Die Vielgeliebte. Jörg Mauthe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg Mauthe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005914
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sich, jetzt schon eingebracht hatte …?

      »Wenn das so ist«, sagte ich erleichtert, »dann hast du ja noch Zeit genug, es dir zu überlegen.«

      »Ja. Aber soll ich?«

      »Ich finde«, sagte ich, »daß dieser Tuzzi ein sehr guter Mann ist, seriös, sauber, zuverlässig, herzhaft, gescheit und ich weiß nicht, was noch alles.«

      »Du weißt, daß du nur nein zu sagen brauchst, und ich schick’ ihn stantepede in die Wüste?«

      »Ich weiß. Aber das würde er nicht verdienen.«

      »Du weißt, daß du nur ja zu sagen brauchst, und ich tu’s?«

      »Ich weiß, aber ich sage nicht ja.«

      Diese Du-weißt-ich-weiß-Versicherungen waren rituelle Formeln, von ihr seit langem in unsere Gespräche eingeführt und für uns beide von großer Bedeutung: sie bestätigten mir feierlich meine Macht, und ihr, daß ich diese Macht nur in einem alleräußersten Fall anwenden würde. Wir nahmen dieses Responsorium beide sehr ernst, ernster selbst als das Große Ehrenwort, das Kinder einander geben. Ich glaube nicht, daß wir die kleine Liturgie öfter als fünfoder sechsmal verwendet haben; aber wir waren jedesmal sehr befriedigt, wenn wir es getan hatten.

      »Du weißt«, sagte ich, »daß ich dir in solchen Angelegenheiten weder zunoch abraten kann. Sie betreffen dich allein, und folglich mußt du schon selbst entscheiden, was du tun willst.«

      »Dann wart’ ich ab.«

      »Wie du meinst. Übrigens, bei dieser Gelegenheit: ich bin dir für die Bekanntschaft mit diesem Legationsrat ausgesprochen dankbar. Ich mag ihn sehr. Wo hast du ihn eigentlich her?«

      »Ach«, sagte sie, »mit dem hab’ ich einmal was gehabt.«

      Das war eine Mitteilung, auf die ich so wenig gefaßt war, daß ich sie nur ungläubig anhören konnte.

      »Mit dem Tuzzi? Ausgeschlossen!«

      »Aber ja doch!« sagte sie ungerührt. »Du kannst mir’s schon glauben. Das war damals, erinnerst dich, in diesem heißen Sommer – du bist damals irgendwo in der Welt herumgeflogen. Ich war in Mariazell, bei einer alten Tante. Und da ist mir der Tuzzi vor der Kirche dort in die Arme gefallen. Hitzschlag oder Kreislauf oder sowas. Naja, bei der großen Hitze damals …«

      »Du scheinst eine besondere Begabung für die Rettung interessanter Männer zu haben. Warum hast du mir denn davon nichts erzählt?«

      »Hätt’ ich müssen?« fragte sie besorgt. »Entschuldige bitte! Wenn ich gewußt hätte, daß du’s wissen willst …«

      »Nein. Du erzählst mir, was du willst, und nicht ein Jota mehr – ein für allemal.«

      Auch das waren Sätze aus unseren geheimen Ritualen, öfter gebrauchte, aber dennoch verbindliche, den Bann und die Ordnung unserer Beziehung bekräftigende und darum von uns geliebte Worte.

      »Es war eine verrückte Geschichte damals«, sagte sie erklärend. »Er war ja sehr lieb, aber total durcheinander, direkt ein bisserl wahnsinnig – und ich war’s vielleicht auch, wegen der Hitze und weil du so entsetzlich weit weg warst …«

      »Sag bitte nicht, daß ich was damit zu tun gehabt habe.«

      »Doch! Wenn du nämlich zu lang weg bist, dann werd’ ich schwindlig.«

      »Was heißt das?«

      »Ich krieg’ dann so ein Gefühl, als ob ich mich an nichts mehr anhalten könnt’. Wie wenn ich mit der Seilbahn fahr’ und seh’ das Seil reißen. Verstehst du?«

      Ich verstand es nur zu gut, denn genau das ist der Fluch, der einem Heiligen vorbehalten ist: anwesend sein und zusehen zu müssen.

