Kugelwechsel. Rudolf Trink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Trink
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Rumpler Rosamunde-Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741725
Скачать книгу
wählte Mosers Nummer.

      Sein Anruf wurde prompt beantwortet. „Moser.“

      „Hallo Stinker.“

      Kurzes Schweigen.

      „Ich pack’s nicht. Rumpler. Servus, Hans. Wie geht’s dir?“

      „Ich muss dich sprechen. Halb offiziell. Hast Zeit für mich?“

      „Für dich doch immer. Morgen früh im Café Rathaus?“

      „Gern. Passt neun Uhr für dich?“

      „Ja. Ich freu mich.“

      Das Café Rathaus hatte Rumpler und seinem Team in seiner aktiven Berufszeit häufig als eine Art zweites Büro gedient. Immer wenn sie das Gefühl hatten, in einem Fall stecken geblieben zu sein, oder auch wenn es zu größeren Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gekommen war, lieferte das Café Rathaus, das noch über ein eigenes, von grünen Filzbespannungen dominiertes Spielzimmer verfügte, mit dem beruhigenden Gemurmel der zahlreich vertretenen Pensionisten alle Voraussetzungen, um sich auf einen Fall wieder neu einzustellen.

      Moser kam mit ein paar Minuten Verspätung. Sein ehemals extrem starker Rauchkonsum hatte ihm den Beinamen Stinker eingetragen, den er nicht ohne Stolz fast wie eine Auszeichnung, die ihm in einer längst vergangenen Ära verliehen worden war, noch immer trug, obwohl er aus gesundheitlichen Gründen bereits seit Jahren nicht mehr rauchte. Ohne auch nur im Mindesten zu zögern, steuerte er den in einer der Fensternischen gelegenen Tisch an, den sie früher immer beansprucht hatten und den Rumpler heute zur Sicherheit hatte reservieren lassen.

      Ihre Begrüßung verlief stumm nach dem vertrauten Ritual. Moser hatte sich nicht verändert – auf einem stämmigen Körper saß ohne viel Hals dazwischen ein eher kantiger Schädel mit einer kräftigen, ganz leicht schiefen Nase und auffallend wachen, eher hellen Augen von einer schwer bestimmbaren Farbe. Seinen respektablen Bauchansatz, der ihn im Bedarfsfall aber keineswegs daran hinderte, sich mit ganz erstaunlicher Schnelligkeit zu bewegen, hatte Moser immer noch. Auch an seiner Gewohnheit, sein Sakko trotz erheblicher Spannung geschlossen zu tragen, hatte sich nichts geändert. Seinerzeit hatten die jüngeren Kollegen boshaft über ihn gesagt, er brauche keine Schusswaffe, weil er jederzeit imstande sei, einen Verbrecher mit seinen abspringenden Knöpfen zu erschießen.

      Nach einem kritischen Blick auf Rumpler eröffnete Moser das Gespräch mit der Feststellung: „Du machst dir Sorgen.“

      „Mein Neffe Karl ist tot.“

      „Das tut mir leid. Der war doch als Bub für längere Zeit bei dir, als dein Bruder gestorben ist.“ Das war eine Feststellung, keine Frage, aber Rumpler hatte schon vor Jahren aufgehört, sich über das phänomenale Gedächtnis Mosers zu wundern.

      „Ja, das war Karl. Er soll Selbstmord begangen haben. Vom Dach der Firma gesprungen, bei der er gearbeitet hat.“

      Noch während er das sagte, wunderte sich Rumpler ein wenig über seine eigene Formulierung, die Karls Rolle in der Sache völlig offenließ.

      Moser hakte sofort ein. „Wieso soll? Hat es irgendwas Auffälliges dabei gegeben?“

      „Eigentlich nicht, außer dass es so gar nicht zu Karl passt.“

      „Und jetzt hast du Zweifel, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist, und willst nähere Informationen.“

      „Ja. Es wär mir persönlich wichtig, dass ich versteh, was passiert ist, und es ist auch für Karls Frau Sabine wichtig.“

      „Du weißt aber schon, dass du als Angehöriger in höchstem Maß befangen und daher alles andere als objektiv bist?“

      „Das ist mir klar. Trotzdem will ich Näheres wissen.“

      „Dann ist daran wohl nicht mehr zu rütteln. Du warst ja immer schon wie der Hund mit dem Knochen – wenn du ihn einmal hast, gibst du ihn nicht mehr her.“

      „Kannst du mir helfen?“

      „Ich denk schon. Ich werd mich morgen informieren, wer die Untersuchung gemacht hat, und du kriegst natürlich auch das Protokoll von mir – aber nur in Papierform, weil ich’s dir offiziell nicht weiterleiten darf. Unsere E-Mails werden in letzter Zeit immer wieder kontrolliert, weil zu viel an die Zeitungen durchgesickert ist. Es ist ziemlich unpraktisch, aber man gewöhnt sich dran.“

      „Wann sehen wir uns?“

      „In zwei Tagen, also am Samstag. Das gibt mir noch ein bissl Zeit, dass ich mich auch sonst umhör.“

      „Danke, Stinker.“

      „Passt schon. Bis bald.“

      o

      3.

