Der Spiegel hat – selten genug – damals eine recht gute Analyse veröffentlicht, in der man lesen konnte:94
„Präsident Donald Trump, Außenminister Pompeo und ihre Berater schalten in den Krisenmodus: Schritt für Schritt scheinen die USA auf eine weitere Eskalation des Konflikts mit Iran zuzusteuern. Sogar eine direkte militärische Auseinandersetzung ist nicht mehr ausgeschlossen. Es ist ein brandgefährliches Pokerspiel: Mit immer schärferer Rhetorik und immer härteren Sanktionen will Washington dem Regime in Teheran seinen Willen aufzwingen.“
Das war völlig korrekt. Und es schien, dass der Apparat in Washington dort eine Konfrontation riskieren wollte, die Trump in eine Lage hätte bringen können, in der er keine Wahl gehabt hätte, als mit Militärschlägen oder sogar einem Krieg zu reagieren, wenn er nicht sein Gesicht verlieren wollte.
Der Spiegel erwähnte den Machtkampf hinter den Kulissen in Washington zwar nicht explizit, man konnte aber auch im Spiegel zwischen den Zeilen davon etwas lesen:
„Die Amerikaner lassen keinen Zweifel daran, dass sie im Falle eines Angriffs auf US-Einrichtungen in der Region sofort mit einem Vergeltungsschlag reagieren würden. Daraus könnte sich innerhalb kürzester Zeit ein Krieg entwickeln. Vor allem der Sicherheitsberater im Weißen Haus, John Bolton, gilt seit Langem als Anhänger einer besonders harten Linie gegenüber dem Regime in Teheran. Ihm ist zuzutrauen, dass er wohl vor einem Waffengang nicht zurückschrecken würde. Ob am Ende auch sein Chef Donald Trump zu einem Großkonflikt bereit wäre, darf bezweifelt werden.“
Die Forderungen der USA an den Iran, die der Spiegel zitierte, waren und sind für das Land allerdings unerfüllbar:
„Der Forderungskatalog der Amerikaner ist lang: Iran soll nicht nur sofort die massive Einmischung in regionale Konflikte wie im Jemen oder in Syrien beenden, sondern auch der Entwicklung von ballistischen Raketensystemen abschwören. Ziel sei es, dass sich Iran endlich wie eine ‚normale Nation‘ verhalte, sagt Pompeo.“
Der Iran sollte sich also überall dort zurückziehen, wo die USA, die Saudis und Israel eine anti-iranische Politik machen, Kriege führen und anti-iranische Kräfte unterstützen. Gleichzeitig sollte der Iran vollständig abrüsten. Dem kann und konnte der Iran schon mit Blick auf seine eigene Sicherheit nicht zustimmen, wenn die USA gleichzeitig in der Region aufgerüstet haben.
In dieser Gemengelage hätten die Falken in Washington nur noch einen Zwischenfall benötigt, um Trump in den Krieg zu zwingen.
Und wie auf Bestellung kam es zu solchen Zwischenfällen. Ausgerechnet Anfang Mai, als die Kriegsgefahr groß war, soll der Iran Tanker angegriffen haben, was er in den 40 Jahren zuvor nie getan hatte.
Es ging um vier Tanker, die angeblich Opfer von Sabotageakten geworden sein sollen. Die Schäden waren minimal. Aber sie waren der Grund für eine mediale Hysterie.
Nachdem sich Trump dadurch aber nicht zu einem Schlag gegen den Iran bewegen ließ, gab es schon eine Woche später, am 15. Mai, den nächsten Zwischenfall.
Die Huthi-Rebellen aus dem Jemen, wo Saudi-Arabien einen blutigen Krieg führt, haben als Vergeltung für die ungezählten Bombardierungen durch die Saudis auf ihre Gebiete mit tausenden toten Zivilisten eine saudische Ölpumpstation mit Drohnen angegriffen. Dabei gab es ein Feuer, Sachschaden und eine vorübergehende Unterbrechung des Öltransportes. Als Reaktion darauf bombardierte wiederum Saudi-Arabien die Hauptstadt Sanaa. Dabei wurde auch ein Wohngebiet getroffen und es gab mindestens sechs tote und 52 verletzte Zivilisten.
Weltpolitische Bedeutung bekam der Vorfall, weil die Saudis den Iran beschuldigten, den Drohnenangriff angeordnet zu haben.
