Sturm auf Essen. Hans Marchwitza. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Marchwitza
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783880215405
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zum Teufel gehen.“

      Bruno Freising lachte böse: „Man schuftet und schuftet und kommt keinen Schritt vorwärts. Das ist jetzt das Leben nach dem Krieg. Mensch, wie schön war es doch damals, als wir noch so ohne Sorgen an der Ecke rumstanden, du weißt es, Fränzchen; Mensch, war das ‘ne Zeit. Jetzt hat man ‘nen Bart, bist ‘n Alter und hast noch nicht mal eine ganze Hose. Verflucht, das ganze Leben ist fürwahr einen Dreck wert!“ sagte er wutlachend und trank sein Bier.

      Franz trank sein Bier aus und ging mit ihnen nach Hause. Unterwegs schwiegen sie eine Zeitlang. Bruno Freising sagte, während Franz verdrießlich grübelte: „Und du, du willst wohl gar nicht mehr an die Hacke? Das Rumstrolchen auf der Straße gefällt dir wohl gut. Aber du merkst wohl nicht, daß auch die Kumpels euch schon alle schief anschauen. Ich würde das Ding abgeben und wieder in die Grube kriechen, dort bist du am besten vor allen diesen Wolfsblicken geborgen!“

      Sie standen wieder einen Augenblick an ihrer Ecke, wie früher. Und doch nicht wie früher. Edy stieß Franz gegen die Brust, lachte gezwungen: „Na Fränzchen, was grübelst du? Mensch, gottverdammt“, fluchte er, „da steht man hier, und alles ist einem so fremd geworden. Dieser verfluchte Krieg, Mensch, dieses Elend.“ Er schauerte: „Kalt wird’s. Kommt, wir gehen nach Hause. Das Leben ist, verflucht, nicht mehr schön!“

      Die beiden gingen. Franz war an der Ecke stehengeblieben, als wollte er da noch etwas von der Erinnerung an früher festhalten. Er wurde die Bitterkeit nicht los, daß ihre Kindheit verloren blieb, daß sie, wie vieles Schöne, in der schrecklichen Kriegszeit zerbrochen und versunken war. Er schüttelte den Kopf. Er ermannte sich nach längerem Grübeln und ging nach oben.

      Sie dürfen sich nicht verlieren, grübelte er, während er die Treppe hinaufstieg. Sie müssen mit, und wenn ich sie mit Gewalt mitschleppen müßte. Auch ich habe gezögert, aber der Hermann hat mich auf diesen neuen Weg gestoßen. Wir müssen alle mit, oder dieses neue Elend frißt uns auf! Er verbrachte diesen Nachmittag unter neuen Zweifeln und in einem heftigen Zwiespalt. Die Jugend, ihre Jugend war hin. Verdorben und erdrosselt durch die Kriegsjahre.

      Ein Verlangen erfaßte ihn, diese Alpdrücke loszuwerden. Irgendwo hinauszustürmen, sich irgendwo auf die Erde hinzuwerfen und hineinzukrallen, zu schreien: „Und ich lasse mich nicht erdrücken. Ich bin nicht mehr der Hund, der Schlepper, ich wehre mich!“

      Es war Abend, und er ging allein seine Straße entlang. Er ging wieder den Salkenberg hinauf und weiter bis nach Frillendorf und weiter, weiter, bis er die letzten Häuser verließ. Er sah rechts vor sich den Flammenschein des gewaltigen Krupp-Werkes, und wo er hinblickte, sah er die Brände der Kokereien und hörte die Signale von den Schächten. Er begegnete kleineren Scharen von Bergleuten und sah wieder die lange Karawane dieser ewigen Schlepper. Und noch einmal wallte es in ihm hoch: „Und ich bin doch auf dem richtigen Weg. Ich bleibe hier. Es ist Heimat. Unsere verfluchte, elende Heimat. Unser Kohlenpott, unser jammervoller. Und doch kann ich und werde ich hier nicht weichen. Man hängt dran wie festgebunden. Was ist das nur, das einen hier so festhält? Hat man denn noch Hoffnungen? Hoffnungen, ja, immer Hoffnungen, daß sich einmal alles ändert! Auch hier ändert.“

      Er stand im freien Land und sah herum. Sein Ruhrland, seine ihm erst jetzt bewußtgewordene große Liebe. Nein, ich lass’ euch nicht, ihr müßt mit, Edy und Bruno. Ihr müßt!

      Er ging zurück und sann nach.

      Er war wieder in Stoppenberg und ging seine Straße hinauf. An der Hoffrone-Wirtschaft blieb er stehen. Er hörte drinnen Musik. Tanzmusik. Er zögerte einen Augenblick, dann begab er sich hinein.

      In dem halbdunklen, kleinen Saal drehten sich einige Dutzend Paare Mädel und Jungen, alle dem wilden leidenschaftlichen Tanz hingegeben, eng umschlungen, umklammert: Schlepper und Lehrhäuer aus seiner Grube und die Brückenschlepperinnen; auch jene, die den Eltern erst abends heimlich entschlüpfen konnten. Auf der kleinen Bühne saßen zwei Bandoneonspieler und ein kleiner, schwarzlockiger Mann, der die Trommel schlug. Die Tanzenden sangen zu der Musik: „Auf der Reeperbahn – nachts um halb eins ...“

      Taumel, Taumel. Langsam wurde auch Franz Kreusat von dieser merkwürdigen Stimmung ergriffen. Er stand noch immer an der Tür und sah dem Wirbel dieser Freude zu und konnte sich nicht davon trennen.

