Früher oder später wird die Frau, die ich immer instinktiv gefürchtet habe, und die meinen Plänen doch einmal hinderlich werden wird, in ihr Verderben rennen.« – »Ich glaube, du befindest dich mit all diesen Vermutungen im Irrtum, denn nach meiner Ueberzeugung hat Rudolf sich nie mit der Marquise befaßt.« – »Das glaube ja nicht!« erwiderte Sarah; »die Marquise hat, wie ich ganz bestimmt glaube, vor Rudolf keinen Mann geliebt; erst er hat in ihrem Herzen gezündet. Ich habe versucht, durch Gerede, das ihn verdächtigen mußte, diese Liebe im Aufkeimen zu ersticken, aber das Bedürfnis nach Liebe war in ihrem Herzen erwacht, und als sie bei mir jenen Karl Robert sah, fiel ihr seine Schönheit auf, wie man von einem schönen Gemälde frappiert wird. Leider ist der Mensch ebenso albern wie schön, hat aber einen höchst sentimentalen Ausdruck in seinem Blicke. Ich pries den Adel seiner Seele und die Hoheit seines Charakters, kannte anderseits die angeborne Gutmütigkeit der Marquise und riet Robert, sich immer recht betrübt zu stellen, immer zu seufzen und vor allem recht wenig zu sprechen. Durch seinen Gesang, sein Aussehen, vor allem aber durch seine Melancholie hat er es fast zu stande gebracht, sich die Liebe der Marquise zu erwerben. Sie sahen einander hin und wieder unter vier Augen bei mir, und etwa dreimal in der Woche musizierten wir drei zusammen. Der sentimentale Jüngling seufzte, ließ ein paar süße Worte fallen, steckte ihr auch dann und wann ein Liebesbriefchen zu. Vor allem aber ging es ihm darum, ein Stelldichein von der Marquise bewilligt zu erhalten, aber ihre Liebe war doch nicht stark genug, sie aller Grundsätze zu überheben. Es dauerte eine geraume Weile, bis sie sich endlich entschloß, aus Mitleid mit der Verzweiflung ihres stummen Anbeters ihre Einwilligung zu einem Stelldichein zu geben. Aus Freude oder wohl mehr aus Stolz machte er mich mit seinem Glück bekannt, aber als die Stunde des Stelldicheins gekommen war, ließ sich die Marquise nicht sehen, und so war es beim zweiten, wie auch beim dritten Male.« – Sie schwieg eine Weile, wie wenn sie auf eine Aeußerung Toms wartete. Da sie ausblieb, nahm sie wieder das Wort ... »Du siehst, wie schwer sie kämpft. Und warum kämpft sie? Weil ihr noch immer Rudolf im Sinne liegt. Aber heute abend hat sie abermals diesem Robert eine Zusammenkunft versprochen, und diesmal wird sie, wie ich bestimmt meine, ihr Wort halten.« – »Und worauf stützt sich diese Zuversicht?« fragte Tom. – »Lucenay hat ihn tief gekränkt und lächerlich gemacht. Aus Mitleid wird sie ihm bewilligen, was sie sonst wohl kaum bewilligt hätte.«
»Und mit welchen Plänen trägst du dich nun?« fragte Tom. – »Dieser Robert wird nicht verstehen, daß eine Frau, wie die Marquise, sich aus Mitleid zu einer solchen Handlung bestimmen lassen kann, und dieser Mangel an Verständnis wird die Marquise gegen ihn einnehmen und nach Verrichtung ihrer Illusion wieder an Rudolf ketten; sie muß aber für Rudolf für immer verloren sein! Hat er sie nun im Verdachte eines Abenteuers, bei dem er keine wirkende Rolle spielt, so wird er sie verabscheuen.« – »Du willst also den Marquis unterrichten?« – »Gewiß, und noch heute abend. Nach ihren Reden hat er ja bereits eine Ahnung, weiß aber nicht, gegen wen er seinen Verdacht richten soll. Es ist Mitternacht. Wir verlassen den Ball. Du begibst dich ins erste beste Kaffeehaus und teilst Herrn von Harville durch ein kurzes Billet mit, daß seine Frau sich morgen um ein Uhr nach der Rue du Temple begeben wolle, um da mit einem Galan zusammenzutreffen. Er ist eifersüchtig wie ein Mohr und wird seine Frau abpassen. Das übrige kannst du dir allein ausmalen.«