»Oh, da mache ich mir keine Sorgen.« Unbekümmert winkte Jenny ab und drehte sich nach Lenni um, die mit einer Platte ins Esszimmer kam. »Die Ergotherapeutin Silvie Riemerschmidt wird ihm schon zeigen, wo der Hammer hängt.«
Mit hungrigen Augen bestaunte sie den mit Kräutern gefüllten Schweinebraten im Brotteig, den Tatjana und Lenni gemeinsam kreiert hatten.
Der unwiderstehliche Duft zog alle Aufmerksamkeit auf sich.
»Ich sehe schon, meine Hoffnungen werden nicht enttäuscht«, seufzte Roman zufrieden. »Hast du nicht noch ein paar Geschäfte, die ich auf Vordermann bringen kann, damit ich öfter in diesen Genuss komme?«, scherzte er in Tatjanas Richtung.
Die strahlte von einem Ohr zum anderen. Seit die Bäckerei in ihren Besitz übergegangen war, hatten sich zumindest ihre größten Sorgen und Probleme in Luft aufgelöst.
»Bis wir mit meinem Café fertig sind, werden wir deine Hilfe sicher noch oft brauchen, und du wirst somit noch manches Festmahl bekommen«, unkte sie und schnitt den Braten auf, um ihn an die hungrigen Gäste zu verteilen.
Die ersten Minuten der Mahlzeit verliefen in genussvollem Schweigen.
»Erstklassig«, erklärte der Architekt nach den ersten Bissen begeistert.
»Falls dir Backen irgendwann mal zu langweilig ist, kannst du mit Lenni ja ein Restaurant aufmachen«, empfahl Jenny und steckte ein weiteres Stück Braten in den Mund.
Während sie kaute, verdrehte sie verzückt die Augen.
»Im Augenblick sieht es eher danach aus, als ob ich noch nicht mal mit der Bäckerei fertig werden würde«, erwiderte Tatjana und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. »Leider hat Lenni noch keine Zeit, um mir ab und zu unter die Arme zu greifen. Ich hab sie schon gefragt.« Sie beugte sich tief über den Teller, damit sie weder in Daniels noch in Fees Gesicht sehen musste.
Doch die erwartete Standpauke blieb aus, und der Arzt lachte gutmütig.
»Am Ende muss ich Lenni noch einen Treuebonus bezahlen, damit sie diesem verlockenden Angebot widersteht«, scherzte er, während Fee einen ganz anderen Gedanken verfolgte.
»Hast du wirklich so viel mehr Arbeit jetzt?«, erkundigte sie sich interessiert bei ihrer Schwiegertochter in spe.
»Und ob. Durch die Aktion im Internet hat sich unser Bekanntheitsgrad quasi über Nacht vervielfacht«, berichtete Tatjana freimütig. »Manchmal stehen die Kunden schon Schlange, wenn ich morgens die Tür aufschließe.«
»Auf der einen Seite ist das natürlich ein riesiger Vorteil«, erläuterte Danny und nahm sich noch eine Scheibe von dem köstlichen Braten, zu dem Lenni einen bunten Salat reichte. »Alle wollen jetzt Tatjanas Leckereien probieren. Vor allen Dingen die Süßigkeiten finden reißenden Absatz.«
»Andererseits gehen mir in letzter Zeit immer wieder schon vormittags die Waren aus. Ganz zu schweigen von Aufträgen wie Kuchen und Torten, die ich gar nicht annehmen kann«, seufzte die junge Bäckerin, und allmählich verschwand das Strahlen aus ihrem Gesicht. »Das ist auch nicht gut fürs Geschäft.«
»Ich glaube, für dieses Problem habe ich eine Lösung«, verkündete Fee und legte ihr Besteck beiseite.
Während sie aufmerksam zugehört hatte, war ihr etwas eingefallen.
»Wirklich?« Nicht nur Tatjana sah sie überrascht an.
»Erinnerst du dich an Marianne Hasselt?«, machte Felicitas kein Geheimnis aus ihrer Idee.
»Du meinst die alleinerziehende Mutter, für die wir neulich das Gartenfest organisiert haben?«
Auch Jenny wusste, von wem die Rede war. Sie drehte sich zu Roman um. »Frau Hasselts Sohn wurde bei einem Eishockeyspiel brutal zusammengeschlagen«, erklärte sie ihm den Sachverhalt. Er war auf einer Geschäftsreise gewesen, als das Fest stattgefunden hatte. »Tobias wurde mit Erfolg bei uns in der Klinik operiert. Da er erst vor kurzem seinen Vater verloren hat, wollten die Nordens den beiden eine Freude machen.«
»Ich bin sicher, dass der Plan gelungen ist.« Zu gut erinnerte sich Roman an die legendären Feste der Familie Norden.