      So standen noch andere Jungen und Mädel und schauten zu; andere saßen an den unbedeckten Tischen umarmt und ergaben sich hier der Liebe, die ihnen draußen verwehrt wurde. So fand er sie bei seinen Nachtgängen oft im Dunkel der Hausflure und in den Toreinfahrten und in den dunklen Winkeln der Straße. Liebe, Liebe suchen alle diese Jungen. Freude, Taumel, austoben nach dem langen Schrecken, nach der verfluchten Verzweiflung und Einsamkeit und der Angst auf den blutigen Schlachtfeldern. Freude, Freude, Taumel! Es packte auch ihn. Er sah sich um. Da stand ein starkes Mädel einige Schritte vor ihm und wartete wohl auf den Tänzer. Er ging auf das Mädel zu. „Komm!“ Er nahm sie bei der Hand, und auch er tanzte. Franz Kreusat tanzte, bis der Schweiß auf der Stirn sickerte. Tanzen, tanzen! Als er das Mädel zu einem Tisch führte – er hielt sie noch bei der Hand –, sah er sie an und fragte: „Wie heißt du?“

      Das Mädel sagte lächelnd, rot von dem Tanz und mit einem Blick in sein Gesicht: „Therese!“

      Er tanzte mit Therese bis zum Morgen.

      Als sie auseinander gingen, fragte er sie: „Sehen wir uns wieder?“

      Therese sagte: „Wenn du willst, meinetwegen!“

      So begann seine Liebe zu Therese Tauten.

      Franz schloß sich enger an Christian Wolny an. In dem jungen Kuli glaubte er etwas von der verlorenen Jugend wiedergefunden zu haben.

      Christian redete ihm auch gleich wieder alle Sorgen über Edy Koschewa und Bruno Freising aus. „Die werden wir uns noch holen!“ beruhigte er ihn. „Wir werden sie uns bei Gelegenheit vornehmen. Und der Teufel holt sie, wenn sie jetzt schon Greise spielen wollen. Nein, mein Lieber, die werden schon mitgenommen, verlaß dich darauf!“

      Auch Christian Wolny ging gern tanzen. Er war eben der Christian, und er ließ keine Freude aus.

      „Was, die Therese hast du dir angeschafft?“ staunte er eines Abends, als Franz Kreusat ihm sein Mädel vorstellte. „Der Alte wird sich wundern. Mit dem wirst du noch deine Last kriegen! Und sie scheint auch Haare auf den Zähnen zu haben. Nimm dich in acht, mein Lieber!“

      Therese hatte Haare auf den Zähnen, und nicht nur dies, sie war Tautens Tochter. Sie war eigensinnig, und sie lief ganz in des Vaters Spuren. Sie hatte nach den wenigen Tagen ihrer Bekanntschaft Franz gerngewonnen, aber sie begann auch sofort mit ihm über sein Mitrennen bei der Soldatenwehr zu streiten. Es schien, als wollte auch Tauten ihn auf eine andere Bahn zurückführen, und schon die nächsten Abende begannen mit Auseinandersetzungen. Franz wich diesen Debatten nach Möglichkeit aus, denn er wollte wenigstens die Abendstunden ruhig verbringen. Er wollte sein Mädel und nicht den Tauten um sich herum haben.

      Wenn sie tanzten, war auch Therese ganz Hingabe und friedlich. Sie war ein hübsches, starkes Mädel, war eitel und schien ihm beim Tanz ganz zugetan.

      Eines Abends war Franz. Kreusat nach der Salkenberg-Kolonie zu Christian Wolny bestellt worden. Er traf dort außer Renteleit auch Hermann Kahlstein und Kramm und noch ein Dutzend anderer Genossen an.

      Christian unterhielt mit Renteleit die Beziehungen zu den Zechenkumpels, die sich der neuen Ordnung noch nicht unterworfen hatten. Sie hatten festgestellt, daß die von Loew fortgeschafften Gewehre heimlich der Zechenverwaltung zugeführt worden waren. Steiger Schulte – ein Mehrheitssozialist seit November – wollte eine eigene Zechenwache aufstellen und, wie man in Erfahrung gebracht hatte, den Arbeiter und Soldatenrat und auch die Revolutionäre Wehr mit Gewalt absetzen.

      Kramm erklärte den Versammelten kurz: „Wir müssen die Gewehre wieder holen, ehe es zum Blutvergießen unter den Kumpels kommt. Schulte ist kein Sozialist, er hat sich nur in den Arbeiter- und Soldatenrat hineingeschmuggelt, wie so viele andere dieser Spitzbuben unter unsere Wehr, um diese zu zersetzen. Also müssen wir schnell handeln; wenn ihr einverstanden seid, schon heute!“

      Renteleit, der bärenstark war, sagte