      »Ich versteh’s. Aber ich begreife nicht, daß ich die ganze Zeit hindurch nicht begriffen habe, daß da was war oder ist zwischen euch. – Aber da ihr euch vermutlich gut genug kennt, warum benimmt sich denn der gute Tuzzi dann wie ein schüchterner Anbeter? Und warum mußt du dann erst lange überlegen, ob du ihn heiraten sollst?«

      »Du verstehst überhaupt nichts. Ich sag’ dir doch: das in Mariazell war eine idiotische Geschichte – na, das ist ein blöder Ausdruck, denn sie war schon sehr schön auch. Aber jedenfalls war sie total daneben. Er hat mich in seiner Verdrehtheit mit irgenwem, nein, mit irgendwas anderem verwechselt, hat phantasiert – ach, das ist alles so durcheinander gewesen. Und ich hab’ ihn doch überhaupt nicht gekannt.«

      »Aber immerhin doch wohl geliebt.«

      »Quatsch. Ich lieb’ doch nicht jemanden, den ich nicht kenn’.«

      »Ich nehme an, daß du mir mit diesem Axiom einen essentiellen Einblick in die Psyche des Weibes an sich gegeben hast.«

      »Was hab’ ich?«

      »Vergiß es. Aber nun kennst du ja den Legationsrat wohl besser als damals …«

      »Klar. Ich hab’ ihn nachher lange Zeit nicht mehr gesehen, hab’ auch gar keine Lust darauf gehabt – du weißt ja, Verrücktheiten mag ich eigentlich nicht. Dann sind wir einander am Graben zufällig über den Weg gelaufen, mir war’s gar nicht sehr recht, aber ihn hat’s direkt aus der Wäsch’ g’haut, wie er mich gesehen hat! ’tschuldige meine unvornehme Ausdrucksweise, aber genau so hat er dreingschaut. Da hab’ ich lachen müssen und – na ja, dann haben wir angefangen, uns doch noch kennenzulernen.«

      »Und da du ihn kennst, liebst du ihn auch?«

      »So ungefähr.«

      »Und das genügt nicht?«

      »Mir schon. Das Komplizierte dran ist nur, daß ich ja viele kenne …«

      »… und also liebst?«

      »Klar. Das Genie zum Beispiel. Oder meinen Geschiedenen. Von dir selbstverständlich gar nicht zu reden. Und den Lipkowitz …«

      »Was? Den auch?«

      »Wo er doch dein Freund ist? Und ist er vielleicht nicht ein lieber Mensch, der Fürscht?«

      So also stellte sich damals die Lage für mich, den Heiligen, dar: Dem Problem Tuzzi kaum entronnen, war ich schon mitten drin im Problem des Fürsten Lipkowitz-Zweyensteyn. Denn bei der Erwähnung dieses Namens – und durch die Art, in der sie ihn betonte – wurde mir endlich klar, warum der Legationsrat von seiner Linie abgewichen war und die Option auf einen Heiratsantrag gestellt hatte. Und nun lauerte im Hintergrund noch dazu der Medizinalrat, von dem anonymen Appendizitiker ganz zu schweigen.

      Ja, damals fing das Heiligsein, das ja gewiß auch seine Vorzüge und sogar Freuden haben mag, entschieden an, ein rechtes Kreuz für mich zu werden.

      Irgendwas ist nicht in Ordnung.

      Es ist die Stille. Sie ist einfach zu groß nach den Schüssen vorhin. Man hört buchstäblich nichts. Das summende Grundgeräusch, das anfänglich noch aus der Stadt heraufdrang, ist auch verstummt. Der Lärmpegel muß während der letzten Minuten auf Null gesunken sein.

      Ich öffne benommen die Augen und sehe, wie etwas Bewegung in die stumm Dastehenden kommt. Sie wenden einander die Gesichter zu, ziehen die Augenbrauen in die Höhe, zucken ratlos die Schultern.

      Nur ein Geräusch, ein leises, aber in dieser Stille laut genug, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: jemand gleitet von hinten her durch Ausweichende und an die andere Seite des Silbernen.

      Ich drehe mit Mühe den Kopf dahin und sehe, daß es der Horsti ist. Oder der Hansi? Jedenfalls ist es einer der Buben des Silbernen, und anscheinend überbringt er irgendeine Meldung, eine Nachricht oder sowas.

      Dann sagt der Silberne – und jetzt, wo endlich einer den Mund auftut, klingt’s, als ob geschrien würde: »Es wird noch ein Zeiterl dauern, meine Herrschaften. Irgendeine Störung dort unten. Wir müssen noch warten. Machen wir’s uns ein bissl bequemer.«

      Der Medizinalrat verläßt seine Position, kommt, einen Halbkreis ziehend, herüber, bleibt vor uns