»Ja, es war wirklich sehr schön«, bestätigte Fee denn auch mit glänzenden Augen.
Daniel, der seine Frau beobachtete, konnte sich angesichts ihres Eifers ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er wusste, worauf sie hinaus wollte.
»Frau Hasselt ist Konditormeisterin und auf der Suche nach einem Job. Das hat sie mir zumindest auf dem Fest erzählt, als sie deine Quark-Limonen-Schnitten gekostet hat«, berichtete sie Tatjana das, was sie ganz vergessen hatte. »Sie war restlos begeistert und meinte, sie würde was drum geben, wenn sie wieder ein paar Stunden arbeiten könnte. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie ihren Job verloren und bisher nicht die Kraft gehabt, sich einen neuen zu suchen.«
Fees Aufregung war ansteckend, und Tatjana begann, unruhig auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen.
»Wirklich? Das klingt ja zu schön, um wahr zu sein«, geriet sie unvermittelt ins Schwärmen. »Zu dumm, dass ich keine Gelegenheit hatte, mich mit ihr zu unterhalten.«
»Das lässt sich ja glücklicherweise ganz leicht nachholen«, erklärte Daniel Norden und kratzte die letzten Reste von seinem Teller, ehe er das Besteck zur Seite legte.
Auch er hatte seine Mahlzeit inzwischen beendet und lehnte sich zurück.
Alle sahen satt und zufrieden aus. Bis auf Roman Kürschner. Der hatte das Gespräch mit gerunzelter Stirn verfolgt.
»Hmm, wenn du jetzt schon solche Probleme hast, deine Kundschaft zufrieden zu stellen … wie soll das dann erst während des Umbaus werden?«, stellte er eine berechtigte Frage und dankte Lenni, die die Teller abräumte, um Platz für den Nachtisch zu schaffen. »Du weißt ja, dass das Geschäft ein paar Wochen lang nur eingeschränkt laufen kann.«
»Darüber hab ich mir auch schon Gedanken gemacht«, gestand Tatjana besorgt. »Die Öfen können ja auch während des Umbaus weiterarbeiten. Aber wie das mit dem Verkauf klappen soll, wenn ich keine Theke mehr habe … Dafür ist mir bis jetzt noch keine Lösung eingefallen.«
Nachdenkliches Schweigen senkte sich über den Tisch.
»Vielleicht ist es doch ein Fehler, alles auf einmal zu machen«, brach Danny die fast gespenstische Stille endlich.
Doch davon wollte seine Freundin nichts wissen.
»Das Problem wird immer das gleiche sein«, warf Tatjana ein, und Jenny nickte.
»Wo sie recht hat, hat sie recht. Ein Umbau kommt nie zur passenden Zeit«, wusste sie aus eigener Erfahrung zu berichten.
Auch in der Klinik gab es immer wieder etwas zu renovieren. Wände mussten neu gestrichen, Zimmer modernisiert und Geräte ersetzt werden. Von diesen Unannehmlichkeiten konnte die Klinikchefin ein Lied singen, und sie wollte eben eine lustige Geschichte zum Besten geben, als Lenni in diesem Augenblick mit der Nachspeise hereinkam.
Hauchdünne Pfannkuchen, in Frankreich Crêpes genannt, hatte sie in einer Mischung aus Orangensaft und Grand Manier zunächst mariniert und dann flambiert. Dazu reichte sie zartgelbes Bourbon-Vanilleeis.
»Ich glaube, über dieses Problem müssen wir uns ein andermal unterhalten«, seufzte sogar Tatjana ergeben, als Lenni ihr einen Crêpe auf den Teller legte.
Der verführerische Duft benebelte die Sinne der jungen Bäckerin, und sie konnte sich nur noch auf den Teller vor sich konzentrieren.
»Das macht nichts. Rom ist schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden«, gab Roman ihr recht und machte sich wie alle anderen auch über die herrliche Nachspeise her, die keine Wünsche offen ließ.
Der Abend war noch jung, und im Kreise der gut gelaunten, optimistischen Familie war sich der Architekt sicher, gemeinsam eine kreative Lösung für alle Probleme zu finden, die noch auf die junge Bäckerin zukommen mochten.