Ich war begeistert. Stefan Großmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Großmann
Издательство: Bookwire
Серия: Wiener Literaturen
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783903005839
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man gut schlafen will. Der Journalismus erträgt sich leichter und freier, wenn man in die Theateratmosphäre entfliehen kann, und die Theaterluft wäre ja überhaupt ohne den Gedanken nicht auszuhalten, daß man sich jeden Augenblick in die weniger wahnsinnige Atmosphäre der stillen Schriftstellerstube hinüberretten kann. Ich kann nur jedermann raten, sich mindestens zwei Berufe anzuschaffen, ein Beruf ist zu wenig. Man ist nur dann Herr über seine Arbeit, wenn man eine zweite Berufung hat. Die Monogamie eines einzigen Berufes macht abhängig und unfroh.

      Das Wichtigste freilich ist unerlernbar, man muß es von Natur aus mitbringen: ich meine das souveräne Gefühl, daß man selber der Erbauer seines Lebens ist. Die meisten Menschen werden gelebt. Es ist nicht wahr, daß jedermann seinen Marschallstab im Tornister trägt, im Gegenteil, manche haben nur einen Korporalstock im Tornister, und die meisten tragen nur ihren schweren Tornister – ohne Stab und ohne Stock. Ich habe, Gott weiß woher, ein unverschämtes, mir lange selber unbewußtes Souveränitätsgefühl mitbekommen. Ich habe nie danach getrachtet, irgendeinen Menschen zu beherrschen, aber die dienende Hilfe des homme mediocre ist mir immer als eine Selbstverständlichkeit vorgekommen.

      Soll ich noch etwas von meiner geheimen Philosophie verraten, so ist es beinahe ein mystischer Glaube, daß wenige, ganz tief gelagerte Wünsche des Menschen nach einer Zeit des Ausreifens im Dunkel und Unbewußten plötzlich in Erfüllung aufsprießen. Ich spreche jetzt nicht von den vulgären praktischen Wünschen – wieviele Menschen haben denn überhaupt die seltene Kraft eines inbrünstigen, aus der Tiefe wachsenden Wunsches? –, aber der Keim eines tiefgewollten, lange im Erdreich des Unbewußten geschützt herumgetragenen Wunsches, dieser Keim blüht eines Tages fast plötzlich auf und – du stehst vor deiner Erfüllung.

      Ich hatte das Glück in meinem Leben, herrlichen Partnern zu begegnen. Ich denke da um Gottes willen nicht etwa an sehr viele berühmte Menschen, die ich zwischen Kairo und Drontheim traf. Nein, ich hatte das Glück, immer wieder Mitglied eines wunderbar reich besetzten Ensembles zu werden. Dabei bin ich, wie wahrscheinlich alle produktiven Menschen, den schnöden Vergnügungen konventioneller Geselligkeit fast immer ausgewichen. Ich hatte das Glück, immer wieder, wenn ich diesen nicht nur musikalisch gemeinten Vergleich wagen darf, süßeste Kammermusik zu genießen. Außer den Stunden des Alleinseins, in denen ich doch immer wieder durch tausend Kontakte sozial verbunden war, sind die Stunden zu zweien die vollsten meines Lebens gewesen. Zu zweien im Fenster liegend, kann man dem Gekribbel der Welt sehr fröhlich zuschauen. Jede Gesellschaft von mehr als zwei Personen ist gewöhnlich mindestens um einen zuviel. Wenn das Leben eine Gelegenheit sein soll, sich die Welt anzuschauen, so darf man sich diese Gelegenheit nicht durch allzuviel Nachbarschaft und Gesellschaft stören lassen.

      Noch ein Geständnis: bin ich wie im Traum durchs Leben gegangen, unromantisch gesagt: das »Maultier sucht im Nebel seinen Weg« –, so wäre ich von diesem Grat einige dutzendmal abgestürzt, wenn ich nicht rechtzeitig im Nebel Frauenstimmen gehört hätte. Ich verdanke Frauen nicht nur ein steigendes, immer wieder trunken machendes Lebensgefühl, ich verdanke ihnen überhaupt und immer wieder, daß ich bin.

      Das Buch heißt: Ich war begeistert, wobei die Betonung nicht auf dem Hilfszeitwort liegt. Die Begeisterung kommt aus dem Geiste, mein Leben war begeistert, wie eine grün blühende Wiese bewässert sein muß. Und da ich begeistert war, so bin ich es noch und werde es, ein klein bißchen komisch, immer wieder sein. Die Begeisterung von gestern mag geisterhaft sein, der Rausch von heut und morgen ist doch nicht aus den Augen zu reiben … Vertrauliches Geständnis, ich bin auch von meiner Begeisterung ein wenig begeistert.

      Tänze im Branntweinladen

      Ich habe nicht die Absicht, die Geschichte meiner Kindheit zu schreiben, wozu auch? Derlei Konfessionen machen nur den Psychoanalytikern Spaß, und wer möchte diesen Talmudisten des Unterleibes Spaß machen? Ich überspringe also die erste Kindheit.

