Sturm auf Essen. Hans Marchwitza. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Marchwitza
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783880215405
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und Soldatenräte und Wiederherstellung der im November erkämpften Rechte. Nicht die Reaktionäre und Banditen sollen uns Wahlen und Gesetze vorschreiben, sondern wir selber werden vorschreiben, was den Arbeitern hilft.“

      Teichmann wandte ein: „Ich muß dir in einigen Dingen widersprechen, Genosse Zermack. Es stimmt, daß sich manche unfähige und unsaubere Elemente in die Arbeiter- und Soldatenräte eingeschmuggelt haben, aber um so mehr ist es unsere Aufgabe, jetzt nicht auf eine weitere Zersplitterung hinzuarbeiten. Laß es dir versichert sein, daß sich unsere Unabhängige Partei über alle Maßnahmen, die oben getroffen werden, die Kontrolle vorbehält, und wir sind nicht so rasch zu verdrängen oder durch einige Wirrköpfe zu täuschen, das weißt du ...“

      „Ihr werdet nicht nur getäuscht, ihr täuscht euch längst selber und reimt auf den Abweg wie alle, die sich zu Fürsprechern dieser Blutordnung gemacht haben“, warf Fritz Raup ein.

      „Ihr habt euch einfach in eure Wahnwitzideen verrannt und kommt davon nicht mehr los“, knurrte Schigalski. „Wir müssen zu einem Ende kommen“, sagte er aufgeregt und sah Miller an, der den Vorsitz führte. „Die Abstimmung soll zeigen, ob man für eine verständige Politik oder für ein weiteres Unglück ist. Wer sich eigensinnig von der Mehrheit entfernt, der soll dann nicht klagen, wenn die Mehrheit ihre Ordnung nach ihrem Ermessen sichern wird. Ich verlange die Abstimmung“, wandte er sich noch einmal an Miller.

      Teichmann nickte zustimmend.

      Miller blickte verdrossen die kleine Schar der Opposition an. Er ließ abstimmen.

      Die überwiegende Mehrheit war, wie schon immer in der letzten Zeit, für die Anerkennung der „Zentralen Beschlüsse“.

      Auch Teichmann hatte für die Beschlüsse seine Hand erhoben und fragte Miller: „Warum enthältst du dich der Stimme?“

      Miller, der weder dafür noch dagegen gestimmt hatte, antwortete: „Ich kann nicht so eilig für das eine sein, ohne das andere gründlich zu überlegen.“

      Schigalski ging zufrieden weg. Er hatte wieder gesiegt und lief eilig in die Stadt in sein Büro, wo ihn eine neue Sitzung erwartete.

      Teichmann rechtfertigte vor Zermack und Fritz Raup seine Stellungnahme: „Genossen, ihr müßt verstehen, daß unsere Partei es nicht leicht hat, sich gegen alle Anfeindungen jederzeit zu behaupten, und wir müssen auch mal zuweilen ja sagen, wo unser Herz dagegen ist. Wir wollen auch bei den bevorstehenden Wahlen nicht hintenan bleiben, was geschehen kann, wenn wir uns zu sehr von der Masse absondern ... versteht es!“

      Zermack sagte: „Ich bin gegen alles Komödienspiel. Die Masse geht mit uns, wenn wir nicht auch noch den Betrug mit ihr treiben. Diese Zentralen Beschlüsse und die Rechte, die ihr unseren Feinden einräumt, sind der Tod unserer Revolution ...“

      Sie verließen das Rathaus, Miller blieb verdrossen.

      „Warum hast du uns diesmal nicht unterstützt?“ fragte ihn Zermack mit einem Vorwurf.

      „Warum?“ erwiderte Miller unwillig, „weil ich die Zerrissenheit sehe und sie nicht auch noch fördern will. Es ist unser Unglück, daß wir als Sozialisten immer weiter auseinanderstreben ...“

      „Es ist nicht unsere Schuld“, warf Zermack ergrimmt ein. „Die Schuld tragen Noske und Scheidemann, die mit den Mördern zusammensitzen und unsere Mühe verhöhnen. Und unsere Unabhängigen wissen sich auch nicht zu entscheiden, wozu sie gehören, und machen diese verderbliche Politik mit. Wenn wir hier unten nachgeben, dann haben wir uns selbst das Grab geschaufelt ...“

      Millers Gesicht wurde düsterer. Er schwieg.

      Franz Kreusat war, von all dem Gehörten noch ganz verwirrt, wieder nach der Wache gegangen. Er fühlte sich selber wie auseinandergerissen.

      In den „Zentralen Beschlüssen“ war auch die Absicht der Konterrevolutionäre zu erkennen, die Entwaffnung der Soldatenwehren fortzusetzen und den Arbeitern nach und nach alle Waffen abzunehmen. Die Rote Matrosendivision, die im November in Berlin zur Unterstützung der Beauftragten-Regierung zusammengestellt worden war, sollte auf Hindenburgs Ratschlag durch die III. Gardeschützendivision abgelöst und ersetzt werden. Noske war damit einverstanden.

