Und das ist nun wirklich nicht Disney. Disney ist: ein brennender Ast, an den Schwanz des panisch vor sich selbst davonlaufenden Tigers gebunden (Teil 1), oder ein Geier, der dem gedemütigten Raubtier auf die Nerven geht (Teil 2). ■
NAMENSBEDEUTUNG: Tigerkönig
GATTUNG: Tiger
HERKUNFT: Indien
BESONDERES KENNZEICHEN: Gehfehler
ACHILLESFERSEN: Feuer, Büffel
SIDEKICK: Tabaqui, der Schakal
LIEBLINGSSPEISE: Maugli
ERZFEIND: Maugli
BARON VON INNSTETTEN
AUTOR: Theodor Fontane
TITEL: Effi Briest
ORIGINALFASSUNG: 1896
»Wir sprachen da von Innstetten, und mit einem Male zog der alte Niemeyer seine Stirn in Falten, aber in Respekts- und Bewunderungsfalten, und sagte: ›Ja, der Baron! Das ist ein Mann von Charakter, ein Mann von Prinzipien.‹«
»Das ist er auch, Effi.«
»Gewiß. Und ich glaube, Niemeyer sagte nachher sogar, es sei auch ein Mann von Grundsätzen. Und das ist, glaube ich, noch etwas mehr. Ach, und ich … ich habe keine. Sieh, Mama, da liegt etwas, was mich quält und ängstigt. Er ist so lieb und gut gegen mich und so nachsichtig, aber … ich fürchte mich vor ihm.«
Zu Recht, wie sich herausstellen wird. Anfangs besteht das einzige Verbrechen des Herrn Baron darin, nun ja, ein bisschen langweilig zu sein. Er nimmt die jugendliche Effi Briest zur Frau – eine Ehe, die zwar nicht unbedingt ihre Idee war, der sie dann aber ganz aufgeregt entgegenblickt. Oh, jetzt darf sie Geert zu ihm sagen! Altersunterschied: 21 Jahre.
Dann passiert erst einmal ganz lange nichts. So lange, dass es eine Tortur ist. Und daran gibt der Leser, obwohl der noch nichts Böses getan hat, Innstetten die Schuld (obwohl der wahre Übeltäter hier wohl doch eher der Verfasser Theodor Fontane ist). Man bereist Orte mit spießig-deutschen Namen wie Hohen-Cremmen und Kressin, wo es gar Wichtiges zu tun gibt, aber für den Herrn und dessen Karriere, nicht für seine Frau. Die langweilt sich zu Tode (im übertragenen Sinne, nicht wörtlich, wie es einer anderen Dame dieser ländlichen Gesellschaft passierte), wird wie ein Kind behandelt, versucht aber, der Verbindung offensiv mit Liebe und Zärtlichkeit zu begegnen. Doch selbst dabei wird sie von ihrem gestrengen und gar formellen Gatten vernachlässigt. Immerhin, für ein Töchterchen reicht es.
Es muss also irgendwann so kommen: Effi hat eine kurze und von Gewissensbissen begleitete Affäre mit Major Cramps, einem ehemaligen Kommilitonen ihres Mannes. Die endet, als Innstetten ins Ministerium berufen wird und das Paar nach Berlin zieht. Halleluja, Berlin! Immerhin ein Großstadtleben, alles ist in Butter.
Freilich, Liebesbriefe tauchen auf. Nach sechs Jahren! Der Ehemann sauer: verständlich. Aber muss man gleich so reagieren? Den Nebenbuhler, mit dem längst nichts mehr läuft, abknallen, im ehrenhaften Duell? Und dann die Frau verbannen, ohne je wieder ein Wort mit ihr zu wechseln? Nicht etwa im Affekt, impulsiv, sondern eben wegen der oh fürchterbaren Prinzipien.
