Herzen fühlen. Sandra Cammann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Cammann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783864102400
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würde, endete meine Qual. Die Frage, ob es Liebe war, erübrigte sich schnell. Wenn ich heute an Tom denke, empfinde ich rein gar nichts. Weder Liebe, noch Mitleid, noch Reue. Es war ein harter Weg, den ich gehen musste, um zu erkennen, dass ich mich definitiv in einer Sackgassenbeziehung befand.

      Eines Nachts – kurz vor Ostern – träumte ich von meiner Oma. Sie verabschiedete sich von mir, weil sie starb. Ein letztes Mal nahm sie mich in die Arme und wir hielten uns fest. Im Hintergrund sah ich, wie die anderen Familienmitglieder sich um das Erbe stritten, und ich wurde wütend: „Oma, sie streiten und du stirbst. Keiner interessiert sich für dich!“ Meine Oma sah mich an und sagte: „Das ist mir egal, Liebes. Ich muss dir jetzt etwas Wichtiges mitteilen: Verlerne niemals zu lachen!“ Dann gab sie mir ein selbstgemaltes Bild mit Schmetterlingen und ging fort. Die Schmetterlinge waren wunderschön. Die Symbolik, die sich dahinter verbarg, verstand ich jedoch erst viele Jahre später: Sie teilte mir mit, dass ich mich irgendwann transformieren würde – von der Raupe zum Schmetterling. Verwirrt wachte ich damals aus diesem Traum auf. Wenige Stunden später rief mich mein Vater an. Er weinte am Telefon und sagte: „Deine Oma ist heute Nacht gestorben.“ Geschockt ließ ich den Hörer vom Ohr sinken. Meine erste Vision hatte sich bewahrheitet. Ein paar Monate später starb der Verlobte meiner besten Freundin. 2000 Kilometer von uns entfernt. Ich sah vor meinem Geist, wie er auf ein Bettlaken schrieb, dass er noch nicht sterben wollte. Er war gerade erst 23 Jahre alt und wurde von einem Insekt während einer Wanderung in den Bergen gestochen. Die Infektion tötete ihn. Angstgefühle kamen in mir hoch und ich versuchte, weitere Visionen zu verdrängen. Ich wollte keine Menschen mehr sterben sehen. Mit dieser Verdrängung lebte ich fortan dreidimensional aus meinem Verstand heraus und unterdrückte meine Intuition oder nahm sie einfach nicht wahr.

      Nach der Beziehung mit Tom ging ich immer mal wieder mit Männern aus, aber es entwickelte sich zunächst nichts. Bis ich kurz vor meinem 25. Geburtstag Baza gegenüberstand. Er kam aus Kurdistan und war vor vielen Jahren als Achtjähriger mit der Familie seines Bruders nach Deutschland geflüchtet. Baza studierte in Hamburg Sport auf Lehramt. Wir arbeiteten damals zusammen in einem Sportverein. In den Abendstunden unterrichtete ich Yoga und Baza betreute Mitglieder an den Trainingsgeräten. Von Anfang an hatte dieser Mann mich fasziniert. Vielleicht war es die Gefahr und Mystik, die er ausstrahlte. Wir verabredeten uns und lachten den ganzen Abend. An diesem Abend spürten wir sofort, dass wir uns wie Magnete anzogen. Kurz darauf fuhr ich in den Urlaub nach Italien und starrte ständig auf mein mobiles Telefon, in der Hoffnung, dass wieder eine SMS von Baza kam. Meine ganze Aufmerksamkeit galt ihm, während ich an diesem wundervollen weißen Sandstrand lag. Ich verpasste den gesamten Urlaub und war nicht bei mir. Als ich wieder zu Hause war, trafen wir uns noch am selben Abend. Wir schliefen miteinander und begehrten uns, wie ich es noch nie zuvor gespürt hatte.

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      Doch ich spürte auch, dass diese Verbindung zu Baza sehr gefährlich und nicht ehrlich war. In unserer ersten Nacht, die wir gemeinsam verbrachten, schliefen wir mehrmals miteinander. Baza schien genau zu wissen, wo er mich anfassen musste, um mich besinnungslos glücklich zu machen. Es war das erste Mal, dass ich multiple Höhepunkte erlebte. Die Entspannung danach führte mich in einen Trancezustand. Plötzlich kamen Bilder in meinen Kopf: Drei Männer standen um mich herum. Sie waren komplett verschleiert und sprachen kurdisch. Sie befahlen dem Mann in der Mitte, mich mit einem Schnitt durch die Kehle zu töten. Er schaute mir mit einem traurigen kalten Blick in die Augen, legte das Messer an meine Kehle und tötete mich. Dieser Mann in der Mitte war Baza, der nun im Bett neben mir lag und friedlich einschlief.

