wie an diesem einen Samstag, als Marcel nicht zu Hause war. Meine Kinder weckte ich und sagte zu ihnen: „Ich hole kurz Brötchen vom Markt. Ihr könnt aber schon frühstücken, wenn ihr hungrig seid. Es ist alles da.“ Die Kinder freuten sich, weil sie außerhalb der Regel Fernsehen durften. Für mich war es wie ein Geschenk, Nick zu treffen. Bereits auf dem Weg zum Markt kreuzten sich unsere Wege. Wir fuhren nebeneinander, sagten kaum ein Wort und genossen das Gefühl der Vertrautheit. Als wir die Räder abstellten, umarmten wir uns zur Begrüßung und ich hielt ihn einfach etwas fest: „Geht doch.“ Mit einem Grinsen ließ ich ihn widerwillig los. So schlenderten wir wieder nebeneinanderher. Nick war etwas in Zeitdruck, weil er noch arbeiten musste und vorher mit seiner Familie frühstücken wollte. Also gingen wir zielgerichtet zu seinen Ständen und waren schließlich beim Fischhändler. Nick fragte nach einem Tintenfisch. Er wollte ihn grillen. Der Händler hielt den Tintenfisch hoch und ich stammelte: „Igitt. Wer soll das Teil zubereiten und auf den Grill legen?“ „Ich wollte das gerne mal ausprobieren. Keine Ahnung, ob das schmeckt. Wie macht man das?“ Der Händler erklärte die Zubereitung auf dem Grill, schaute zu mir und sagte: „Sie werden das schon hinbekommen. Sie haben schließlich eine junge Frau!“ Nick stammelte nur: „Ja.“ Spontan sahen wir uns an und mussten laut lachen. Auf dem Weg nach Hause hielten wir an einem kleinen Waldweg, bevor sich unsere Wege trennten. Nick berichtete mir, dass ihm Energie für die Arbeit fehlte. „Ich kann dich in nur wenigen Minuten aufladen. Gib mir deine Hand.“ „Du glaubst an so etwas?“ Er lächelte vergnügt und gab mir seine Hand. So standen wir gute fünf Minuten Händchen haltend im Wald und unterhielten uns. Seine Haut fühlte sich herrlich weich und warm an. Die Energie floss jedoch nicht sofort von mir zu ihm. Ich war auf einmal wie blockiert und schüchtern. „Konzentriere dich!“, sagte ich mir innerlich. Meinem Herzen befahl ich, reine Energie zu seinem Herzen zu schicken. Als diese Energie schließlich über meine Hände in seine Hand floss, hatte ich ständig das Gefühl, dass er mehrmals die Hand wegziehen wollte. „Noch nicht! Wir sind noch nicht fertig.“ Ich umklammerte seine Hand mit meinen Händen und hielt ihn fest. Es war Nick nicht unangenehm – nur irgendwie ungewohnt, weil wir uns so lange ohne Pause berührten. Als der Energiefluss schwächer wurde, ließ ich ihn wieder los. „Du bist spät dran. Fahr lieber.“ „Nein, ich habe noch ein paar Minuten Zeit, Karla.“ Wollte er nicht nach Hause? Mir war es recht. So standen wir weiter am Wegesrand und erzählten aus unserem Leben. Lächelnd verabschiedeten wir uns. Wir waren kaum getrennt, da setzte die Sehnsucht nach ihm wieder ein, aber die Erinnerung an diese kurzen und intensiven Momente blieb für die Ewigkeit. Nick schrieb mir später, dass es ihm gut ginge und dass er unser Treffen schön fand. Ich schwebte wieder wie auf Wolken durchs Leben. Die Zeit dazwischen wartete ich – auf Nachrichten oder das nächste Treffen. Es war wie eine Sucht. Ich wollte ihn unbedingt wiedersehen. Ein paar Mal trafen wir uns noch spontan, schicksalhaft und zufällig. Auch das waren kurze Momente, die intensiv und schön waren. Mehr Zeit hatten Nick und ich leider nicht.
Marcel unterstellte mir immer wieder eine Affäre mit Nick. Sein Verstand konnte nicht begreifen, dass diese Verbindung mich vorantrieb und mir die Lebensfreude zurückbrachte, die mir durch meine vergangenen Lebensereignisse verloren ging. Also spielte er weiter den Detektiv und verkroch sich im Keller, wenn ihm alles zu viel wurde. Die ganzen Jahre hatte Marcel mich auf Händen getragen. In dieser Zeit hätte er jeden Tag sein Leben für mich gegeben. Er hatte es immer nur gut mit mir gemeint, aber nun zweifelte er daran, ob er mich jemals gekannt hatte. Ich wurde ihm plötzlich fremd. Wir sprachen weniger miteinander, gingen uns abends aus dem Weg und ließen uns in Ruhe. Während ich Marcel immer fremder wurde, kamen Nick und ich uns näher – nur durch aufgeschriebene Gedanken. Nick vervollständigte mich. Für Nick jedoch fühlte sich diese Nähe nach ein paar Wochen wie ein Sog an. Anfangs ließ er sich gerne davon mitreißen, weil er spürte, dass es ihm so viel positive Energie für sein Leben schenkte. Er fühlte sich von mir begehrt und so angenommen, wie er war. Ich interessierte mich nicht für sein Geld, sondern nur für ihn als Mensch. Nick ließ alles fließen zwischen uns. Ohne Drang und ohne Zwang. „Ich denke sehr viel an dich, Karla. Du strahlst so viel Wärme, Positivität und Geborgenheit aus.“
Marcel spürte unseren Gedankenaustausch und reagierte noch eifersüchtiger und besitzergreifender. Als ich mein Äußeres veränderte und mich so schick anzog wie in alten Zeiten, sagte er mit abschätzenden Worten. „Die Stiefel sehen streng aus bei dir. Turnschuhe finde ich schöner. Und wozu brauchst du Spitzenunterwäsche? Die hast du doch sonst nie getragen!“ Er war unsicher, weil er zu diesem Zeitpunkt glaubte, ich täte das nicht für mich, sondern für meine Affäre Nick. An manchen Tagen gab Marcel zu: „Du siehst toll aus. Schade, dass du das nicht für mich tust.“ Er hatte schreckliche Angst, mich zu verlieren. Wenn ich abends spät von der Arbeit heimkam, schaute er mich eindringlich an. Marcel sprach nicht aus, was er dachte, aber ich kannte ihn sehr gut. Innerlich war er kurz vorm Platzen. Jeder Außenstehende konnte ihn verstehen. Doch ich wünschte mir so sehr, dass er über seinen eigenen Schatten springen und das Positive in dieser Situation sehen würde: Seine Frau, die ehrlich zu ihm ist und sich für ihn, sich selbst und den Rest der Welt schön machte. Ich ging unbeirrt meinen Weg weiter. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich selbstbewusst. Von meinen Freunden und auch von Nick bekam ich während dieser Entwicklungsschritte viele schöne Komplimente.
Dann kam der große Einschnitt in meinem Leben: „Schluss. Aus! So geht das nicht!“ Ich stand vor meiner Familie und war wieder den Tränen nahe. Unsere Tochter Maya beleidigte mich in einer Tour. Mittlerweile waren anderthalb Jahre seit der ersten Begegnung mit Nick vergangen. In einer ruhigen Minute nahm ich sie zur Seite. Maya weinte und erzählte mir, dass Marcel in letzter Zeit oft zu ihr sagte: „Mama hat einen neuen Freund.“ Ich war schockiert und verletzt, weil die Kinder unter uns litten.