Bei dieser Gelegenheit konnte man in einem anderen Spiegel-Artikel verklausuliert lesen, dass in Washington ein Machtkampf um einen Krieg mit dem Iran tobte:95
„Doch offenbar gehen im Weißen Haus, im Pentagon, bei der CIA und bei den Verbündeten der Vereinigten Staaten die Meinungen darüber auseinander, wie ernst die Bedrohungslage tatsächlich ist und was Iran wirklich plant. Donald Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Mike Pompeo bewerten die Geheimdiensterkenntnisse demnach so, dass Iran Angriffe auf US-Einrichtungen plane. Andere hochrangige Regierungsbeamte, Abgeordnete von Republikanern und Demokraten im US-Kongress und europäische Bündnispartner ordnen die Geheimdienstinformationen offenbar anders ein: Sie sehen darin defensive Schritte des Regimes in Teheran angesichts von Provokationen aus Washington. Auch Trump selbst soll laut ‚Washington Post‘ eher zur Zurückhaltung mahnen. Er fürchte demnach, von Bolton und Pompeo in eine militärische Konfrontation mit Iran hineingezogen zu werden.“
Die Falken wollten Trump zu einem Krieg mit dem Iran drängen, den er nicht wollte. Vor diesem Hintergrund erscheinen die „Provokationen“ des Iran in einem ganz anderen Licht. Geheimdienstkreise nicht nur aus Washington, sondern auch aus arabischen Ländern oder Israel, konnten Provokationen organisieren und den Iran beschuldigen. Wenn die Vorfälle schockierend wären, würde es für Trump politisch schwierig, keine Vergeltung zu üben.
Und so nahm die Schwere der Vorfälle in der Folgezeit weiter zu.
Die Medien machten jedoch den Eindruck, der Iran sei an der Eskalation schuld. In einem weiteren Spiegel-Artikel meldete sich auch Wolfgang Ischinger, Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, zu Wort. Völlig unkritisch zitierte der Spiegel dabei dessen einseitig pro-amerikanische Forderungen:96
„Wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die britische Premierministerin Theresa May sowie die anderen Partner des Iranabkommens wie Russland und China – und möglichst auch die USA – sich [sic] für einen weiteren Verhandlungsansatz stark machten, würde Irans Präsident Hassan Rohani es sich hoffentlich zweimal überlegen, ein Gesprächsangebot abzulehnen, sagte Ischinger.“
Dabei muss man doch fragen, worüber der Iran überhaupt mit den USA sprechen sollte. Das hat der Iran jahrelang getan und als Ergebnis wurde 2015 das Atomabkommen geschlossen, das die USA nur drei Jahre später vertrags- und völkerrechtswidrig gebrochen haben. Wozu aber mit jemandem verhandeln, der seine Zusagen nicht einhält?
Die Sicht des Iran war und ist daher verständlich, wenn er fordert, dass die USA sich zuerst wieder an das Atomabkommen halten sollen, bevor man über irgendetwas anderes reden kann.
Dazu las man jedoch im Spiegel zu keinem Zeitpunkt ein Wort. Stattdessen konnte man dort lesen:
„Ischinger sagte weiter: Deutschland und Europa müssten klarstellen, ‚dass wir zwar das Nuklearabkommen mit dem Iran erhalten wollen, dass das allein aber nicht ausreicht. Die Verhandlungen müssen um kritische Fragen erweitert werden: zum Beispiel zu ballistischen Raketen, Terror-Finanzierung, Menschenrechten, die Haltung zu Israel.‘ Der iranischen Führung müsse ‚ein Weg aufgezeigt werden, als normaler, berechenbarer Staat respektiert und anerkannt zu werden.‘“
Ischinger übernahm damit wörtlich die Formulierungen von US-Außenminister Pompeo, der ebenfalls sagte, der Iran solle „ein normaler Staat“ werden.
In der zweiten Maihälfte gab es immer dramatischere Meldungen über einen drohenden Krieg und über die Verlegung von US-Truppen in die Region.
Die Welt wartete aber immer noch darauf, dass die USA endlich Beweise für ihre Behauptung vorlegen würden, der Iran stecke hinter den Beschädigungen der vier Tanker.
Ende Mai endlich kündigte Sicherheitsberater Bolton an, der UNO Beweise für die Schuld des Iran vorlegen zu wollen. Der Spiegel schrieb über die Vorwürfe von Bolton:97
„‚Ich glaube nicht, dass jemand, der mit der Situation in der Region vertraut ist, ob er die Beweise untersucht hat oder nicht, etwas anderes denkt, als dass diese Angriffe von Iran oder seinen Stellvertretern durchgeführt wurden‘, soll Bolton (…) gesagt haben. (…) Bereits am Mittwoch soll Bolton bei einem Besuch im Emirat Abu Dhabi gesagt haben, dass hinter den Angriffen mit Seeminen ‚fast sicher‘ Iran stecke. (…) Beweise für seine Anschuldigung legte Bolton dem Bericht zufolge jedoch