»Aber wie heißt du? Welchen Namen führtest du damals?« fragte Rudolf. – »Ich war damals fast weißer als jetzt, und die Augen waren mir mit Blut unterlaufen. Darum wurde ich immer nur Albino genannt.« – »Aber deine Eltern?« – »Die haben ebenda gewohnt, wo die Eltern unserer Sängerin. Und wo ich geboren bin? An der erstbesten Straßenecke, rechts ober links.« – »Und wie lange warst du in der Abdeckerei?« fragte Rudolf. – »Kanns nicht einmal sagen! Ich hatte mich zuletzt so in die Wut hineingearbeitet, daß ich, wenn ich einmal beim Abstechen war, wie toll drauflos stach und alle Häute verdarb. Das bekam der Meister satt und jagte mich schließlich weg. Nun suchte ich mir Arbeit bei Metzgern, denn für dies Gewerbe hatte ich immer eine gewisse Vorliebe. Aber da kam ich schön an! Diese hochnäsige Sippe verachtete mich ganz ebenso, wie ein Schuhmacher einen Flickschuster. Da habe ich Arbeit in den Montrouger Steinbrüchen gesucht, aber ich habe es bloß zwei Jahre ausgehalten. Dann bin ich zum Militär gegangen und habe einen prächtigen Grenadier abgegeben. Leider gab es damals keinen Krieg, sonst wäre ich vielleicht was Besseres geworden. In die vermaledeite Friedensdisziplin habe ich mich aber nicht finden können, und als mich eines Tages der Sergeant derb herannahm, kam es zwischen uns zur Rauferei, und da packte mich die alte Lust am Messerstechen, die mir noch von der Abdeckerei in den Gliedern steckte, ich stach den Sergeanten nieder und verwundete zwei Soldaten auf den Tod.«
Der Mörder ließ den Kopf sinken und verhielt sich eine Weile schweigend.
»Ich wurde überwältigt, eingesteckt und sollte füsiliert werden, wurde aber zu Zuchthaus begnadigt, weil ich einmal zwei Kameraden aus der Marne gefischt hatte, wo sie ohne mich elendiglich ertrunken wären. Als ich von der Begnadigung hörte, war ich so fuchswild, daß ich meinen Verteidiger fast an der Kehle gepackt hätte. Im Zuchthause zu vegetieren, war mir schrecklicher als ein schneller Tod. Drum habe ich es auch zweimal probiert, selbst Hand an mich zu legen, einmal durch Grünspan, das andere Mal wollte ich mich mit meiner Kette erdrosseln, aber ich bin nun einmal stark wie ein Ochse und zäh wie Sohlenleder. Vom Grünspan bekam ich einen Heidendurst und von der Kette bloß ein blaues Naturhalsband. Dann schwand der Selbstmordrappel; die Lust am Leben erwachte wieder, und ich fügte mich ins Bagnoleben wie andere auch. Dort hab ich unsern Meister Bakel kennen gelernt, der mich einmal ebenso verprügelt hat, wie Sie vorhin.«
»So? Er ist also auch Galeerenkandidat?« fragte Rudolf. – »Ja, war auf Lebenszeit verurteilt, ist aber geflohen.« – »Und nicht verraten worden?« – »Ich werde mich doch hüten, ihn anzuzeigen, habe ich doch schon einmal, wie gesagt, seine Fäuste gekostet!« – »Und auch die Polizei ist seiner nicht habhaft geworden? Besitzt sie denn sein Signalement nicht?« – »Bakel würde selbst der Teufel nicht mehr erkennen, wenn er ihm aus der Hölle entwischt wäre! Was an ihm kenntlich, hat er schon längst von seinem Leibe ausgemerzt.« – »Was Ihr sagt!« – »Ja, zuerst hat er sich die Nase abgesäbelt, die fast eine halbe Elle lang war; dann hat er sich das Gesicht mit Vitriol verbrannt.«
»Also sich ganz unkenntlich gemacht?« – »Er ist ein halbes Jahr aus Rochefort weg, und seitdem sind ihm wohl an hundert Gendarmen und Polizisten in den Weg gelaufen, ohne daß ihn einer wiedererkannt hätte.« – »Weshalb ist er ins Bagno gesteckt worden?« – »Weil er gefälscht, gestohlen, gemordet hat. Bakel heißt er deshalb, weil er wie gestochen schreibt und ein grundgescheiter Mensch ist.«
»Ueber kurz oder lang spinnen sie ihn doch wieder ein,« meinte Rudolf. – »Ihrer zwei gehören aber wenigstens dazu, ihn dingfest zu machen, denn er trägt unter seiner Bluse immer ein paar scharfgeladene Pistolen und einen Dolch.« – »Was hast du denn getrieben, seit du wieder in Freiheit bist?« – »Ich verdiene mir auf dem Holzhofe am Sankt-Pauls-Kai, was ich zum Lebensunterhalt brauche.«
»Warum bist du aber hier im alten Viertel? Ein Dieb bist du doch im Grunde genommen nicht.« –
»Und wo sollte ich mich sonst aufhalten? Ich bin hier unter meinesgleichen und liebe nun mal Gesellschaft. Dabei bin ich gefürchtet wie das Feuer, und die Polizei kann mir nicht an den Kragen als höchstens mal wegen einer Rauferei, und darauf steht keine höhere Strafe als 24 Stunden Arrest.« – »Und bei alledem fühlst du dich doch nicht glücklich?« – »Nun, manchem gehts freilich noch schlechter als mir. Mich plagt bloß immer der Teufel, wenn meine schlimmen Träume von dem Sergeanten und den Soldaten kommen, die ich habe ins Gras beißen lassen. Wäre das nicht, könnte ich ruhig sterben wie jeder andere fromme Mensch, sei es im Krankenhause, sei es an irgend einer Straßenecke. Gern denke ich freilich nicht an den Tod,« und bei diesen Worten klopfte er an einer Ecke des Tisches seinen Pfeifenkopf aus.
