Sturm auf Essen. Hans Marchwitza. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Marchwitza
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783880215405
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half, noch widerstrebend, das Dutzend Gewehre während der Nacht wegzuschleppen.

      Kramm und Christian Wolny hatten sie in Verwahrung genommen. Bei den beiden waren die Dinger sicher.

      Herr Loew kam jeden Morgen mit dem gleichen undurchdringlichen Dienstgesicht. Er redete sie alle immer mit „Meine Herren“ an und hielt sich strikt mit einer eigenen Meinung aus den Debatten fern; doch wer ein gutes Gefühl hatte, der spürte, daß Herr Loew die „Roten“ wie die Pest haßte und sie in alle Höllen wünschte.

      Herr Loew begann eines Morgens mit einem „Meine Herren, ich muß es tun; es ist mir anbefohlen worden“ die Nummern der anderen Gewehre zu notieren! Am Nachmittag wurde von Loew und einigen anderen Männern nochmals eine Anzahl der noch herumstehenden Gewehre abgeholt.

      „Siehst es?“ machte Kramm Franz aufmerksam. „Die Knarren, die wir weggeschafft haben, wären jetzt auch verloren gewesen, denn ich glaube beileibe nicht, daß die anderen in gute Hände gekommen sind! Es ist unsere Entwaffnung und Vorbereitung noch anderer Überraschungen.“

      Kramm fragte Herrn Loew, wer das mit dem Notieren und dem Wegholen der „überflüssigen“ Gewehre angeordnet hätte.

      Herr Loew sagte: „Ich habe den Auftrag vom Arbeiter und Soldatenrat.“

      Als sich Kramm bei Fritz Raup und Zermack erkundigte, wer Loew diesen merkwürdigen Auftrag gegeben habe, die Waffen wegschaffen zu lassen, antworteten beide, sie wüßten von einem solchen Auftrag nichts.

      „Das ist mindestens wieder der Schigalski gewesen“, brummte Zermack verdrossen. „Unser guter Genosse Miller läßt sich auch von den Reaktionären und Reformisten plattreden. Der Teufel hole diese ganze Gesellschaft“, grollte der große, grobe Mann, „sie geben keine Ruhe und hören nicht eher mit ihrem Gestöhne und Pendeln auf, bis die ganze Geschichte wieder verfahren ist!“

      Sie begaben sich zu Miller – er war ein noch junger, mittelgroßer Mann mit einem immer mürrischen, strengen Gesicht, das einschüchternd wirkte, wenn es sich einem der vielen Fragenden zuwandte.

      Miller antwortete, als Zermack nach den Auftraggebern fragte, fahrig: „Was wollt ihr denn hier mit dem vielen nutzlosen Kram anfangen? Wir haben die Gewehre an den Zentralrat abgeliefert, der wird sie besser verwenden können als wir in unserem Nest!“

      „Du läßt dich immer mehr von der reaktionären Bande einwickeln“, warf Zermack dem Obmann erzürnt vor. „Du solltest besser achtgeben, daß sie uns nicht wieder in den Sack stecken.“

      Miller antwortete ungehalten: „Ich will nicht immer mit den anderen um jedes Ding tagelang rumstreiten. Ihr könntet auch einen Teil der Verantwortung übernehmen und nicht immer erst ankommen, wenn etwas schon beschlossen ist!“

      Miller war Unabhängiger, aber er war immer mit sich im Widerspruch.

      Die Wehrleute um Kramm wollten wissen, wo die weggeholten Gewehre geblieben waren. Sie verlangten, daß sie zurückgeholt werden sollten.

      Die Arbeiter- und Soldatenwehr hält eine Versammlung ab. Die Arbeiter- und Soldatenräte reden vor den Belegschaften gegeneinander. Kein einigender Beschluß kommt zustande. Die einen verlangen die Gewehre und Hilfe für Berlin. Tauten fordert Vernunft. Sie kämpfen bis zur Erschöpfung, einer gegen den anderen, und reden von Spaltung, verfluchen die unglückselige Zerrissenheit.

      Tauten grollt: „Übt doch um Gottes willen Vernunft. Was wollt ihr denn mit den vielen Gewehren? Was wollt ihr in Berlin? Greift doch nicht wieder den Geschehnissen vor …“

      Der Betriebsratsobmann Heise redet erstickt: „Einigen wir uns doch endlich, lassen wir den sinnlosen Kampf untereinander ruhen. Überlassen wir es doch der Regierung, wieder Ordnung zu schaffen…“

      „Du hast sie ja! Deine verfluchte Ordnung!“ schrie Kramm. „Was willst du denn noch? Die Genossen verrecken doch täglich in dieser Ordnung!“

      Miller spricht heiser vor Anstrengung: „Unser Untergang wird durch die Zwietracht besiegelt. Ihr redet von Ordnung, und wir können uns hier unter uns wenigen nicht einig werden, was wir tun wollen.“

      „Bestien müssen an die Kette gelegt werden“, schrie Kramm. „Eine Ordnung, wie sie in unserem Sinne steht, kann nur durch uns selber geschaffen werden.“

      Miller sieht übernächtigt aus, fast grau in dem noch jungen Gesicht; er ist kaum älter als Kramm. Wenn Miller spricht, wird es im Saal etwas ruhiger – man hört ihm zu. Geht er wieder, ist man unzufrieden; auch er zeigt niemals einen klaren Weg. Und tritt ein anderer auf, gehen die Wogen von neuem hoch.