»Rache ist nichts Schönes, aber was Menschliches und hat ein natürlich menschliches Recht. So aber war alles einer Vorstellung, einem Begriff zuliebe, war eine gemachte Geschichte, eine halbe Komödie. Und diese Komödie muß ich nun fortsetzen und muß Effi wegschicken und sie ruinieren und mich mit.«
Aha. Nur dass er selbst sein verstocktes staatstragendes Leben weiterführt, während Effi vom Elternhaus verstoßen, der Tochter entfremdet und irgendwann todkrank wird. Prinzipienreiterei? Prinzipiell ziemlich übel, Herr Baron. ■
HERKUNFT: Deutschland
BERUF: Ministerialbeamter
POSITION: gehörnter Ehemann
HOBBYS: keine
STÄRKE: Prinzipientreue
SCHWÄCHE: Prinzipientreue
LIEBE: Papperlapapp
GEWISSEN: rein
PSYCHOPATHENINDEX: absolutes Mittelmaß
BESONDERE KENNZEICHEN: absolutes Mittelmaß
CAPTAIN HOOK
AUTOR: James Matthew Barrie
TITEL: Peter Pan
(aus dem Englischen von Ursula von Wiese)
ORIGINALFASSUNG: 1911
»Wer bist du, Fremder, sprich!« forderte Haken. »Ich bin Kapitän Haken!«
»Das bist du nicht, das bist du nicht«, schrie Haken heiser.
»Schockschwerenot«, erwiderte die Stimme, »sag das noch einmal, und du bekommst meine Klaue zu spüren.«
Prä-Disney haben sie ihn noch als Kapitän Haken ins Deutsche übertragen. Heute, post-Dustin-Hoffman, klingt diese Übersetzung nur noch absurd, das hat der übelste Bootsmann der Weltliteratur nicht verdient. Hook also. Captain James Hook. Wobei das – Überraschung! – nicht sein richtiger Name ist.
Richtig ist, dass er als Kommandant der Besatzung des Zweimasters Jolly Roger dient. Ein »nicht ganz unheldenhafter« Pirat im fantastischen Nimmerland (auch hier ist der Originalname Neverland bekannter), sieht er sich als Erzfeind Peter Pans, den er für einen Frechdachs hält und der ihn in den Wahnsinn treibt. Dass der kindische Peter ihm im Kampf eine Hand abschneidet, verschlechtert das Verhältnis zwischen ihnen nur unwesentlich. Die fehlende Hand wird von einem Krokodil gefressen und durch eine Eisenklaue ersetzt (was für ein Symbol: eine gefährliche Waffe als integrierter Körperteil!). Später, nachdem die letzte große Schlacht geschlagen ist, darf das hungrige Reptil sein »Captain’s Dinner« dann vollständig abschließen. In einem Er-oder-ich-Showdown siegt – ist ja doch eine Geschichte für Kinder – das Gute, das Kindliche. Bevor Hook in den Krokodilsrachen eintaucht, schafft er es gerade noch, ein weiteres Mal das ungebührliche Betragen Peter Pans zu bemängeln.
Trügerisch, das Auftreten des Kapitäns: Er hat in Eton studiert, wählt seine Worte selbst beim Fluchen sorgsam, weiß sich zu benehmen, gilt als einer der attraktivsten Männer, die man sich vorstellen kann (gleichzeitig aber auch als ein bisschen widerlich), und kleidet sich elegant. Vielleicht ist Hook der erste dieser glatten Gentleman-Bösewichte, deren Nachfolge Ende des vergangenen Jahrhunderts Hannibal Lecter antrat.
Im nimmerländischen Kontext ist das Mustertanzschulgehabe jedoch ein weiterer Hinweis auf die Niedertracht des Charakters: Für Peter Pan, den Jungen, der niemals erwachsen werden will, kann es keinen besseren Gegenspieler geben als einen, der befolgt, was die gesellschaftlichen Normen diktieren. In der Welt der Kinder ist der Erwachsene der Schurke. Der Vater von Peters Freundin Wendy, der prahlende Geschäftsmann Mr. Darling, wird denn auch in der von James Barrie sogar noch vor dem Roman verfassten Bühnenversion meist vom selben Darsteller verkörpert wie der grimmige Kapitän.
Interessant ist auch die Analogie zwischen Hook und einem anderen Kapitän, Herman Melvilles Ahab, die Verfasser Barrie ganz offen eingestand. Das Krokodil ist sozusagen Hooks Moby Dick. Nur die Sympathien sind jeweils unterschiedlich verteilt. Das Krokodil als Kapitalschurke hat es dafür erst im Kasperletheater an die Spitze geschafft. ■
BERUF: Schiffskapitän
FUNKTION: Spielverderber
AUGEN: zwei (blau)
LOCKEN: viele (dunkel)
HÄNDE: eine (links)
BENEHMEN: vorbildlich