SPIEGLEIN politisches Jahrbuch 2020. Thomas Röper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Röper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783968500317
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Entscheidungen der Meinungsführer der Kommission. Wir haben in den vergangenen Jahren festgestellt, dass die Kommission wie ein Politbüro aufgetreten ist.‘“

      Die wichtigsten Argumente, mit denen er seinen Standpunkt erklärt, wurden nicht zitiert. Hauptsache, das Pfui-Wort „Politbüro“ wird erwähnt. Ist das vollständige und objektive Berichterstattung?

      Stattdessen wird in den Medien immer behauptet, dass in Ungarn Rechtsstaat, Pressefreiheit und Demokratie in Gefahr seien. Dabei ist es Ungarn, das in Wahrheit für mehr Demokratie in der EU eintritt, während unsere Medien Ungarn dafür kritisieren. So sind die deutschen Qualitätsmedien.

      Verkehrte Welt.

      Übrigens: „Rat“ heißt auf Russisch „Sowjet“. Und so war die „Sowjetunion“ eben auf Russisch „Sowjetski Sojus“. Aber „Sowjet“ klingt natürlich auf Deutsch böser und einprägsamer als „Rat“. Man hätte im Westen anstatt von „Obersten Sowjet“ ja auch vom „Obersten Rat“ sprechen können oder anstatt von der „Sowjetunion“ als der „Räte-Union“.

      Noch schöner wird es aber, wenn man die heutigen Begriffe auf Deutsch und Russisch vergleicht: „Europäische Union“ heißt auf Russisch „Evropeski Sojus“, das erinnert an „Sowjetski Sojus“. Auch nicht schlecht, oder? Und „Rat der Europäischen Union“ heißt auf Russisch „Sowjet Evropeskogo Sojusa“. Da haben wir doch tatsächlich – zumindest sprachlich – ein paar interessante Parallelen.

      Da die Medien in der ersten Jahreshälfte 2019 eine Riesenshow um die Europawahl veranstalteten, sollte man sich einmal im Detail anschauen, welche Rechte dieses Parlament eigentlich hat. Ich habe das Thema eben schon gestreift.

      In einer Demokratie, so lernen wir immer, geht alle Macht vom Volke aus und das Volk wählt seine Vertreter, die es dann stellvertretend regieren. In der EU fanden im Mai 2019 Wahlen zum EU-Parlament statt, und man sollte meinen, dass wir dann von den Abgeordneten regiert werden, die wir gewählt haben.

      Stimmt das? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich einmal anschauen, welche Vollmachten und Entscheidungsbefugnisse das Parlament überhaupt hat.

      Ein Parlament kann normalerweise Gesetze ausarbeiten, vorschlagen und dann über ihre Annahme abstimmen. Das EU-Parlament darf das nicht. Es darf keine Gesetze einbringen, sondern darf nur über die Gesetze mitentscheiden, die von der EU-Kommission ins Parlament eingebracht werden. Die Betonung liegt auf mitentscheiden, denn das Parlament trifft die Entscheidung zusammen mit dem EU-Rat, in dem die Vertreter der Regierungen der EU-Staaten sitzen. Und da Kommission und Rat ihre Initiativen in der Praxis absprechen, steht das Parlament im Zweifel auf verlorenem Posten.

      Wenn das Parlament, was selten genug vorkommt, mal mit einem neuen Gesetz nicht einverstanden ist, dann gibt es einen Vermittlungsausschuss, wo die Fraktionschefs sich hinter verschlossenen Türen mit dem EU-Rat auf einen Kompromiss einigen, der in der Regel vom ursprünglichen Gesetzestext kaum abweicht. Zuletzt gab es das bei den umstrittenen Upload-Filtern, wo sich das Parlament zur Abwechslung einmal auf die Hinterbeine gestellt hat. Das Gesetz ging am Ende trotzdem praktisch unverändert durch.

      Das bedeutet in der Praxis, dass Gesetze in der EU von der Kommission in Absprache mit dem Rat vorbereitet werden und das Parlament dann mit dem Rat darüber reden darf. Am Ende hat es keine andere Wahl, als sie durchzuwinken. Eigene Gesetze kann das Parlament nicht einbringen, und Vorschläge endgültig ablehnen kann es auch nicht.

      Aber es gibt auch reichlich Bereiche, wo das Parlament praktisch gar kein Mitspracherecht hat. So muss das Parlament im Bereich der Wettbewerbspolitik lediglich konsultiert werden. Auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hat es gemäß Art. 36 EUV kaum Mitspracherechte.

