Joe 9/11. Thomas Antonic. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Antonic
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005648
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hat sie hier ihr ganzes Leben verbracht. In diesem kleinen Städtchen mit 1878 Einwohnern. Marias Mann starb vor fünfzehn Jahren und das Einzige, das sie in ihrem Leben hat, ist dieses kleine Café, das sie zusammen mit ihrem Mann gegründet hatte. Und eine derartige Frage wurde ihr in ihrem ganzen Leben noch nicht gestellt.

      »Natürlich dürfen Sie mich fotografieren.«

      »Gut, vielleicht gehen Sie hinter die Theke und lehnen sich auf den Tresen, wenn das okay für Sie ist.«

      »Sicher.«

      Als Maria hinter die Theke geht, schließt der Mann behutsam die Eingangstür.

      »Ist das okay?«

      »Ein bisschen mehr nach links, bitte.«

      Maria bewegt sich, und ihrer Erscheinung haftet nun ein gewisser Sex-Appeal an.

      »Das ist gut. Sehr gut. Halten Sie still für ein paar Sekunden.«

      Di––––––––katzaaaaaaa–––––––––aaaaaaaaaaaaaa. Die Polaroid spuckt ein Foto aus. Der Mann nimmt es und legt es mit der Vorderseite nach unten auf den Tresen.

      »Darf ich es sehen?«

      »Noch nicht, Darling. Es braucht ein paar Minuten, bis es voll entwickelt ist.«

      »Okay, möchten Sie vielleicht noch etwas trinken? Einen Kaffee?«

      »Oh ja, das ist eine hervorragende Idee.«

      Maria nimmt zwei Becher und stellt sie auf den Tresen. Sie gießt Kaffee in die Becher. Während Maria noch einschenkt, nimmt der Mann eine Bratpfanne, die über dem Ofen hängt, und schlägt sie ihr mit voller Kraft ins Gesicht. Das Geräusch, das dabei verursacht wird, ist alles andere als angenehm. Die Kaffeekanne fliegt an die Wand hinter dem Tresen und zerspringt in tausend Teile. Maria geht in die Knie und fällt danach wie ein nasser Fetzen auf den Boden. Dann ist es völlig still. Der Mann betrachtet die Pfanne in seiner Hand. Blut klebt daran, und Knochenstücke. Maria liegt am Boden, mit dem Gesicht im eigenen Blut. Sie rührt sich nicht. Der Mann hebt Maria hoch und lehnt sie wieder auf den Tresen. Er blickt zur Tür hin. Niemand. Perfektes Timing. Wie immer. Er geht zurück und stellt sich wieder vor den Tresen, nimmt die Polaroid wieder in seine Hand.

      Di–––––katzaaaaaaaaaaaaaa–––––aaaaaaaaaaaaaa.

      Er legt das neue Foto direkt neben das andere und zündet sich eine Zigarette an.

      8

      Sagres, drei Wochen später.

      E-Mail von: Martty Bruce <[email protected]>

      an: Peter Novak <[email protected]>

      Datum: 25.07.2001, 12.23 Uhr WEZ

      Mein lieber Freund! Ich bin heute mit dem Bus nach Lagos gefahren, das etwa zwanzig Meilen von Sagres entfernt liegt, und sitze gerade in einem Internet-Café. In Sagres gibt es so etwas ja nicht. Das ist wirklich ein ausgesprochenes Nest, das du dir da ausgesucht hast. Würde mich nicht wundern, wenn dort überhaupt niemand einen Internetanschluss hat. Aber ansonsten ist Sagres wirklich ausgesprochen nett. So was findet man bei uns die ganze Pazifikküste entlang nicht. Vielleicht kann man Sagres am ehesten noch mit Big Sur vergleichen, aber hier ist es viel wärmer. Wie in Mexiko. Warum hast du mich nicht mitgenommen beim letzten Mal? Du wolltest wohl nicht all die hübschen portugiesischen Mädchen mit mir teilen, stimmt’s? Aber dank dir bin ich nun auch hier. Und du bist in San Francisco. Also hab ich die ganzen hübschen portugiesischen Mädchen für mich allein, BUAHAHAHAAAAA!!!!