      Die Berliner Arbeiter und die Matrosen hatten sich gegen diese Entwaffnung erhoben, und der Kampf gegen die III. Gardeschützendivision und gegen die konterrevolutionären Bürgerwehren tobte schon seit mehreren Wochen.

      Franz Kreusat, der anfangs glaubte, mit dem Beitritt in die Wehr sich nur der erdrückenden Einsamkeit zu entziehen und als Freund Kahlstein einen Gefallen zu erweisen, strudelte plötzlich mitten in diesem Strom von neuen Aufregungen und Gegensätzlichkeiten und Meinungskämpfen, und weil er noch völlig ohne eigene Meinung dazwischen schwamm, geriet er jeden Tag mit sich in immer neue Widersprüche. Jetzt waren ihm Zermack und Fritz ein starker Halt, wie sie es vielen waren, die dieselben Widersprüche mit sich durchzukämpfen hatten.

      Fritz Raup merkte Franz den Zwiespalt an. „Du darfst nicht gleich wieder allen Mut verlieren“, sagte er ihm, als sie in einer Nacht gemeinsam einen Wachegang machten. „Die Revolution ist kein loses Spiel, das unsre Klassenfeinde und die Noske-Genossen aus ihr machen wollen. Es gehört ein klarer und fester Wille dazu“, erklärte er ihm, während sie langsam die Straße hinaufgingen. „Hör nicht auf Schigalskis Reden, aber hör mit ebensolchem Mißtrauen Teichmann zu. Der hat sich nur äußerlich von der Sozialdemokratischen Partei gelöst, aber innerlich hängt er noch mit allen Stricken daran. Auch die Teichmanns sind mit dem trägen Gang und dem Verrat einverstanden, auch wenn sie ihre Opposition hundertmal betonen in ihren Reden. Wenn sie gute Genossen wären, dann würden sie Karl Liebknechts Warnungen beachten, der wieder von allen Hunden gehetzt wird. Lerne aus den Geschehnissen, Junge“, sagte der Hauer, „wir müssen immerfort lernen. Wir müssen uns, wenn sie uns zum Verderben werden wollen, von solchen Genossen wie Teichmann trennen, denn sie sind mit ihren öligen und schlüpfrigen Zungen ebenso gefährlich wie Schigalski mit seiner Sturheit und Bequemlichkeit. Aber es ist nicht mehr Bequemlichkeit oder Sturheit bei Schigalski“, fügte er nachdenklich hinzu, „es ist offener Abfall, offener Verrat an sich selber und an uns allen…“

      „Warum duldet ihr eigentlich solche Leute in der Wehr, wie Stübel?“ fragte Franz, der sich an den zweideutigen Mann erinnerte. „Wenn ich meine eigene Meinung sagen soll, dann muß ich gestehen, daß dieser Mann es nicht aufrichtig mit unserer Sache meint.“

      „Ja, das ist auch so ein Wolf, der rasch ein Schafsfell angezogen hat“, nickte Fritz Raup. „Aber diese kleinen Spekulanten werden von Schigalski und Teichmann gehalten. Heute gehen sie mit einer großen roten Tuchkokarde umher und können nicht schnell genug alle großen Gauner umbringen, aber morgen bieten sie sich wieder diesen großen Gaunern bereitwillig gegen uns an, und man wird ihre Dienste gern annehmen, denn sie sind noch hündischer ergehen als vorher. Du siehst“, sagte der Häuer, „daß wir mit tausend Widerwärtigkeiten zu kämpfen haben. Wir dürfen unsern Mut nicht verlieren. Um so teurer soll uns deshalb das begonnene Werk sein“, sagte er, „du siehst: es fallt uns nichts als Geschenk in den Schoß, jeder Tag, jede Stunde kosten Sorgen und Opfer und Kämpfe gegen alle Niedertracht ...“

      Fritz Raup schwieg eine Weile im Nachdenken.

      Die Nacht war von einer lauernden Stille, und Franz glaubte, das laute Schlagen seines Herzens zu hören. Er begriff immer mehr, daß er mit dem Gewehr eine neue, schwere Pflicht übernommen hatte. Doch er nahm diese Pflicht lieber auf sich, als jene sinnlose Pflicht, die ihn nach Flandern und Verdun geführt und seine Jugendträume vernichtet hatte.

      Stübel hatte eines Tages sein Amt als Wachthabender abgegeben. Er trat aus der Wehr aus. Weil sein Geschäft ihn brauche, hatte er erklärt. An seiner Stelle teilte jetzt Herr Loew, der dagebliebene Wachtmeister der alten Blauen Polizei, den Wachdienst ein. Herr Loew hatte eine Anzahl auf der Wache umherliegender Gewehre wegholen lassen, niemand wußte zu welchem Zweck. Loew sagte, es sei eine Anordnung von oben. Niemand konnte auch dieses „Oben“ kontrollieren.

      Kramm riet den Kulis, die noch umherhängenden Gewehre und das Maschinengewehr beiseite zu schaffen, bevor man auch diese weghole.

      Franz, den