Eine Münze für Anna. Anne Gold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Gold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783724523765
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vor.»

      «Und das liessest du zu?»

      «Ich kam gegen meine Mutter nicht an. Du brauchst gar nicht mit den Augen zu rollen … Abwesend assen wir Gang um Gang und sehnten uns einzig und allein nach dem Ende des Schreckens. Plötzlich platzte Paps der Kragen.»

      «Was deine Mutter nicht besonders beeindruckte.»

      «Überhaupt nicht. Sie lachte nur verächtlich und begann mit Paps zu streiten. Der legte ganz ruhig sein Besteck auf den Tisch und sagte: ‹Irene, es ist jetzt besser, wenn du dich in ein Taxi setzt und nach Hause fährst.›»

      «Das ist ihr eingefahren.»

      «Ganz und gar nicht. Sie provozierte so lange weiter, bis sich Paps erhob. ‹Wenn du nicht gehst, ist es Zeit für mich›, entschied er. Dann entschuldigte er sich bei Anna. Als ihn Mutter unterbrechen wollte, rastete er aus. ‹Du bist sofort still, ich will kein Wort mehr hören. Nur, weil ich ein Christ bin und du eine Merian bist, gibt es uns noch lange kein Recht, auf andere herabzusehen.› Er erinnerte meine Mutter daran, dass sie nur mit grossem Engagement und mit etwas Glück die heruntergewirtschaftete Bank ihrer Eltern sanieren konnten, sonst würden sie nicht hier sitzen. Sie solle es ja nie mehr wagen, in seiner Gegenwart so aufzutreten wie heute. Das war eine starke Ansage von Paps. Zum Abschied nahm er Anna in den Arm. Die Liebe sei etwas Wunderbares und wir sollten unsere mit beiden Händen festhalten. Natürlich bekam ich auch noch mein Fett ab, weil ich mich zu wenig für Anna eingesetzt hatte. Was der Wahrheit entsprach. Zu guter Letzt lud er uns für Heiligabend ein, du hättest das Gesicht meiner Mutter sehen soll. Unbezahlbar.»

      «Und Irene?»

      «Sie schimpfte vor sich hin. Paps lächelte, küsste sie und gestand ihr seine Liebe. Er wüsste nicht, was er ohne sie machen würde. Das Seltsame daran war der Tonfall, ich bekam Gänsehaut. Damit war die Angelegenheit für immer erledigt. Ein Jahr später heirateten wir, kurz bevor Tina zur Welt kam.»

      «Und das Verhältnis zwischen Anna und Irene?»

      «Wurde nach und nach besser, aber nie besonders herzlich. Mutter wusste, dass sie einlenken musste. Dafür kannte sie ihren Mann zu gut. Paps ist der gutmütigste Mensch auf der Welt, bis ihm der Kragen platzt. Dann muss man sich sehr warm anziehen.»

      «Du bist unverkennbar sein Sohn. Viele verwechseln allerdings deine Gutmütigkeit mit Dummheit und sind erstaunt, wenn sie abserviert werden. Noch einen Whisky?»

      «Einen kleinen.»

      Dreiunddreissig Jahre verheiratet! Niemand dachte, dass unsere Ehe hält. Doch wir meisterten alle Krisen, auch die heftigsten und ich bedaure keinen einzigen Tag. Ganz im Gegenteil. Anna, du bist und bleibst meine grosse Liebe.

      «Hier zum Zweiten mit wenig Eis.»

      «Danke. Florian sucht eine neue Wohnung, er soll in die Villa ziehen.»

      «Guter Plan. Pfarrer Florian verkündet von der Kanzel herab, Geben ist seliger denn Nehmen, steigt in seinen Ferrari, rast durch die Stadt aufs Bruderholz und schwimmt einige Runden im Pool.»

      «Nur nicht so zynisch.»

      «Das ist eine Schnapsidee. Es sei denn, du erlaubst ihm, aus deinem bescheidenen Heim eine Obdachlosenunterkunft zu machen.»

      «Wohl nicht der geeignete Standort dafür.»

      «Wenigstens darüber sind wir uns einig. Wo möchtest du denn in Zukunft wohnen, wenn nicht in der Villa?»

      «In einem unserer anderen Häuser. Davon gibts schliesslich genügend.»

      «Lass es einen Monat oder zwei ruhen und entscheide dann. Übrigens, Tina fühlt sich schuldig.»