      Mein Vater war nach dem großen Krach der siebziger Jahre verarmt, und schlimmer noch, er hatte jede Lust verloren, sich wieder hinaufzuarbeiten. Er hatte die Fähigkeit des Orientalen, stundenlang in göttlichem Nichtstun auf einer Caféterrasse in der Praterstraße zu sitzen bei einem Schwarzen und sehr vielen Gläsern Wasser, und je älter er wurde, umso schwächer wurde seine Aktivität, und umso länger saß er auf der Caféhausterrasse und sinnierte vor sich hin. Mit dem letzten Reste unseres Vermögens hatte meine Mutter ein kleines Teegeschäft in der Praterstraße gekauft, in einem jener schönen zweistöckigen Altwiener Häuser mit großem Hofe und sehr vielen Straßen- und Hofbalkons. Das Haus hieß, weil es an der Ecke der Weintraubengasse stand, das Weintraubenhaus. Das Teegeschäft, das wir besaßen, hatte einen wunderschönen kleinen Chinesen, der mit übergeschlagenen Knien im Auslagefenster saß, und hinter ihm waren große bunte Teekisten und Teepäckchen aufgestapelt. Fast nur zum Schmuck standen daneben etliche Flaschen Jamaika-Rum. Unglücklicherweise schien die Bevölkerung der Praterstraße eine Abneigung gegen das Teetrinken zu haben; es konnten viele Stunden vergehen, ohne daß die Klingel von der Ladentür klirrte. Meine Mutter, energisch wie sie war, erkannte bald, daß wir dem zweiten Konkurs entgegengingen, und mein Vater, der fast ebenso gleichgültig wie der philosophische Chinese im Auslagefenster die drohende Katastrophe übersah, wurde aufgepulvert. Meine Mutter beschloß, das Übergewicht der Teekisten und Teepäckchen zu beseitigen und die Jamaikaflaschen in den Vordergrund des Auslagefensters zu stellen. Was aber war eine geschlossene verkapselte Rumflasche? Vor allem bekam die Rumflasche Nachbarschaft. Es wurden die herrlichsten glänzendsten Bouteillen polnischer Schnäpse neben sie gestellt, noch heute schwirren mir ihre Namen durch den Kopf: Kontu- schowka, Malakoff, Rostopschin – meistens wurden die stärksten polnisch-russischen Schnäpse nach russischen Generälen genannt. Die grünen, hellgelben, wasserklaren Schnäpse glitzerten in den wohlgeformten Flaschen. Aber es war wichtig, nicht nur Flaschen, die verkorkt und verkapselt waren, auszustellen, sondern – meine energische Mutter wußte das sehr gut – es kam darauf an, die Schnäpse in kleinen Mengen, womöglich in offenen Gläsern an die Bevölkerung loszuwerden. Dazu war eine besondere Erlaubnis des Magistrats nötig. Es gelang meiner Mutter, den Vater aus seiner Caféterrassenbeschaulichkeit herauszureißen, und da er unter den Gemeinde- und Bezirksräten viele Freunde hatte, so erhielt er eines Tages die gewünschte Schankkonzession.

      Der Tag war sicher entscheidend für mich, das sollte ich später spüren. Meine Mutter erkannte, daß die beste »laufende Kundschaft« zwischen vier und sieben Uhr früh, wenn Wirtshäuser und Cafés geschlossen waren, sich hierher verirren müsse. Wir wohnten damals an der Donau, nicht am Kanal, der grau durch die Stadt fließt, sondern an der richtigen grünengroßen Donau, die etwa eine halbe Stunde weit draußen an den Praterauen vorbeifließt. Eines Tages wurde beschlossen, daß ich jeden Morgen um vier Uhr diesen Laden aufsperren solle. Ich besuchte damals die Realschule, ein dreizehnjähriger Junge. Unvergeßlich, auch heute noch, diese Wege nachts oder im Morgengrauen, zu Fuß – die Straßenbahn fuhr noch nicht – von der großen Donau in die Praterstraße. Schließe ich die Augen, so sehe ich diesen Weg vor mir, meistens den Winterweg im Schnee, schlecht beleuchtet, ungepflastert, menschenleer. Kam ich vor dem Weintraubenhaus an, so war der Laden noch kalt, dumpf, ungeheizt und roch nach Rum und Schnäpsen. Das erste, was ich zu tun hatte, nachdem ich die Gasflamme angezündet, war, ein kleines Feuer in dem eisernen Öfchen zu machen. Aber ich fror noch immer schmählich; ich glaube, man friert als Kind fast so sehr wie als alter Mann, und man friert doppelt und dreifach, wenn die Augen noch voll Schlaf sind. Flackerte erst das Feuer im Öfchen, so hatte ich ein sehr einfaches Mittel, mich warm zu machen: ich lief und tanzte im Kreise durch den verhältnismäßig großen Laden und sang dazu ein Couplet, das ich noch heute vorzutragen imstande bin, es hatte den Refrain: »Sehn’s, so heiter ist das Leben in Wien«. Wie kam ich zu diesem aus vielen anderen Wiener Liedern?

      Das Weintraubenhaus lag direkt neben dem alten Karl-Theater. Dank dieser Nachbarschaft war meine Jugend von Theaterluft durchströmt. Ich kannte sehr früh schon Zuschauerraum und Bühne, Schauspieler und Habitués, Kulissenschieber und Garderobefrauen. Dort hatte ich eine Wiener Posse gehört, in der ein heute längst verschollener Komiker dieses Tanzcouplet, während er im Kreise über die Bühne hüpfte, allabendlich zu singen pflegte. Jeden Morgen übte ich mit hohen Sprüngen dieses Tanzlied – die einzige gymnastische Übung meines Tages –, langsam wich der Schlaf aus