      Eine fahle, qualmende, dichtgepackte Menge horcht finster und voller Argwohn zu. Sie schreit im Protest auf: „Absägen und zum Teufel jagen und bessere an die Stelle der Faulenzer setzen!“ – „Fressen sollen uns die Herrschaften besorgen und nicht in Trägheit verfaulen wie die frühere faule Gesellschaft.“

      „Die frühere Gesellschaft – die frühere Gesellschaft ist ja noch da; das ist das Unglück!“

      „Ruhe, die Sozialisierung marschiert…“

      Heulendes Gelächter.

      „Auch Miller marschiert jetzt mit Schigalski und Tauten. Die Sozialisierung marschiert. Sie marschiert sieh tot, wie wir uns totmarschiert haben ...“

      Die Versammlung löst sich auf wie ein großer Schwarm grauer, abgehetzter Vögel.

      Die nächste Versammlung ist nicht besser. Sie endet nicht anders. Der Wutschrei nach Fraß übertönt das Geknatter der Todessalven in Berlin.

      Auch Raup und Zermack rennen von einer Konferenz zur anderen, wie Miller. Zermack ist ein ruhiger, gelassener Mensch, und sein Wort hat Gewicht, wenn er in die widerspruchsvollen Debatten hineinruft: „Schlagt euch nicht gegenseitig die Zähne ein, bewahrt sie euch lieber für die Büttel. Auch du“, sagt er zu Tauten, „wirst ihre Klauen spüren, wenn du nicht bald zu Verstand kommst.“

      Tauten schaut ihn nur wütend an.

      „Belehre mich nicht, ich weiß, was ich zu tun habe. Ihr könnt mir nur dankbar sein, daß ich nicht allen Wahnsinn billige und für eine normale Politik eintrete. Ihr sollt euch auch besser mit Miller verständigen, der langsam wieder zur Besinnung kommt. So wie bisher können wir nicht weiterfahren“, knurrte der alte Verbändler, Zermacks Drängen mißbilligend.

      Zermack lachte wütend: „Ihr habt euch wahrhaftig alle verschworen; alles, was wir unter blutigen Mühen gewonnen haben, wieder willenlos den Reaktionären zu überlassen ...“

      Er ging mißmutig.

      In einer solchen Versammlung hatte Franz Kreusat Edy Koschewa getroffen, der mit Bruno Freising gekommen war. Die beiden arbeiteten wieder in der Grube. Der Krieg hatte, obwohl sich alle drei mühten, das frühere Verhältnis wieder aufleben zu lassen, doch eine unsichtbare Mauer zwischen sie gestellt. Edy Koschewa und Bruno Freising waren schon früher phlegmatische Naturen und gingen lieber irgendwo zum Tanz oder in eine Kneipe, um dort ganze Nachmittage am Kartentisch zu sitzen. Franz, der schon immer ein ernster Mensch war, spürte die Entfremdung jetzt um so mehr, da die beiden Freunde wenig Interesse an den erschütternden Ereignissen zeigten. Sie gingen nach der Versammlung in die Schenke, saßen dort, nur wenig miteinander redend, beisammen. Es wollte und wollte nichts mehr von dem alten guten Verhältnis ihrer Jugend zwischen ihnen aufkommen.

      „Was treibt ihr so in eurer freien Zeit?“ fragte er sie, „man sieht euch nirgends mehr. Ihr schlaft wohl den ganzen Tag nach der Schicht. Wär’ das nicht besser, ihr regtet euch auch mal etwas für unsere gemeinsame Sache?“

      Der dunkeläugige Bruno Freising gähnte und brummte: „Mensch, laß mich in Ruh. Man kann ja nirgends mehr raus. Ein Anzug fehlt, verflucht, man kann sich in diesen Fetzen nicht auch sonntags sehen lassen.“

      „Und ich will heiraten“, sagte der blonde, schmächtige Edy, „aber man weiß nicht, wie man das machen soll. Vielleicht muß man in den Kanonierstiefeln und in dieser Feldjoppe zum Standesamt gehen. Man hat auch nicht einmal einen eigenen Strohsack, auf den man sich langstrecken