Fünftes Kapitel. Eine Verhaftung.
Der Mann, der einen Augenblick hinausgegangen war, kam jetzt mit einem andern breitschultrigen Manne wieder, aus dessen Gesicht Mut und Entschlossenheit leuchteten ... »Na, Borel,« sagte er zu ihm, »das nenne ich ein feines Zusammentreffen! Nur immer herein! Trink ein Glas Wein mit!« – Schuri rückte Rudolf näher, auch die Schalldirne, dann flüsterte er, auf die beiden Eingetretenen weisend: »Vorsichtig! Es gibt was ... es ist ein Spitzel ... Augen und Ohren offen gehalten!«
Die beiden Banditen – der mit der griechischen Mütze, der schon einige Male nach Bakel gefragt hatte, und sein Kumpan – standen zusammen auf und machten ein paar Schritte zur Tür hin. Aber die beiden Polizisten stießen einen seltsamen Ruf aus und packten sie. Nun begann ein wildes Ringen. Im andern Augenblick drangen andere Polizisten in die Kaschemme, und vor der Tür blitzten Flintenläufe.
Der Kohlenträger benützte den Tumult, um auf die Schwelle zu treten und Rudolf einen Wink zu geben, indem er den rechten Zeigefinger an die Lippen führte. Rudolf winkte ihm aber ebenso schnell wie gebieterisch, sich zu entfernen, und verfolgte die weiteren Vorgänge mit aufmerksamen Blicken.
Der Mann mit der griechischen Mütze schrie und heulte vor Wut. Halb auf dem Tische liegend, schlug er so wild um sich, daß ihn drei Polizisten kaum halten konnten. Sein Genosse war wie zu Boden geschmettert. Er sah leichenblaß aus, und seine Kinnlade zitterte krampfhaft, aber er widersetzte sich nicht, sondern hielt ruhig die Hände hin, um sich die Handschellen anlegen zu lassen. Die Wirtin war an dergleichen Auftritte gewöhnt und verhielt sich ruhig hinter dem Schenktische.
»Was haben die beiden Menschen verbrochen?« fragte sie einen der Polizisten, mit dem sie bekannt war, und der als Borel angesprochen worden war. – »Gestern in der Sankt-Christoph-Straße eine alte Dame ermordet, um sie zu berauben. Die Arme hat kurz vorm Verscheiden noch ausgesagt, sie habe einen der beiden Räuber in die Hand gebissen. Wir hatten gleich Witterung, und mein Kamerad war vorhin ein paar Augenblicke allein hier, sich zu vergewissern, daß wir auf der rechten Fährte seien. Jetzt haben wir die beiden Mordgesellen.«
Den mit der griechischen Mütze mußten die Gendarmen mit Gewalt in den grünen Polizeiwagen heben, der andere, der wie Espenlaub zitterte, konnte sich auf den Füßen nicht halten. Auch er wurde von Polizisten in den Wagen geschoben.
»Mutter Ponisse,« sagte Polizist Borel, »lassen Sie sich vorm Rotarm warnen. Es ist ein boshafter Wicht, der Sie leicht bloßstellen könnte. Vor allem nehmen Sie weder ein Paket noch sonst etwas von ihm in Verwahrsam. Sie machten sich sonst der Hehlerei schuldig.« – »Keine Sorge, Herr Borel! Vorm Rotarm fürchte ich mich wie vorm Teufel. Weiß man doch nie, wohin er will und woher er kommt ... Letztmals hieß es, er käme aus Deutschland herüber.«
Der Polizist faßte, bevor er die Kaschemme verließ, die anderen Gäste ins Auge. Als er Schuri sah, redete er ihn in fast liebevollem Tone an: »Na, auch hier, Tunichgut? Lange nichts von dir gehört! Wirst wohl, scheints, ein ganz artiges Büble?« – »Sintemalen der Schuri seinen Meister gefunden hat, lieber Herr Borel«, versetzte Schuri, Rudolf die Hand