      «Wegen Anna?»

      «Ja. Sie gibt sich die Schuld an ihrem Tod.»

      «Weshalb weiss ich nichts davon?»

      «Weil es gestern Abend ein Gespräch unter Freundinnen war. Zudem erzähle ich es dir ja jetzt. Sie meint, dass sie aufgrund gewisser Symptome hätte aufhorchen müssen.»

      «Anna war eine Meisterin darin, etwas zu verschleiern.»

      «Das sagte ich Tina auch, aber wirklich beruhigen konnte ich sie nicht. Sie zweifelt total an sich. Als Ärztin habe sie versagt, weil sie die Anzeichen nicht bemerkte, als Tochter sowieso. Sie leidet extrem unter dem Tod ihrer Mutter.»

      «Soll ich mit ihr sprechen?»

      «Noch nicht. Wir gehen morgen nochmals essen. Dann sehen wir weiter. Brauchst du mich noch? Falls nicht, würde ich langsam gehen.»

      «Ich begleite dich noch hinaus.»

      «Wann soll ich dich morgen abholen?»

      «Ingo kommt um zehn, sagen wir um neun.»

      Nicole küsste ihn auf die Wangen.

      «Kann ich dich wirklich allein lassen?»

      «Ja, natürlich.»

      «Gut. Aber keine Dummheiten machen.»

      «Ich gebe mir Mühe.»

      Christ zappte durchs Fernsehprogramm, während das von Hannah zubereitete Essen auf dem Clubtisch verkümmerte. Anna hielt die Familie zusammen, symptomatisch dafür war das wöchentliche Essen am Sonntagabend bei uns. Vater, die Kinder und je nach Lust und Laune der jeweilige Lebenspartner von Andrea und Tina. Florian brachte noch nie jemanden mit, was Andrea dazu verleitete, ihn zu provozieren. Mehrmals griff Anna im letzten Moment ein, bevor die Situation eskalierte. Andrea vermutete, ihr Bruder sei schwul. Ganz abwegig sind die Gedanken meiner Kommissärin nicht, auch wenn sich diese bisher nie bestätigten. Anna vertrat die Meinung, es sei einzig und allein Florians Entscheidung, ob und wann er sich outen wolle. Ich für meinen Teil hätte mir immer gewünscht, Florian steht dazu, vorausgesetzt er ist auch wirklich schwul. Im «10 vor 10» kam ein Bericht über den tragischen Tod der Milliardärsgattin von Nationalrat Markus Christ. Einige Prominente sprachen in kurzen Statements ihr Beileid aus. Das ist zwar nett gemeint, aber absolut unnötig. Markus trank seinen Whisky aus und ging nach oben. Ein schwerer Gang. Im Schlafzimmer verstreute er seine Kleider wahllos auf dem Boden und kroch unter die Decke. Wenn du mich jetzt sehen könntest, Anna. Noch keine zehn Stunden bist du unter der Erde und schon beginnt meine Verwahrlosung.

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      Nicole fuhr die kurvenreiche Lerchenstrasse hinunter ins Gundeli. Am Rotlicht beobachtete sie verstohlen ihren Chef.

      «Keine Angst, es geht mir gut.»

      «Davon bist du weit entfernt.»

      «Wenn du meinst.»

      «Du solltest dich im Laufe des Tages bei deinen Kindern melden.»

      «Das wollte ich sowieso.»

      «Andrea und Florian riefen mich heute früh an.»

      «Wieso nicht mich?»

      «Sie wollten dich nicht stören. Ich habe ihnen gesagt, dass es dir gut geht. Den Umständen entsprechend … Das ist keine gute Lösung.»

      «Das finde ich auch. Sie sollen sich gefälligst bei mir melden.»

      «Das meine ich nicht. Jedes Mal, wenn ich dich abhole, muss ich einen Zickzackkurs fahren, der immer in der Gundeldingerstrasse endet.»

      «Du könntest am Stucki vorbei die Jakobsbergstrasse hinunter.»

      «Das kommt aufs Gleiche raus.»

      «Wie gehts den Kindern?»

      «Andrea ist okay, Florian schwer angeschlagen.»

      «Andrea kann sich besser verstellen. Sie kommt zumindest in dieser Beziehung nach ihrer Mutter. Tina?»

      «Mit ihr unterhielt ich mich gestern Abend noch lange. Es geht ihr gar nicht gut.