Als Teenager purzelten die Hormone auf und ab – genau wie meine Stimmung. Körperlich und psychisch wurde ich stark gefordert. Bei einem Blick in den Spiegel sah ich ein kleines dickes Mädchen mit Pickeln im Gesicht. Drei lange Jahre nach meinem ersten Kontakt mit dem männlichen Geschlecht hatte ich keinen festen Freund, weil ich dachte, dass sich kein Junge für so ein hässliches Mädchen wie mich interessieren würde. Meine Eigenwahrnehmung war gestört. Heute sehe ich auf alten Fotos ein hübsches Mädchen, das melancholisch in die Kamera blickte. Liebe fehlte mir wie Nahrung. Meine Familie liebt mich sehr, aber nicht die anderen Menschen, mit denen ich täglich zu tun hatte.
Erst mit 19 Jahren begegnete ich einem zwei Jahre älteren jungen Mann, der auch mich anziehend fand. Er arbeitete in einem Pizzaladen und ich bewarb mich dort um einen Job. In der Probezeit wies Heiko mich in die Abläufe des Ladens ein. Ich hatte meinen Führerschein erst seit einem Jahr und fuhr immer nach Vorschrift, aber leider kamen dadurch die Pizzen zum Teil kalt bei den Kunden an. Heiko sorgte dafür, dass mir der Chef schnell kündigte: „Karla, du bist so langsam, dass sich die Kunden beschweren. Wir halten uns nicht an die Verkehrsregeln. Du musst Gas geben, wenn du Pizzen auslieferst. Tut mir leid, aber der Chef sagt, dass das mit dir keinen Sinn macht.“ Dann fragte er mich nach einem Date. „Puh! Du kündigst mir, weil ich mich an die Verkehrsregeln halte? Und jetzt willst du auch noch mit mir ausgehen?“ Sein Verhalten war mir befremdlich, aber meine Tränen trockneten schnell. Ich ließ mich auf das Date ein. Mit Heiko feierte ich ganze Nächte durch oder trieb mich in Spielkasinos herum. Was zunächst locker und leicht erschien, wurde zu einer schweren Bürde: Heiko war süchtig nach dem Glücksspiel. Er schaute wie paralysiert auf das Roulette und ließ Hunderte Euro im Kasino. Danach versuchte er sein großes Glück am einarmigen Banditen – und verlor. „Können wir jetzt nach Hause gehen?“ Ich war müde und gelangweilt von seiner Sucht. „Nein. Ich muss es noch einmal versuchen. Beim nächsten Mal klappt es. Bestimmt!“ Er verschuldete sich haushoch und ich konnte nur zusehen, wie er daran kaputtging.
Nach ein paar Monaten wollten wir gemeinsam Urlaub machen. Wir fuhren zum Oktoberfest nach München. Dort angekommen, verbrachten wir unsere Zeit am Schießstand, wo Heiko mir etliche Papierrosen schoss. Nach einiger Zeit drehte er sich zu mir um und sagte: „Karla, kannst du mir Geld leihen? Meins ist alle.“ Eigentlich brauchten wir noch Geld für die Heimfahrt. Wir konnten uns nicht einmal mehr eine Jugendherberge leisten und übernachteten im Auto. Ich log ihn an: „Nein. Ich habe nur noch einen Zehner. Wir sollten davon etwas zu essen kaufen.“ Schnell griff er nach meinem Portemonnaie, nahm das Geld und verschoss es. Ich wurde still und fühlte mich unwohl. Als wir einen Tag später an der Tanksäule standen und ich Geld fürs Benzin aus einer anderen Tasche hervorholte, wurde er sauer, weil ich ihn angelogen hatte. So vergingen Wochen und Tage. Ich versteckte mein Geld vor ihm und er belog mich, wo er nur konnte. So belogen wir uns gegenseitig. Auch mein erstes Mal mit ihm war ein Desaster. Eigentlich war ich noch nicht so weit, aber nach zwei Monaten wollte Heiko nicht mehr warten. Wir hatten mal wieder durchgemacht und ich war sehr müde. Er überredete und bedrängte mich in dieser Nacht, die nicht von Zärtlichkeiten oder Romantik geprägt war. Es war einfach nur schmerzhaft. Jedes weitere Mal, wenn Heiko mit mir schlief, hatte ich Schmerzen, die hinterher tagelang andauerten. Meine Gynäkologin fand schnell eine Antwort auf meine Fragen: „Karla, wenn du nicht feucht wirst, dann ist das nicht der richtige Partner für dich.“ Geschockt sah ich sie an, aber sie hatte es mit einem Satz auf den Punkt gebracht. Erst als Heiko an Silvester eine andere Frau vor meinen Augen küsste, nahm ich meine Sachen und ging auf der Stelle fort, ohne mich jemals wieder umzudrehen. Heikos Mutter lief mir weinend hinterher und flehte mich an, nicht zu gehen. Ich schüttelte nur den Kopf und sah sie traurig an. Mein Selbstwert meldete sich und mir wurde bewusst, dass ich meine kostbare Zeit nicht weiter mit diesem Mann teilen wollte.