      Und das wichtigste Recht eines Parlaments ist es in einer Demokratie, über den Haushalt zu entscheiden. Schließlich hängt am Ende alles am Geld. Man kann ein Projekt beschließen, aber wenn es nicht finanziert wird, dann stirbt es einen schnellen Tod. Leider sieht es beim Haushalt ganz düster aus, denn auch der Haushalt wird von der Kommission eingebracht.

      Die Europäische Kommission schlägt einen Haushaltsentwurf vor. Im Haushaltsverfahren können dann Parlament und Ministerrat Änderungen beschließen. Sind sich beide einig, tritt der Haushaltsplan mit den Änderungen in Kraft. Gibt es zwischen Parlament und Rat Differenzen über den Plan, wird ein komplexes Verfahren mit gegenseitigen Konsultationen und Abstimmungen durchgeführt. Gibt es auch nach dieser politischen Feinabstimmung keine Einigkeit, wird als letztes Mittel der Vermittlungsausschuss eingeschaltet. In der politischen Praxis führt das dann zu einem Kompromiss und zu einer Einigung.

      Auch hier darf das Parlament also nichts alleine bestimmen, sondern muss sich mit dem Rat einigen, der normalerweise den Vorschlag der Kommission unterstützt. Das Parlament darf nicht, wie in einer Demokratie üblich, den Haushalt einfach ablehnen.

      Übrigens ist ja auch die Kommission nicht demokratisch gewählt oder legitimiert, vielmehr darf jedes EU-Land einen Kommissar stellen. In der Regel wird auf den Posten irgendein Politiker „weggelobt“, so wie in Deutschland Herr Oettinger, für den man nach seinen verlorenen Wahlen in Deutschland keine Verwendung mehr hatte und ihn auf den gut dotierten Posten eines EU-Kommissars nach Brüssel abschob. Qualifiziert war er für sein Fachgebiet bekanntermaßen nicht, man suchte nur eine Beschäftigung für ihn. Und so läuft es in der ganzen EU, die Kommissare sind also in der Regel abgehalfterte Politiker, denen man einen gut bezahlten Posten besorgen muss.

      Die Kommission ist aber auch die „Regierung“ der EU. Und wie gesehen darf das Parlament diese Regierung nicht abwählen, wie es in einer Demokratie üblich ist. Das Parlament darf zwar formell den Präsidenten der Europäischen Kommission wählen, aber der Kandidat wird vom EU-Rat vorgeschlagen. Es gab noch nie einen Fall, dass dieser vorgeschlagene Kandidat abgelehnt worden wäre.

      Bei der EU-Wahl haben wir hinterher deutlich gezeigt bekommen, wie ernst man es in Brüssel mit der Demokratie meint. Eigentlich sollte der Spitzenkandidat der größten Fraktion auch EU-Kommissionspräsident werden. Aber weil Herr Weber, dem der Posten demnach zugestanden hätte, einigen Regierungschefs – vor allem Macron – nicht gefiel, setzte man sich darüber hinweg und ernannte Ursula von der Leyen.

      Das Parlament wurde damit offen brüskiert, aber nach einigem Murren wurde Ursula von der Leyen vom Parlament bestätigt.

      Die Regierungen der EU-Staaten klüngeln hinter verschlossenen Türen einen Kandidaten aus und das Parlament winkt den dann durch. Das konnten wir detailliert beobachten, aber dazu gleich noch mehr.

      Außer dem Kommissionspräsidenten bestätigt das Parlament ebenfalls die gesamte Kommission. Auch hier werden die Kandidaten formell durch den Europäischen Rat nominiert, wobei die Entscheidung, wie erwähnt, den nationalen Regierungen überlassen wird. Es kam im 40-jährigen Bestehen des Parlaments seit 1979 ganze zweimal vor, dass das Parlament vorgeschlagene Kommissare ablehnte: 2004 Rocco Buttiglione und 2009 Rumjana Schelewa.

      Und es kam nach der Wahl 2019 noch einmal vor. Vielleicht als Zeichen des Protests über die Brüskierung bei der Durchsetzung von Uschi von der Leyen lehnte das Parlament einen Kommissar ab.

      Auch hier also entscheidet letztlich nicht das Parlament, sondern die EU-Staaten klüngeln hinter verschlossenen Türen ihre Kandidaten aus und das Parlament winkt sie durch.

      Wie man sieht, hat das EU-Parlament keinerlei Machtbefugnisse. Wenn es gegen etwas ist, wird es am Ende trotzdem umgesetzt, es kann sich höchstens ein wenig verzögern. Und das soll demokratisch sein?

      Und jetzt möchte ich etwas tun, was man fast schon als Satire bezeichnen kann, wenn es nicht wahr wäre.

      Wir lernen doch in der Schule, dass das Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm keine Demokratie, sondern eine Diktatur war. Und eine Demokratie