THERESE KIEN
AUTOR: Elias Canetti
TITEL: Die Blendung
ORIGINALFASSUNG: 1935
»Er krümmte sich ja nicht. Wer sich nicht krümmte, der hatte keine Schmerzen. Der mußte aufstehen, der brauchte nichts gekocht.
And the winner iiiis … Therese Kien! Gratulation! In der Masse an gemeinen und niederträchtigen Charakteren, die sich in Canettis Blendung im Wien der Zwanziger- oder Dreißigerjahre tummeln, ist es nicht selbstverständlich, als die Fieseste hervorzugehen. Die ungebildete, aber zielsicher nach dem eigenen Vorteil ausgerichtete Haushälterin und baldige Ehefrau des Sinologen und Hardcore-Bücherwurms Peter Kien hat sich durchgesetzt.
Dabei könnte man es auch milde formulieren: Diese Eheschließung, basierend auf dem Irrglauben, Therese habe eine gewisse Affinität zu Büchern, weil sie diese immer so sorgsam putzte, wäre auf heutigen Datingseiten anhand gemeinsamer Interessen wohl kaum als Ideallösung vorgeschlagen worden. Er asexuell, eigenbrötlerisch und lebensfremd. Sie sexuell frustriert, gierig und ohne Verstand für Geistiges. Reiner Geist und reiner Körper – da kann der Geist nur verlieren. Und auch wenn der geradezu autistische Wissenschaftler sicher nicht der leichteste Partner ist, als lesende Menschen weiß Canetti uns auf seiner Seite.
Und das lässt sie ihn, kaum hat er sie geheiratet, auch spüren. Nun hasst sie nämlich die 25.000 Bücher in der Wohnung, weil dafür schon so viel unnötiges Geld ihres Mannes ausgegeben wurde, das eigentlich ihr zustünde. Sie interessiert sich nur dafür, wo das Bankbuch versteckt ist, und für den Kauf neuer Möbel, währenddessen sie heftig mit anderen Männern flirtet (die sie aber in Canettis menschenverachtendem Universum sowieso nur ausnutzen wollen). Sie empfindet es als Affront, wenn ein Sessel einmal zu oft knarrt (dann wird er ins Feuer geworfen) oder der Mann krank ist und gepflegt werden sollte (dann wird er eben hungern gelassen). Höhepunkt der Schreckensherrschaft, deren Symbol Thereses blauer, gestärkter Rock ist: Sie schmeißt ihn aus seiner eigenen Wohnung und sich an den sadistischen Hausbesorger Pfaff heran.
Das Gemeine an Therese ist, dass wir immer wieder Gelegenheit bekommen, in ihren Kopf hineinzuschauen. Canetti formuliert ihre giergesteuerten Empörungen aus, folgt ihren Logikpfaden und stellt die Ergebnisse, ohne zu werten, vor uns hin. Die Figurengestaltung dürfte auf einer gewissen Frauenfeindlichkeit des Autors beruhen; sein Vorbild für Therese war eine Vermieterin, die ihn mit ihrem dummen Geschwätz faszinierte.
Männer sagen schnell einmal so dahin, die Ehe treibe sie in den Wahnsinn. Bei den Kiens kann man zuschauen, wie es passiert. Das geht so weit, dass Kien überzeugt ist, seine Frau getötet zu haben, und ein Geständnis ablegt, während sie neben ihm steht und ihn des Diebstahls (seines eigenen Geldes) bezichtigt: »Der blaue Rock, den sie immer trug, deckte ihr Skelett. Er war gestärkt und hielt dank dieser Eigenschaft die widerwärtigen Reste ihres Leibes zusammen. Eines Tages hauchte sie aus. Auch dieser Ausdruck erscheint mir als Fälschung; wahrscheinlich besaß sie keine Lungen mehr.« ■
HERKUNFT: Österreich
GEBOREN: Therese Krummholz
GESTORBEN: nein (Irrtum)
BERUF: Haushälterin
BESONDERES KENNZEICHEN: der blaue Rock
MÖBELGESCHMACK:
FELIX KRULL
AUTOR: Thomas Mann
TITEL: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull: Der Memoiren erster Teil
ORIGINALFASSUNG: 1954
» Ich kann mein inneres Verhalten zur Welt, oder zur Gesellschaft, nicht anders als widerspruchsvoll bezeichnen. Bei allem Verlangen nach Liebesaustausch mit ihr eignete ihm nicht selten eine sinnende Kühle, eine Neigung zu abschätzender Betrachtung, die mich selbst in Erstaunen versetzte.
Man kann dir nicht grollen, Felix Krull. Man will dich fast nicht in die Gruppe der Bösewichte einreihen, so bezirzt ist man von deiner eigenen Beschreibung deiner Taten. Und doch muss es sein: Hochstapler Felix Krull, Betrüger jenseits der Moral, Kategorie »liebenswerter Halunke«. Denn dein bester Trick ist ja, dass man dich mag. Dass du einem gibst, was man will, und dass man nie enttäuscht ist. Gut, die paar Juwelen, die der Dame abhanden kommen, sind doch ein adäquater Preis für die schönen Stunden, die sie mit dem charmanten jungen Mann zubringen durfte.
»Niemals habe ich eitles und grausames Gefallen gefunden an den Schmerzen von Mitmenschen, denen meine Person Wünsche erregte, welche zu erfüllen die Lebensweisheit mir verwehrte. Leidenschaften, deren Gegenstand man ist, ohne selbst von ihnen berührt zu sein, mögen Naturen, ungleich der meinen, einen Überlegenheitsdünkel von unschöner Kälte oder auch jenen verachtenden Widerwillen einflößen, der dazu verleitet, die Gefühle des Anderen ohne Erbarmen mit Füßen zu treten. Wie sehr verschieden