      Mir lief es kalt den Rücken herunter. Für einen Moment hatte ich Angst vor ihm. Warum hatte ich diese Situation gesehen? Konnte diese Liebe mich wirklich in Gefahr bringen? Ich blendete diese Gedanken schnell wieder aus. Es war schön, mit Baza intim zu sein und mit ihm Zeit zu verbringen. Wir waren die nächsten Wochen unzertrennlich, flogen auf die Kanaren, gingen ins Kino, trieben Sport oder trafen uns mit lieben Freunden. Wir hatten gleiche Interessen und waren unzertrennlich. Jeden Tag verbrachten wir Zeit miteinander, umarmten uns, hielten uns an den Händen oder schliefen miteinander. Abends wurde Baza immer emotional und erzählte mir Ereignisse aus seinem Leben. Er berichtete von seinem Bruder, der ihn wie ein Vater großgezogen hatte. Doch dann wurde sein Bruder von einer anderen Familie getötet – es ging um Geld. Die Familie seines Bruders verlangte von ihm, dass er den Mord rächen solle, weil er der einzige Mann in der Familie war, der keine Frau und Kinder hatte. Traurig erzählte er mir, dass er sich eine Zukunft mit mir wünschte und nun diese Tat anzweifelte. Ich hoffte, dass unsere Liebe stärker sein würde als der Hass. Sie war es nicht. In den folgenden Wochen und Monaten veränderte sich etwas zwischen uns. Baza wollte, dass ich abends in meinen Yogastunden meinen Kopf und Körper mehr bedecken sollte. Er erzählte jedem, dass ich ihm gehörte. Als er mich fragte, ob ich ihn heiraten würde, damit er die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen würde, schrie etwas in mir auf. Ich stellte mir vor, wie wir verheiratet sein würden, Kinder bekämen und Baza mich wie sein Eigentum behandeln würde. Es machte mir Angst. Ich zögerte eine Antwort hinaus und er fragte mich zum Glück nicht mehr danach, weil er kurz darauf die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt. Sein Studium ging in die Endphase und er begann seine Examensarbeit zu schreiben. Sein Thema hatte mit seiner Religion zu tun.

      Aus heiterem Himmel trennte er sich von mir, nachdem wir sechs Monate nach unserem ersten Treffen immer noch wie Frischverliebte durchs Leben liefen. Baza teilte mir mit, dass er seine Cousine heiraten würde und dass diese Verbindung von Anfang an festgestanden hätte. Er zeigte mir sein zweites Gesicht und ich sah zum ersten Mal die kalten Augen, die mir bereits in der Vision begegnet waren. Fassungslos stand ich vor ihm. Tränen liefen aus meinen Augen: „Warum? Ich liebe dich. Das kann doch nicht alles von heute auf morgen weg sein?!“ „Du bist wunderschön, wenn du weinst.“ Er schaute mir tief in die Augen und küsste mich. „Baza, hör auf damit. Du willst deine Cousine heiraten? Dann hör auf, mich zu küssen, hör auf, mit mir zu schlafen. Du kannst uns nicht beide haben.“ Ich wurde wütend und schrie ihn an: „War denn alles eine Lüge? Du hast die ganze Zeit gewusst, dass du sie heiraten würdest, und erzählst mir, dass du dir eine Zukunft mit mir wünschst?“ „Karla, du bist eine Deutsche. Sei nicht so naiv. Ich komme aus einer anderen Welt. Es war schön mit dir, aber meine Familie würde dich töten, wenn sie von dir wüsste.“

      In meiner Wut verließ ich die Wohngemeinschaft. Stundenlang lief ich orientierungslos durch den Wald, bis ich zusammenbrach und mich an einen Baum lehnte. Dort weinte ich, bis keine Tränen mehr kamen. Meine Vision bewahrheitete sich – nur anders, als ich es zuvor gesehen hatte. Kurz nachdem Baza sich von mir trennte, übte er die Bluttat aus Rache für seine Familie aus. Er erschoss einen Menschen aus seinem Kulturkreis, verkleidet als Postbote vor den Augen von Erwachsenen und Kindern. Die Tat hatte Baza viele Jahre lang geplant. Auf meinen Schultern lastete ein übergroßer Rucksack. Zentnerschwer, weil ein Mensch sterben musste. Wieder war ich am Boden zerstört, bekam Schuldgefühle und fragte mich, ob ich es hätte verhindern können. Und wieder kam mir in den Sinn: „War es wirklich Liebe, die uns verband? Oder war es einfach Leidenschaft? Ist Leidenschaft nur das, was Leiden schafft? Wo ist sie nur, die Liebe? Wo finde ich diesen einen Menschen, der mich komplett macht und mit dem ich gemeinsam die Welt retten kann?“ Das Schlimmste war jedoch, dass ich Baza hörig war und zu ihm zurückgekommen wäre, wenn er es gewollt hätte. Ich dachte ernsthaft, ich würde ihn lieben, und war abhängig von diesem Gefühl, das uns beide verband. Die Vision, die ich anfangs hatte, wurde zu einer symbolischen Realität. Er tötete mich – innerlich. Mein Herz fiel in zwei Hälften und hörte auf zu schlagen. Ich wollte auf der Stelle sterben. Meine Seele verließ meinen Körper. Knapp zwei Jahre meines Lebens habe ich versucht, die Ereignisse zu verarbeiten. Ich sah keinen Sinn mehr im Leben. Die Stunden und Tage verliefen wie in einem Albtraum und ich konnte daraus nicht aufwachen. Meinen Job als Kauffrau kündigte ich. Dann schrieb ich mich an der Uni ein und studierte BWL, um mich später selbstständig zu machen. Außerdem wollte ich mich ablenken und einen kompletten Neuanfang wagen. Nun saß ich im Hörsaal, aber die Worte der Dozenten drangen oft nicht zu mir durch. Meine Gedanken waren bei Baza und dem Leid, das ich fühlte. Schließlich kam die erste Studentenparty. An diesem Abend zog ich es vor zu arbeiten, anstatt zu feiern. Die ganzen fünf Jahre, die ich studierte, habe ich mich um Partys und fröhliche Menschen gedrückt. Ich