Nach dieser ersten Partnerschaft hatte ich Angst, allein zu sein. Ich suchte weiter nach meiner großen Liebe und stürzte mich wenige Wochen später gleich wieder in die nächste Problembeziehung. Auch diesen Mann lernte ich bei einem Aushilfsjob kennen. Nach meiner Ausbildung arbeitete ich ein paar Monate im Akkord in einer großen Bekleidungsfabrik. Meine Aufgabe bestand darin, Pullover nach Aufträgen in einen Wagen zu legen, der zum Schluss auf eine Schiene gehoben werden sollte, damit er eigenständig vom Lager zum Versand fahren konnte. Immer wenn ich mit meinen kurzen und dünnen Armen den schweren Wagen auf die Schiene heben wollte, war Tom zur Stelle und half mir heimlich. Seine Art, mich zu unterstützen, fand ich sehr charmant. Nach der Arbeit redeten wir oft noch ein paar Minuten miteinander. Unser Chef sah den Flirt zwischen uns nicht gern. Deswegen versetzte er Tom in eine andere Abteilung. Wir trafen uns privat in einem Park und redeten stundenlang, bis unsere Körper schließlich zueinanderfanden. Unser erster Kuss schmeckte nach Aschenbecher mit Kaugummi. Tom war Kettenraucher und Alkoholiker. Das Kribbeln in Herz und Bauch verschwand so schnell, dass ich es kaum bemerkte. Anfangs war ich auch skeptisch, weil er sieben Jahre älter war als ich. Doch dann war der Altersunterschied reizvoll für mich. Ich dachte, dass ein älterer Mann eine gewisse Reife hätte und mir nicht wehtun würde. Er war so erwachsen und ernst – das komplette Gegenteil von mir. Nach dem Aushilfsjob in der Bekleidungsfabrik bewarb er sich als Immobilienmakler und hoffte auf das ganz große Geld. Durch seinen überschwänglichen Lebensstil verschuldete er sich jedoch haushoch und ich durfte diesen Prozess miterleben. Seine Wohnung stattete er mit teuren Ledersesseln aus. Tom trug plötzlich schicke Klamotten und kaufte sich einen Sportwagen. Jedes Mal, bevor ich in sein neues Auto einsteigen wollte, kam er angerannt, riss mir die Tür auf und machte einen Knicks. Anfangs schaute ich irritiert, dann fand ich es ganz nett und wenig später nervte mich seine überdrehte Art. Für andere schien Tom ein erfolgreicher Mann zu sein, der mitten im Leben stand. Doch in seinem Wesenskern war er sehr zerbrechlich. Tom brauchte mich, weil er sich von seiner Mutter nie geliebt gefühlt hatte. Auch er suchte verzweifelt nach Liebe, trug dabei allerdings eine schreckliche Wut in sich. Einmal, als Tom sauer auf mich war, nahm er einen Topf mit Tomatensoße vom Herd und schleuderte ihn durch die ganze Wohnung. Ich war im ersten Moment schockiert, im zweiten glücklich, dass die Soße nicht mich getroffen hatte, und im dritten Moment habe ich daran gedacht, wie ich die Sauerei beseitigen könnte. Ein paar Tage später nahm ich Pinsel und Farbe und strich die Wohnung neu. Ich hatte nicht die Kraft zu gehen – noch nicht.
Ein paar Tage nach diesem Vorfall fuhren Tom und ich von einem Möbelladen außerhalb der Stadt mit dem Auto nach Hause. Tom wurde mal wieder von einer Sekunde auf die nächste wütend, weil ich ihm erklärte, dass er Dinge verkaufen müsse, um von seinen Steuerschulden herunterzukommen. Tom stoppte das Auto, öffnete meine Tür und forderte mich auf, auszusteigen. Ich stieg aus, wanderte im Regen ein paar Kilometer bis zu seiner Wohnung, in der er bereits wartete und mich keines Blickes würdigte. Lautlos schnappte ich meine Sachen und fuhr mit dem Rad nach Hause.
Nach sechs Jahren kranker Beziehung war Tom trocken, rauchte nicht mehr, hatte 30 Kilogramm Körperfett in Muskeln umgewandelt und war schuldenfrei. Eigentlich das, was ich mit meiner aufgedrängten Hilfe erreichen wollte. Doch meine Kräfte waren am Ende angelangt. Dieser Energievampir hatte mich komplett ausgesaugt. Ich wollte nur noch meine Ruhe haben. Daraufhin stalkte Tom mich. Plötzlich stand er auf meiner Terrasse und rief durch die Scheibe: „Ich vermisse dich. Komm zurück zu mir.“ Dabei hielt er einen Blumenstrauß in der Hand. Ich zitterte mit einer Mischung aus Wut und Angst: „Hau ab! Ich will dich nie wieder sehen.“ Tom hatte mich verstanden. Die nächsten Jahre