      Rumpler ging vom Café nicht gleich nach Hause, sondern nutzte den kalten, klaren Wintertag für eine Runde im Volksgarten, der ihn mit seinem Rosengarten faszinierte, aber nicht, wie zu vermuten wäre, im Frühsommer, wenn sich die Blüten in voller Pracht zeigten, sondern vor allem jetzt im Winter. Die vielen Hundert Rosenstöcke waren alle mit Kaffeesäcken aus Jute verhüllt, was ihnen das Aussehen eines abstrakten Kunstwerks gab. Die Säcke waren den Rosen übergestülpt worden und ihre Beschriftung stand daher auf dem Kopf. Gerade dieses Verhüllte und auf den Kopf Gestellte war Rumpler wichtig und verschaffte ihm eine ihm selbst kaum verständliche Befriedigung. Durch jahrelange Übung war er ohne Weiteres in der Lage, die Aufschriften der Kaffeesäcke auch verkehrt herum zu lesen, und in Ermangelung eines Hafens, in dem er von ferne kommende Schiffe hätte beobachten können, ließ er seine Gedanken von den Jutesäcken mit auf die Reise nehmen.

      Zum Abschluss seines Volksgartenbesuchs stattete er noch dem Denkmal der Kaiserin Elisabeth einen Besuch ab, wobei seine Aufmerksamkeit diesmal nicht so sehr der Kaiserin selbst galt, sondern den zu ihren beiden Seiten angeordneten Kinderskulpturen, die Krüge trugen, aus denen im Sommer Wasser sprudelte. Sie hielten diese Krüge mit größter Sorgfalt und einem sehr verhaltenen, fast entrückten Lächeln, und wieder fiel Rumpler das seltene Lächeln des kleinen Karl ein, das ebenfalls diese schwer fassliche Qualität gehabt hatte.

      Rumpler verließ den Volksgarten in Richtung Heldenplatz, und kaum hatte er die große helle Fläche betreten, als er sich zwar nicht abgestoßen, aber doch ernüchtert fühlte, ganz so als hätte er eine unbestimmte Sehnsucht im Volksgarten zurücklassen müssen. Immer wenn er diesen Weg ging – und er ging ihn ziemlich oft –, hatte er das Gefühl, von der Unausweichlichkeit des Untergangs aus Joseph Roths „Radetzkymarsch“ angeweht zu werden, ja, sogar selbst an diesem Untergang der Monarchie gewissermaßen teilzuhaben, als sei er aus der Zeit gefallen.

      Ohne nachdenken zu müssen, stieg er in eine Straßenbahn, verließ sie nach einigen Stationen wieder und ging die paar Hundert Meter zu seiner Wohnung, nicht ohne vorher für Rosamunde und auch sich selbst etwas Schinken gekauft zu haben, um nicht wieder mit leeren Händen zu kommen. Rumplers Wohnung lag in einem Altbau in der Josefstadt, ohne Lift, und wie so oft fragte er sich beim Emporsteigen in den dritten Stock, ob ihn das gesund erhalte oder ob er etwa bei Knie- oder Hüftproblemen nicht in der Wohnung werde bleiben können. Bislang war er von solchen Sorgen weitgehend verschont worden, aber in den letzten zwei oder drei Jahren hatten sich immer wieder einmal da oder dort Schmerzen gemeldet, nicht lange anhaltend, eher nur wie ein Wetterleuchten, Schmerzen, die ihn kaum beschäftigten, aber doch unmerklich an seinen Wurzeln nagten.

      Rosamunde empfing ihn gnädig, schnurrte und purrte, wohl wissend, dass er ihr diesmal etwas mitgebracht hatte, sie ließ sich den Schinken aufschneiden und servieren und verspeiste ihn trotz ihrer stattlichen Figur mit einer Gier, die Rumpler an die Zeit zurückdenken ließ, als er sie ausgemergelt und verlaust im Urlaub in Kärnten aufgelesen hatte – oder hatte sie ihn damals aufgelesen? Er wusste es einfach nicht mehr und letztlich war es auch egal. Sie hatten einander gefunden, wie auch immer.

      Rumpler griff nach seinem neuen Notizbuch, das er auf dem Tisch hatte liegen lassen, und machte einige Eintragungen, nachdem er in Großbuchstaben