      Abgesehen von den hübschen Mädchen, Sommer, Sonne, Strand und Meer, ist das hier aber auch ein ziemlich seltsames Nest. Ist dir das aufgefallen, als du hier warst? Ich weiß zwar nicht genau, was es ist, aber irgendetwas Seltsames geht vor sich. Ich spüre das an der Atmosphäre. Aber ich habe auch Fakten anzubieten. Hier also die wahrhaftig abgefahrene Scheiße:

      Vor drei Wochen, das muss etwa vier oder fünf Tage gewesen sein, nachdem du zurück nach San Fran gekommen bist, wurde die Besitzerin des Cafés, in dem du das Foto entdeckt hast, auf brutale Weise in ihrem Lokal mit einer Bratpfanne erschlagen. Kannst du dir das vorstellen? Aber jetzt halte dich fest: Als sie gefunden wurde, lagen zwei Fotos auf dem Tresen: ZWEI SCHWARZ-WEISS-POLAROIDS!!! Eines zeigt sie am Tresen lehnend in die Kamera lächelnd, das andere zeigt sie in exakt gleicher Stellung (in der sie übrigens auch gefunden wurde), nur tot und mit zerschmettertem Gesicht. Das ist wirklich gruselig.

      Das bedeutet jedenfalls, dass der Typ wohl noch immer hier in der Gegend ist. Vielleicht ist er tatsächlich ein Einheimischer. Ich muss sehr vorsichtig sein. Hier im Ort gibt es zwei Polizisten, aber das dürften ziemlich faule Säcke sein. Sie haben mir gesagt, dass sie nicht wüssten, wie sie den Killer ausfindig machen sollten. Sie haben überhaupt keine Anhaltspunkte und sind eigentlich nur darauf bedacht, den Fall nicht publik werden zu lassen, da sie befürchten, dass die Touristen ausbleiben würden, wenn sie wüssten, was hier passiert ist. Sie haben mir die Geschichte erzählt, weil sie mir offenbar vertrauen. Aber ich habe ihnen natürlich nichts über das Foto von den Klippen erzählt. Das würde alles noch komplizierter machen.

      Ich habe auch den Platz ausfindig gemacht, an dem das erste Foto, »dein« Foto, gemacht wurde. Es wurde gleich neben den Ruinen der alten Festung geschossen. Man hat hier einen sehr schönen Ausblick auf die Bucht und die gegenüberliegenden Klippen. Morgen werde ich mir ein kleines Boot mieten und da hinüberrudern. Ich bin ehrlich gesagt etwas nervös, denn ich denke, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, dass ich dort tatsächlich einen Leichnam finden werde …

      Ich werde dich auf dem Laufenden halten, mein Freund. Jedenfalls werde ich das versuchen. Aber ich werde natürlich auch nicht jeden Tag rüber nach Lagos fahren. Kann also sein, dass du ein paar Tage nichts von mir hören wirst.

      Ahoi,

      Martty

      PS: Noch etwas Amüsantes zum Abschluss: Ich bin jetzt drei Tage hier und schon zwei Mal einem alten Kerl begegnet, um die Fünfundsechzig, sehr hochgewachsen und sehr hager. Du wirst es nicht glauben, der Typ sieht genauso aus wie Bill Burroughs!! Er läuft hier herum mit einem Hut und trägt einen grauen Anzug und hat immer eine braune Aktentasche aus Leder bei sich. Das einzige, das ihn von Burroughs unterscheidet, ist, dass er einen weißen Schnurrbart trägt. Als ich ihm das zweite Mal in einer dieser schmalen Gassen begegnete, habe ich ihn angesprochen. Es stellte sich heraus, dass er aus New York ist. Er hat mir erzählt, dass er lange in London lebte und auch einige Jahre in Marokko. Stell dir das vor! Vielleicht werde ich ein Gläschen mit ihm trinken, sollte ich ihm noch einmal begegnen. Scheint irgendwie ein interessanter Mensch zu sein. Gut, das ist alles fürs Erste! Ich hoffe, dir geht’s fantastisch und die Vorbereitungen für die Ausstellung laufen auch wunderbar! Du weißt: 11. September — das wird dein großer Tag! Mach dir nicht zu viele Gedanken wegen dem »Copyright-Inhaber« deines Bildes. Sollte er tatsächlich der Killer sein, wird er niemanden darüber in Kenntnis setzen, dass du sein Foto ausstellst, würde er es erfahren. Denn dann würde jeder wissen, dass er der Mörder ist! Cheers!

      9

      E-Mail von: Peter Novak <[email protected]>

      an: Martty Bruce <[email protected]>

      Datum: 25.07.2001, 09.12 Uhr UTC-8

      Hola Amigo!!

      Ich kann nicht glauben, was ich da gerade gelesen habe. Das ist ja völlig irre! Mein Hirn fühlt sich wie Affenscheiße an! Und du hast allen Ernstes Spaß. Stimmt’s? Glaubst du nicht, dass es da eine Verbindung gibt? Eine ermordete Café-Inhaberin? Ein Foto, auf dem vermutlich ein Mord zu sehen ist? Ich bin ernsthaft verwirrt. Ich habe darüber nachgedacht und bin zu folgender